Das Bundesland Hessen fordert von der London Stock Exchange (LSE) so deutlich wie nie zuvor ein Entgegenkommen bei der geplanten Fusion mit der Deutschen Börse, berichtet Reuters. Die gemeinsame Holdinggesellschaft der Börsen sollte nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU in Frankfurt und nicht wie bisher geplant in London angesiedelt werden, sagte der hessische Finanzminister Thomas Schäfer in einem am Freitag veröffentlichten Interview. „Auch die Beteiligten in London müssten aus meiner Sicht erkennen, dass es – und zwar in ihrem ureigenen Interesse – keine gute Idee wäre, an den Plänen in ihrer ursprünglichen Form festzuhalten“, sagte der CDU-Politiker. „Ich habe das Gefühl, dass das Management der London Stock Exchange dies erkennt, aber eine Verlegung des Sitzes derzeit aus politischen Gründen scheut – nach dem Motto: „Wie sag ich's meinem Kind?“
Rational betrachtet lägen die Gründe für einen Hauptsitz in Frankfurt „glasklar auf dem Tisch“, sagte Schäfer. „Doch noch sind die handelnden Personen in nationaler Loyalität gefangen. Sie wollen nicht die ersten sein, von denen ein deutliches, sichtbares Zeichen ausgeht, dass der Brexit unaufhaltsame Nachteile für Großbritannien hat.“ Dabei wäre es nach Ansicht von Schäfer auch für die LSE von Vorteil, „wenn die Holdinggesellschaft der fusionierten Börse einen Anker in einem stabilen Rechtsraum wie Deutschland hätte. Denn wie die Rahmenbedingungen in London nach dem Brexit aussehen, kann derzeit niemand genau vorhersehen.“
Die Zustimmung der hessischen Börsenaufsicht, die im Wirtschaftsministerium angesiedelt ist, gilt als größte Hürde für die 25 Milliarden Euro schwere Fusion. Die Behörde prüft, ob die Weitentwicklung der Börsenplatzes Frankfurt durch den Deal gefährdet werden könnte. Insidern zufolge hat sie große Bedenken, weil sich nach dem Zusammenschluss mangelnde Kontrollmöglichkeiten fürchtet. Die Behörde hätte laut dem Börsengesetz nach einer Fusion zwar rechtlich Zugriff auf eine Holdinggesellschaft in London und könnte dieser beispielsweise die Stimmrechte für die deutsche Tochter entziehen. In Wiesbaden gibt es jedoch Zweifel, ob man dies im Streitfall auch vor einem britischen Gericht einklagen könnte. Zudem wäre es für die Behörde nach Einschätzung von Experten unmöglich, bei einem Zerwürfnis mit London von heute auf morgen einen neuen Betreiber für die Frankfurter Wertpapierbörse zu finden.
Die vor dem Brexit-Votum ausgearbeiteten Fusionspläne der Unternehmen sehen vor, dass Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter Vorstandsvorsitzender der Holding wird und dass diese dafür in London anzusiedeln. Aus Sicht von Schäfer ist der Sitz der Gesellschaft und damit die herrschende Rechtsform aber weit bedeutsamer als der Chefposten. „Solche Strukturentscheidungen sind auf lange Sicht wichtiger als die Besetzung von Spitzenpositionen.“ Zudem wird gegen Kengeter derzeit wegen des Verdachts auf Insiderhandel ermittelt.
Bisher hat die LSE keine Anzeichen gemacht, dass sie zu einer Verlegung der Holdinggesellschaft oder zur Schaffung eines doppelten Holdingsitzes bereit wäre. „Der Deal steht“, sagte LSE-Chef Xavier Rolet Anfang der Woche zu Reuters.
Für die Entscheidung über die Börsenfusion ist in Hessen am Ende Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) zuständig. Er kann sich – im Gegensatz zu Schäfer und Ministerpräsident Volker Bouffier – jedoch nicht in der Öffentlichkeit zu dem Thema äußern, weil die Entscheidung seines Ministeriums über die Fusion sonst am Ende angreifbar wäre. Neben Hessen muss auch die EU-Kommission noch grünes Licht für den Zusammenschluss geben.
Das hessische Wirtschaftsministerium werde am Ende ausschließlich nach Recht und Gesetz über den Antrag entscheiden, den die Deutsche Börse einreiche, sagte Schäfer. „Ich kann aber als an dem formellen Verfahren Unbeteiligter den Konzernen nur empfehlen, dass sie sich bei der Frage des Firmensitzes noch einmal bewegen. Das mag juristisch kompliziert sein, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“