Politik

Kabinenluft-Experte stellt Gutachten zu Germanwings-Absturz vor

Lesezeit: 2 min
23.03.2017 00:47
Die Familie des Copiloten der Germanwings glaubt nicht an die bisher gültige Version über den Unfallhergang. Sie hat den Luftfahrtexperten Tim van Beveren beauftragt, 17.000 Seiten aus den Ermittlungsakten auszuwerten.
Kabinenluft-Experte stellt Gutachten zu Germanwings-Absturz vor

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Zwei Jahre nach dem Germanwings-Absturz mit 150 Toten meldet sich die Familie des verantwortlichen Co-Piloten Andreas Lubitz zu Wort. In der Einladung zu einer Pressekonferenz am Freitag (24. März) bezweifelt Lubitz' Vater die «Annahme des dauerdepressiven Copiloten, der vorsätzlich und geplant in suizidaler Absicht das Flugzeug in den Berg gesteuert haben soll». Er schreibt: «Wir sind der festen Überzeugung, dass dies so nicht richtig ist.»

Für den Absturz der Germanwings-Maschine in Frankreich mit 150 Todesopfern ist nach Ansicht der deutschen Ermittler ausschließlich Lubitz verantwortlich. Zu diesem Schluss kam die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft fast zwei Jahre nach dem Absturz. «Die Ermittlungen haben keinen Anlass gegeben, strafrechtlich gegen eine lebende Person zu ermitteln», sagte Staatsanwalt Christoph Kumpa im Januar 2017 der Deutschen Presse-Agentur. Die Behörde habe das Todesermittlungsverfahren eingestellt. Es gebe einen entsprechenden Abschlussvermerk.

In der Ankündigung der Lubitz-Familie heißt, es seien viele Fragen unbeantwortet geblieben. Auch seien bei der Aufklärung der Ursachen Aspekte vernachlässigt worden.

Die Familie hat nach eigenen Angaben den Luftverkehrs-Journalisten Tim van Beveren mit einem Gutachten beauftragt, das am zweiten Jahrestag des Absturzes in Berlin vorgestellt und erläutert werden soll. Neben van Beveren will sich auch Günter Lubitz den Fragen der Journalisten stellen. Der Journalist hat die 17.000 Seiten umfassenden Ermittlungsakten ausgewertet, eigene Recherchen angestellt hat und «vernachlässigte Aspekte» in Betracht gezogen.

Van Beveren ist ein sehr angesehener Luftfahrt-Journalist, der für zahlreichen Zeitungen und TV-Sender gearbeitet hat. Seine Recherchen beziehen sich auf giftige Dämpfe in der Kabinenluft (siehe Video am Anfang des Artikels). So äußerte van Beveren im Berliner Sender Radio Eins nach dem Gemanwings-Absturz Zweifel über den Hergang. Er sagte:

«Kohlenmonoxid dringt in dem Moment ein, wo der Kapitän rausgegangen ist. Kohlenmonoxid ist unsichtbar, riecht nicht, führt dazu, dass ich innerhalb kürzester Zeit die Besinnung verliere, wirkt auf das Nervensystem. Als Co-Pilot möchte ich noch ganz schnell die Tür aufmachen, damit mir jemand zur Hilfe kommen kann, und versuche den Schalter umzulegen – der geht aber nicht nach oben sondern nach unten und verriegelt die Tür. Und dann sackt mein Körper zusammen – ich sacke mit dem Körper auf den Sidestick, der Airbus nimmt die Nase runter und beginnt zu sinken – in einem Bereich zwischen 2500 und 3500 ft. pro Minute.»

Ob es auch im konkreten Fall der Germanwings zu einem solchen Vorfall gekommen ist, ist unbekannt. Die Flugexperten von Austrian Wings halten dies für nicht wahrscheinlich. Thomas Müller erklärte damals den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:

«Unsere Redakteure haben intensiv recherchiert, mit über einem Dutzend Piloten gesprochen, als der Crash bekannt wurde. Fazit: Kein einziger Pilot hatte auch nur den Hauch einer Erklärung für das, was geschehen ist und bereits bevor es die Staatsanwaltschaft offiziell bestätigt hat, wurde Austrian Wings aus Pilotenkreisen darauf aufmerksam gemacht, dass ,bei logischer Betrachtung der derzeit bekannten Fakten alles nach Pilotensuizid‘ aussieht.

Andere Szenarien sind derzeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, da nichts zusammenpasst. Dazu ein paar kurze Beispiele: Bei einem Vorfall mit kontaminierter Kabinenluft, bei dem beide Piloten plötzlich bewusstlos werden, fliegt das Flugzeug seinen vorprogrammierten Kurs weiter bis der Sprit ausgeht, ebenso bei einem Druckverlust, der so plötzlich auftritt, dass die Besatzung nicht einmal mehr Zeit hat die Sauerstoffmasken anzulegen (was extremst unwahrscheinlich wäre). Hier aber erfolgte ein aerodynamisch stabiler Sinkflug, soviel wir aus den Radardaten wissen, ein Manöver, dass nur vom Piloten manuell oder durch Programmierung des Autopiloten geflogen werden kann. Der Umstand, dass dies geschehen ist, aber weder über den Transponder noch über Funk ein Notsignal abgegeben wurde und die Cockpittüre offenbar von innen verriegelt wurde und das verzweifelte Klopfen des zweiten Piloten von außen zu hören ist, lässt nach derzeitigem Kenntnissstand bedauerlicherweise tatsächlich nur den Schluss zu, dass hier einer der Piloten, konkret der Erste Offizier, Suizid begangen hat, so unglaublich das auch klingen mag.»

Auch die Fluggesellschaften werden das Gutachten von van Beveren mit Interesse verfolgen. Weil der Fall Germanwings faktisch als Einzeltäter-Fall eingestuft wird, erwachsen der Lufthansa keine weiteren Verpflichtungen und Konsequenzen nach dem Absturz.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Europameisterschaft 2024 am Arbeitsplatz streamen: Wie weit geht Arbeitgeber-Toleranz?
05.05.2024

Die Spiele der Europameisterschaft 2024 finden zu Zeiten statt, die nicht ideal für Arbeitnehmer sind. Einige Spiele starten bereits um 15...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Handwerksbetriebe in Not: Geschäftslage trübt sich ein
05.05.2024

Die aktuelle Lage im Handwerk bleibt düster, mit einer spürbaren Verschlechterung der Geschäftslage im ersten Quartal 2024 aufgrund...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Eine Welt ohne Europa?
04.05.2024

Der Krieg in der Ukraine und die Spannungen im Nahen Osten gefährden die Zukunftsfähigkeit der EU. Nun steht sie an einem Scheideweg:...

DWN
Politik
Politik Angriff auf SPD-Europapolitiker: Matthias Ecke in Dresden schwer verletzt
04.05.2024

Schockierende Gewalt: SPD-Europaspitzenkandidat Matthias Ecke wurde brutal angegriffen. Politiker verurteilen den Angriff als Attacke auf...

DWN
Finanzen
Finanzen Platzt die ETF-Blase – was dafür, was dagegen spricht
04.05.2024

Kaum eine Investmentform konnte in den zurückliegenden Jahren die Gunst der Anleger derart erlangen wie dies bei Exchange Traded Funds,...

DWN
Immobilien
Immobilien Streikwelle auf Baustellen droht: Gewerkschaft kündigt Massenstreiks an
04.05.2024

Die Bauindustrie steht vor Massenstreiks: Gewerkschaft kündigt flächendeckende Arbeitsniederlegungen mit rund 930.000 Beschäftigten an.

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Chinas Einfluss in Südostasien: Herausforderung für deutsche Firmen
04.05.2024

Deutsche Unternehmen suchen verstärkt nach Alternativen zum chinesischen Markt und richten ihr Augenmerk auf die aufstrebenden...

DWN
Technologie
Technologie CO2-Speicherung: Vom Nischenthema zum Wachstumsmarkt
04.05.2024

Anreize durch die Politik, eine neue Infrastruktur und sinkende Kosten: CO2-Speicherung entwickelt sich zusehends vom regionalen...