Politik

Ökonomen der Bundesregierung warnen vor Abschaffung des Bargelds

Der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hat in einem Gutachten sehr schlüssig dargelegt, warum die Abschaffung von Bargeld zwangsläufig zum Verlust der finanziellen Selbstbestimmung führen würde.
05.04.2017 12:19
Lesezeit: 4 min

Die wissenschaftlichen Berater von Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries warnen vor der Abschaffung oder einer Beschränkung des Bargeld

Das Ministerium legt eine erstaunlich klare Begründung vor:

"Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat heute das Gutachten „Zur Diskussion um Bargeld und die Null-Zins-Politik der Zentralbank“ veröffentlicht. Anlass des Gutachtens sind Vorschläge von Ökonomen, Bargeld abzuschaffen. Als Grund wird hierfür insbesondere genannt, dass die Zentralbank nur dann wirksam negative Zinsen einsetzen könnte. Auch der Beschluss der EZB, Ende 2018 die Ausgabe neuer 500 Euro-Scheine einzustellen, und Überlegungen der EU, Bargeldzahlungen künftig nur noch in begrenztem Volumen zuzulassen, hatten die Diskussion um die Rolle des Bargelds neu belebt.

Die Gutachter halten eine Abschaffung von Bargeld für einen nicht gerechtfertigten wirtschaftspolitischen Eingriff. Er sei weder zur Kostenersparnis im Zahlungsverkehr noch zur Kriminalitätsbekämpfung erforderlich. Vielmehr sichere das Bezahlen mit Bargeld auch ein Stück informationelle Selbstbestimmung der Bürger. Auch geldpolitische Begründungen einer Abschaffung des Bargelds weist der Beirat zurück. Die anhaltende Niedrigzinspolitik mit teilweise negativen Zinsen gefährde vielmehr auf Dauer die Finanzstabilität."

Zu den Bargeldobergrenzen schreiben die Experten in ihrem Gutachten:

"Höchstgrenzen für Barzahlungen sind dagegen eindeutig kritisch zu sehen. Es gibt legitime Gründe dafür, dass auch bei hohen Beträgen Barzahlungen gefordert werden. Das oben erwähnte Zug-um-Zug-Problem beim Privatkauf eines Gebrauchtwagens liefert ein Beispiel; dabei können die Beträge durchaus in den fünfstelligen Bereich gehen. Ein Verbot solcher Transaktionen würde legitime Zahlungsvorgänge unterbinden. 38 In diesem Zusammenhang ist auf die Turbulenzen hinzuweisen, die die Demonetisierung der Scheine mit Nennwerten von 500 und 1000 Rupien in Indien verursacht hat. Hier ist nicht von einer Abschaffung, sondern von einer Ersetzung durch neue Scheine die Rede, die jedoch noch nicht in genügender Menge zur Verfügung stehen. Bei Gegenwerten von ca. € 7 und € 14 bedeutet diese Demonetisierung eine beträchtliche Erschwerung vieler Zahlungen mit teilweise schwerwiegenden Auswirkungen auf die Betroffenen.

Ob das Verbot auch Zahlungsvorgänge im Rahmen von illegalen Aktivitäten unterbinden würde, ist dagegen sehr zweifelhaft. In Anbetracht der Anonymität von Barzahlungen sind die Transaktionen selbst nicht ohne weiteres zu beobachten. Eine Ahndung von Verbotsübertretungen ist daher vermutlich nur im Nachhinein möglich, nachdem man auf andere Weise das illegale Verhalten entdeckt hat. Personen, die regelmäßig illegale Tätigkeiten und Transaktionen durchführen, sind vermutlich eher in der Lage, sich einer solchen Beobachtung zu entziehen als Personen, die legitime Gründe für solche Transaktionen haben; schließlich verkauft man nicht oft sein Auto oder sein Haus. Es ist daher zu befürchten, dass Begrenzungen der Höhe von Bartransaktionen die legitimen Nutzer von Bargeld schädigen, ohne das Ziel der Bekämpfung von illegalen Aktivitäten besonders zu fördern."

Die Gutachter beschäftigen sich sehr ausführlich und schlüssig mit dem Problem des "gläsernen" Bürgers oder Kunden, der unzweifelhaft entstehen würde, wenn das Bargeld abgeschafft wird:

"Eine Person, die Einkäufe in bar bezahlt, kann davon ausgehen, dass es einem Dritten nicht möglich ist, ihr Ausgabenverhalten zu beobachten oder zu rekonstruieren. Barzahlungen erfolgen anonym, ohne dass der Name des Zahlenden in etwaigen Dokumentationen der Zahlungsvorgänge erscheint. Bei Kartenzahlungen besteht diese Anonymität nicht. Bei anderen Formen des elektronischen Zahlungsverkehrs („Bitcoin“) ist Anonymität vorgesehen, kann aber letztlich auch untergraben werden.25 Die Anonymität von Zahlungen schützt vor einem Missbrauch der betreffenden Information.

Drei Typen von Missbrauch sind zu bedenken. Zum einen kann es dem Zahlenden unangenehm sein, wenn eine einzelne Transaktion bekannt wird. So könnte eine Person, welche sich einem HIV-Test unterzieht, diesen Umstand vertraulich halten wollen, um Spekulationen über eine mögliche Ansteckung vorzubeugen. Dies ist möglich, wenn die Person den Test in bar bezahlt und den entsprechenden Beleg nicht bei der Krankenkasse einreicht. Bei elektronischer Zahlung dagegen besteht ein gewisses Risiko, dass unbefugte Dritte, z. B. Hacker, Zugang zu dieser Information erhalten und auf erpresserische Weise ausnutzen.

Zum anderen bietet die Gesamtheit aller Zahlungen ein detailliertes Bild von den Konsumgewohnheiten einer Person. Unternehmen und Personen, die diese Information haben, könnten versucht sein, sie missbräuchlich zu nutzen oder an Dritte zu verkaufen, die sie dann zu zielgerichteter Werbung verwenden. Zum Dritten bietet die Kenntnis der Gesamtheit aller Zahlungen einer Person ein zusätzliches Erpressungspotential. Neben den bereits erwähnten einzelnen Zahlungen, die man nicht bekannt werden lassen möchte, können sich Informationen über entsprechende Zahlungsmuster ergeben oder Information über nicht getätigte Zahlungen, z.B. Spenden für wohltätige Institutionen. Schließlich eröffnet diese Kenntnis die Möglichkeit, das Konsumentenverhalten zu beeinflussen.

Als Akteure des Missbrauchs kommen auch „Hacker“ infrage, die in die IT-Systeme der Bank eindringen, ferner die Bank selbst und ihre Angestellten, schließlich staatliche Instanzen, die bei nur schwachem Schutz des Bankgeheimnisses Zugang zu den Informationen bekommen. Auch an die Geheimdienste verschiedener Länder ist hier zu denken. Die Möglichkeiten des Missbrauchs sind um so größer, je mehr die betreffenden Informationen zentral zusammengefasst und verarbeitet werden. Ein elektronisches Zahlungssystem, in dem alle Konten bei der Zentralbank geführt werden, wäre insofern noch bedrohlicher als ein elektronisches Zahlungssystem, bei dem die Konten wie bisher bei den Geschäftsbanken geführt werden und es dem einzelnen freisteht, durch Aufteilung seiner Konten und seiner Zahlungen auf verschiedene Banken zu verhindern, dass ein Gesamtbild seiner Transaktionen entsteht."

Aufgabe des unabhängigen Beirates ist es, die Ministerin in allen Fragen der Wirtschaftspolitik zu beraten. Seine Empfehlungen und Befunde sind aber nicht bindend.

Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries hat sich der Meinung ihrer Experten angeschlossen. Zypries: „Bargeld muss auch weiterhin ein wichtiges Zahlungsmittel bleiben. Es hat auch in Zeiten der Digitalisierung seine Berechtigung. Der unabhängige Wissenschaftliche Beirat plädiert mit überzeugenden ökonomischen Argumenten für die Beibehaltung des Bargelds als gesetzliches Zahlungsmittel. Ich danke dem Beirat für sein Gutachten, das einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Diskussion leistet.“ Allerdings hat die Meinung von Zypries kaum Gewicht. Die Ministerin hatte angekündigt, nach der Wahl nicht mehr für den Bundestag zur Verfügung zu stehen.

In ihrem Gutachten bezeichnen die Wissenschaftler die Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) als höchst gefährlich für das Finanzsystem. Die EZB konzentriere sich fast ausschließlich darauf, durch die Senkung der Zinssätze die Kreditvergabe anzukurbeln und damit die Konjunktur zu beleben. Die Belastungen des Finanzsektors dadurch aber würden hintangestellt. "Die seit 2014 verfolgte Geldpolitik der EZB trägt den genannten Risiken nicht angemessen Rechnung", stellen die Experten fest.

"Aus Sicht des Finanzsystems sind Zinssätze von Null oder gar negative Zinssätze aus verschiedenen Gründen sehr problematisch." So werde die nötige Sanierung des Sektors gehemmt. Bestimmte Probleme könnten sich sogar verschärfen, da der Druck auf die Gewinnmöglichkeiten der Banken anhalte. Denn die Bestände an neuen mit zu niedrigen Zinssätzen vergebenen Krediten nähmen bei den Geldhäusern beständig zu.

Als eine der Folgen der Nullzins-Politik nennt der Beirat, dass viele Finanzinstitutionen wie Versicherungen keine ausreichenden Gewinne mehr erzielen und ihre Kosten nicht mehr decken können. Hinzu kämen die Risiken für etliche Unternehmen, wenn es schließlich zu einer Zinswende komme. Auch für die Vermögensanlage gebe es negative Auswirkungen.

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