Politik

Forza Italia: Antonio Tajani ist neuer Präsident des EU-Parlaments

Lesezeit: 2 min
18.01.2017 01:50
Antonio Tajani ist neuer Präsident des EU-Parlaments. Er will das Amt unauffällig ausüben.
Forza Italia: Antonio Tajani ist neuer Präsident des EU-Parlaments

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Nach einem im Europaparlament bisher beispiellosen Wahlmarathon ist der italienische Konservative Antonio Tajani zum neuen Präsidenten der EU-Volksvertretung gewählt worden. Der 63-jährige ehemalige Industriekommissar setzte sich am späten Dienstagabend im vierten Durchgang in einer Stichwahl gegen seinen sozialistischen Landsmann Gianni Pittella durch. Tajani, der Mitglied der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) ist, erhielt 351 Stimmen, Pittella 282.

Am vierten Wahlgang hatten 713 der 751 Europaabgeordneten teilgenommen. 80 Wahlzettel waren ungültig. Die Stichwahl war notwendig, weil in den ersten drei Wahlrunden keiner der zunächst sechs Kandidaten eine absolute Mehrheit erzielt hatte. Für diesen Fall sieht die Geschäftsordnung ein Duell zwischen den beiden bestplatzierten Bewerbern vor.

Tajani, ein Weggefährte des früheren italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi, wird Nachfolger des SPD-Politikers Martin Schulz, der nicht mehr angetreten war. Tajanis Mandat gilt bis zur nächsten Europawahl Mitte 2019.

Die EVP-Fraktion ist mit 217 Abgeordneten zwar die größte Gruppe im Europaparlament. Dennoch benötigte Tajani Unterstützung aus anderen Fraktionen. Kurz vor der ersten Wahlrunde hatte der Chef der Liberalen, Guy Verhofstadt, seine Kandidatur zugunsten Tajanis zurückgezogen. Erst nach langen Verhandlungen hinter den Kulissen kündigte auch die euroskeptische Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) an, sie werde bei der Stichwahl Tajani unterstützen.

Pittella, der Chef der 189 Mitglieder zählenden sozialdemokratischen Fraktion, wurde von den Grünen und der Linksfraktion unterstützt. Diese hatten schon lange vor der Wahl angekündigt, Tajani sei für sie als enger Vertrauter Berlusconis nicht wählbar. Außerdem werfen sie dem Italiener vor, er habe als Industriekommissar die Augen vor den Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos verschlossen.

Der Machtkampf um den Spitzenposten im Europaparlament war ein ungewöhnlicher Vorgang. Denn in der EU-Volksvertretung ist es seit Jahrzehnten üblich, dass sich die beiden großen Fraktionen das Präsidentenamt für jeweils die halbe Legislaturperiode teilen. So stand es auch in einer Vereinbarung, welche die EVP und die Sozialdemokraten nach der Europawahl Mitte 2014 geschlossen hatten.

Damals verhalf die EVP dem Sozialdemokraten Schulz zur Wiederwahl. Im Gegenzug sagten die Sozialdemokraten zu, im Januar 2017 einen EVP-Kandidaten zu unterstützen. Aufgrund dieser Vereinbarung verzichtete Schulz auf eine neue Kandidatur. Pittella kündigte die Abmachung jedoch auf und gab im Dezember seine Kandidatur bekannt, woraufhin ihm der EVP-Chef Manfred Weber (CSU) öffentlich Wortbruch vorwarf.

Pittella kündigte zugleich die informelle "Große Koalition" auf, auf die sich EVP, Sozialdemokraten und Liberale nach der Europawahl Mitte 2014 geeinigt hatten. Ziel war es, ausreichende Mehrheiten für die Verabschiedung von EU-Gesetzen zu schmieden. Dies ist schwieriger geworden, seit bei der letzten Europawahl mehr als hundert euroskeptische und europafeindliche Abgeordnete ins Straßburger Parlament gewählt wurden.

Sven Giegold, Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Europäischen Parlament, sieht die Wahl kritisch: "Die Wahl eines Berlusconi-Vertrauten an die Spitze des EU-Parlaments ist in Zeiten von Trump und Brexit das falsche Signal an die europäischen Bürger. Tajani tritt das Amt mit großem Misstrauensvorschuss an, weil er als EU-Kommissar den Dieselmanipulationen jahrelang tatenlos zusah. Tajani muss nun beweisen, dass er zu Europas Zusammenhalt in diesen schwierigen Zeiten beitragen kann. Tajani fehlte bisher vor allem ein soziales Profil, das aufgrund der sozialen Spaltung in Europas dringend nötig ist."

***

Die kritische und unabhängige Berichterstattung der DWN ist auf die Unterstützung der Leser angewiesen. Die aktuellen Versuche, unabhängige Medien zu diskreditieren und ihnen das Geschäftsmodell zu entziehen, verfolgen wir mit Sorge. Für PR, Gefälligkeitsberichte oder politische Hofberichterstattung stehen wir nicht zur Verfügung. Wir folgen streng der journalistischen Distanz, wie sie in unserem Impressum veröffentlicht ist. Anders als Facebook (Daten) oder staatliche Medien (Steuern, Gebühren) müssen sich die DWN täglich ausschließlich vor den Lesern beweisen. Das gibt uns die absolute Freiheit in der Berichterstattung. Die einzige Finanzierung, die uns diese Freiheit garantiert, ist die Unterstützung unserer Leser.

Daher bitte wir Sie, liebe Leserin und Leser, um Ihre

Unterstützung:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, erhalten Sie automatisch eine Nachricht vom System und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Politik
Politik Reform des EU-Asylsystems verabschiedet: Einwanderungsregeln werden verschärft
14.05.2024

Die EU-Mitgliedstaaten haben die Reform des EU-Asylsystems endgültig abgesegnet. Nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt wird sie in...

DWN
Politik
Politik Bauplanung für Besucherzentrum am Deutschen Bundestag fertig
14.05.2024

Der Berliner Senat hat über den Bebauungsplan für das Besucherzentrum am Bundestag entschieden. Künftig sollen Besucher unterirdisch in...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Pharmaindustrie: Der Milliardenmarkt der Medikamente
14.05.2024

Die Pharmaindustrie ist ein Schlüsselsektor der Wirtschaft. Jedes Jahr werden hunderte Milliarden Euro mit Medikamenten umgesetzt. Ein...

DWN
Politik
Politik Fachkräftezuwanderung: Expertenrat kritisiert das deutsche Erwerbsmigrationsrecht
14.05.2024

Gutachten bestätigt: Kompliziertes Migrationsrecht bremst in Deutschland die Fachkräftezuwanderung aus. Ausländischen Arbeitnehmern wird...

DWN
Finanzen
Finanzen „600 Milliarden Euro Mehrbedarf“: Infrastrukturen brauchen massive Investitionen
14.05.2024

Laut einer neuen Studie bedarf Deutschland zusätzliche Investitionen in Höhe von 600 Milliarden Euro, um Infrastruktur und Klimaschutz...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kabel-Anschluss: Vodafone bekommt Ende des Nebenkostenprivilegs zu spüren
14.05.2024

Einnahmen für TV-Anschlüsse waren für Vodafone jahrzehntelang eine sichere Bank. Das ändert sich Mitte des Jahres, wenn eine...

DWN
Politik
Politik Bafin-Präsident Mark Branson fordert Finanzregulierung zu entschlacken
14.05.2024

Die Banken in Deutschland ächzen unter einem Wust an Regeln und Vorschriften. Auch Deutschlands oberster Finanzaufseher ist für...

DWN
Technologie
Technologie Studie: E-Autos drücken auf die Gewinne der Autohersteller
14.05.2024

Die globale Autoindustrie kämpft weiterhin mit der Umstellung auf den Elektro-Antrieb. Am besten kommen noch zwei deutsche Hersteller mit...