Politik

Erdogan: Türkei befindet sich in „neuem Unabhängigkeitskrieg“

Lesezeit: 3 min
02.01.2017 01:25
Der türkische Präsident Erdogan sieht sein Land in einem neuen Krieg um seine Unabhängigkeit. Die türkischen Behörden fahnden nach dem Attentäter auf einen Club in Istanbul, tappen aber offenbar noch weitgehend im Dunklen.
Erdogan: Türkei befindet sich in „neuem Unabhängigkeitskrieg“

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

93 Jahre nach der Gründung der türkischen Republik sieht Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sein Land einem "neuen Unabhängigkeitskrieg" ausgesetzt. "Die nationale Einheit, territoriale Integrität, Institutionen, Wirtschaft, Außenpolitik, kurz alle unsere Elemente, die uns als Staat aufrecht erhalten, werden scharf angegriffen", erklärte Erdogan in seiner Neujahrsbotschaft am Samstag laut dpa.

"Terrororganisationen sind nur die sichtbaren Gesichter und Werkzeuge dieses Kampfes. Wir kämpfen im Wesentlichen gegen die Mächte hinter diesen Organisationen." Der Präsident machte keine Angaben dazu, um welche Mächte es sich dabei handeln könnte.

Erdogan sagte, der Putschversuch in diesem Jahr sei "der abscheulichste Terrorangriff" in der Geschichte der Republik gewesen. "Der Türkei ist es gelungen, aus dieser Katastrophe eine neue Auferstehung und einen Neuanfang zu machen."

Erdogan macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich. Seitdem wurden im Zusammenhang mit dem Umsturzversuch tausende Menschen verhaftet oder vom Dienst suspendiert.

Neben der "Säuberung" staatlicher Institutionen würden "diese Krebszellen" auf jeder gesellschaftlichen Ebene ausgemerzt, hieß es in Erdogans Neujahrsbotschaft. Der Staatschef schwor die Bevölkerung auf einen langen Kampf ein. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass der Wille der Nation dafür stark genug sei. Erdogan äußerte seine Hoffnung, dass 2017 "unserem Land, der Region und der Welt" Sicherheit, Frieden, Glück und Wohlstand bringen werde.

Erdogans düstere Aussagen wurden durch den Anschlag auf einen Nachtclub in Istanbul scheinbar bestätigt. Mit einem massiven Aufgebot suchen die türkischen Sicherheitsbehörden den flüchtigen Täter des Istanbuler Nachtclub-Anschlags. Ministerpräsident Binali Yildirim ließ am Sonntag offen, in welche Richtung ermittelt werde, er sprach lediglich von einem "bewaffneten Terroristen". Eine Bekennernachricht lag zunächst nicht vor. Bei dem Anschlag waren am Silvesterabend 39 Menschen getötet worden, 24 von ihnen waren Ausländer.

Die Ermittler arbeiteten "mit Nachdruck" daran, den Täter zu identifizieren, sagte Yildirim. Innenminister Süleyman Soylu sagte, der Attentäter habe sein Gewehr unter einem Mantel verborgen und womöglich die Kleidung gewechselt, bevor er den Club verließ. "Ich hoffe, er wird schnell gefasst, so Gott will."

Der türkische Premier Binali Yildirim hat sich am Sonntagabend zur Identität des Urhebers des anschlags geäußert. Haberturk zitiert Yildirim: „Ich habe mitbekommen, dass der Terrorist diese Tat in Weihnachtsmannklamotten ausgeführt haben soll. Dafür gibt es keinerlei Hinweise. Der Täter war ein bewaffneter Terrorist. Er hat an der Tür seine Waffe gezogen und sowohl die Türsteher als auch die dortigen Polizisten getötet. Anschließend ist er reingegangen und hat um sich geschossen. Das sind die gesicherten Erkenntnisse. Er soll seine Tatwaffe am Tatort hinterlassen haben, bevor er den Tatort verließ.“

Yildirim fügte hinzu, dass der Kampf gegen die Terrororganisationen PKK, ISIS und die Gülen-Bewegung weiterlaufen werde. Insbesondere im Hinblick auf die Militäroperationen in Syrien werde es keine Veränderungen geben. Keiner werde es schaffen, die Einheit des türkischen Volks zu zerstören, um die Türkei von ihrem Weg abzubringen. Haberturk berichtet weiter, dass der Anschlag Parallelen zu den Anschlägen in Orlando und Paris aufweist.

[www.haberturk.com] Informationen von T24 soll der bewaffnete Angreifer sieben Minuten im Club um sich geschossen haben.

Der türkische Generalstab meldet in einer Mitteilung: „Der Kampf gegen den Terrorismus wird mit Entschlossenheit und Geduld fortgesetzt.“

Der türkische Innenminister Süleyman Soylu sagte am Sonntagabend, dass es sich nach Auswertung der Überwachungskameras um einen Angreifer handele. Zum aktuellen Zeitpunkt laufe die Fahndung nach dem Täter. Weitere Details zur Identität des Täters seien noch nicht bekannt, berichtet CNN Turk.

Michael Rubin, einer der Vordenker der Neocons in den USA, meldet über sein Twitter-Konto in türkischer Sprache: „In anderen Ländern sind die politischen Führer für die Sicherheit ihrer Bevölkerung verantwortlich. Doch RTE (Anm.d.Red. Recep Tayyip Erdogan) inhaftiert ausschließlich Journalisten und Polizisten und übersieht vorsätzlich die wahren Terroristen.“

In weiteren Twitter-Mitteilungen meldet Rubin, dass der Anschlag von Istanbul „lediglich der Preis dafür“ sei, dass Erdogan – nach dem Putsch vom 15. Juli - so viel Personal aus den Anti-Terror-Einheiten entlassen habe.

Diese Anschläge seien nur der „Beginn“ von weiteren Anschlägen.

Rubin hatte im März 2016 in einem Newsweek-Artikel einen Militärputsch gegen Erdogan angekündigt, der dann am 15. Juli tatsächlich stattfand.

Zuletzt hatte es in der Türkei immer wieder Anschläge gegeben, die auf das Konto der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) oder kurdischer Extremisten gingen. Im Falle des Nachtclub-Anschlags vermieden die Behörden zunächst Schuldzuweisungen, sie benannten keine Verdächtigen.

Von kurdischer Seite wurde die Verantwortung für das Attentat abgewiesen. Die Agentur Firat, die der verbotenen Kurdenpartei PKK nahesteht, zitierte deren Chef Murat Karayilan mit der Aussage, dass keine kurdische Gruppierung hinter der Tat stecke.

Die Mehrzahl der Todesopfer kam aus dem Ausland. Die türkische Familienministerin Fatma Betul Sayan Kaya sagte, es seien vor allem Bürger arabischer Staaten unter den Opfern. Nach amtlichen Angaben waren unter den Getöteten Staatsbürger Belgiens, Frankreichs, Tunesiens, Israels, Indiens, Saudi-Arabiens, des Libanon, Jordaniens, des Irak und Libyens. Deutsche Opfer wurden zunächst nicht bestätigt.

Der Attentäter hatte früh am Neujahrstag laut türkischen Behörden zunächst einen Polizisten und einen Zivilisten erschossen, dann tötete er wahllos Partygäste im Club "Reina". Der Attentäter attackierte den bei Prominenten und Touristen beliebten Nachtclub am Bosporus-Ufer, als das neue Jahr in der Türkei gerade einmal eine gute Stunde alt war. In dem auf der europäischen Seite von Istanbul gelegenen Club mit mehreren Restaurants und Tanzflächen hielten sich zur Silvesterfeier bis zu 800 Menschen auf.

"Sie wollen die Moral unseres Landes zerstören und Chaos verbreiten, indem sie mit diesen schändlichen Angriffen gezielt Zivilisten attackieren", erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Türkei sei aber entschlossen, "den Kampf gegen den Terror" fortzusetzen.

Der Clubbesitzer Mehmet Kocarslan verurteilte den Angriff. "Unser Herz blutet", schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Das Attentat weckte auch Erinnerungen an die islamistische Attentatserie in Paris vom November 2015, als allein in der Pariser Konzerthalle Bataclan dutzende Menschen getötet wurden.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Lauterbach: RKI-Protokolle sollen weitestgehend entschwärzt werden
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Osterfreude und EM-Fieber: Hoffnungsschimmer für Einzelhandel
28.03.2024

Das Ostergeschäft verspricht eine Wende für den deutschen Einzelhandel - nach einem düsteren Februar. Wird die Frühlingshoffnung die...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkrise für Banken noch nicht überwunden
28.03.2024

Die deutschen (Pfandbrief-)Banken sind stark im Gewerbeimmobilien-Geschäft engagiert. Das macht sie anfällig für Preisrückgänge in dem...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tarifkonflikt gelöst: Keine Lufthansa-Streiks zu Ostern
28.03.2024

Nachdem die Deutsche Bahn ihren Tarifkonflikt mit der Lokführergewerkschaft GDL in dieser Woche gelöst hat, scheinen auch bei der...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
27.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...

DWN
Politik
Politik Bundeswehr unterstützt Strukturwandel in der Lausitz
27.03.2024

In Bernsdorf im Landkreis Bautzen wird ein neues Logistik-Zentrum der Bundeswehr entstehen. Das entschied Verteidigungsminister Boris...