Die EZB wird laut Vizechef Vitor Constancio in wenigen Monaten ihren künftigen geldpolitischen Kurs abstecken. "Wir sind bis Dezember explizit auf eine Politik festgelegt. Das bedeutet automatisch auch, dass wir im Herbst über das weitere Vorgehen entscheiden müssen", sagte der Portugiese zu Reuters am Donnerstag am Rande einer EZB-Finanzkonferenz in Frankfurt. Die Europäische Zentralbank plant noch bis mindestens Dezember Wertpapiere im Umfang von 60 Milliarden Euro pro Monat anzukaufen, um damit die Wirtschaft anzukurbeln. An den Märkten wird darüber spekuliert, dass sie ab Januar 2018 damit beginnen wird, diese Summe abzuschmelzen und 2018 eine Abkehr von der Nullzinspolitik einzuleiten.
Wolfgang Schäubles Erwartungen, dass die EZB ihre Zinspolitik schon bald ändern werde, erweisen sich vor dem Hintergrund der jüngsten EZB-Aussagen als Wahlkampfparolen, um die Sparer zu beruhigen.
Constancio betonte, dass die Notenbank geldpolitisch nichts überstürzen werde und lieber auf Nummer sichergehe: "Es ist weniger riskant, länger eine lockere Linie zu fahren, als den geldpolitischen Impuls vorzeitig zu entziehen." Bei der Inflation müsse die Notenbank sicher sein, dass der Preisauftrieb nachhaltig sei. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent an. EZB-Präsident Mario Draghi hatte jüngst betont, trotz aufgehellter Konjunkturperspektiven und abnehmender Risiken sei weiter ein "sehr substanzieller" Konjunkturimpuls nötig. Das gesamte EZB-Kaufprogramm, das neben Staatsanleihen weitere Titel wie Firmenbonds und Pfandbriefe umfasst, soll bis Ende Dezember eine Größenordnung von 2,28 Billionen Euro erreichen.
Tatsächlich mehren sich die Zweifel, dass die EZB überhaupt aus dem System der Null- und Niedrigzinsen aussteigen kann, ohne einen echten Crash zu produzieren. Ein Indiz, dass man auch an den Märkten nicht mit einer Zinswende rechnet, gibt der Bond-Markt für langfristige Staatsanleihen. Marcus Ashworth von Bloomberg berichtet, dass die Franzosen nach dem Sieg von Emmanuel Macron eine 30-jährige Staatsanleihe begeben wollen. Auch die Italiener und Belgien sollen langfristige Bonds auflegen wollen. Die Europäische Investment Bank (EIB) hat am Dienstag eine 15-jährige Anleihe begeben. Die Anleihe von drei Milliarden Euro war mit neun Milliarden Euro überzeichnet. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump war das Interesse an langfristigen Bonds abgeflaut, die Aktienmärkte boomten. Bill Blain von Mint sieht in der Entwicklung ein Indiz, dass etwas faul ist im europäischen Anlagemarkt: Denn wenn die Ankündigungen der Erholung stimmen und die jüngsten politischen Ergebnisse in Frankreich und in den Niederlanden wirklich Entspannung gebracht hätten, würden Investoren mehr Risiko nehmen, anstatt sich in langfristigen Niedrigzinspapieren zu positionieren.
Die Rückkehr der langfristigen Investoren ist ein Hinweis, dass Sicherheit eine Rolle spielt und die Inflationserwartungen niedrig sind. Zugleich signalisiert die Entwicklung, dass die Investoren mit einer sehr lange Phase der Niedrig- und Nullzinsen rechnen.
Damit werden die Sparguthaben langfristig entwertet, sofern sich die Sparer nicht zu hochriskanten Investments entschließen. Die deutschen Sparer müssen sich also möglicherweise, wenn sie nicht ins Risiko gehen wollen, auf eine lange Periode mit empfindlichen Verlusten einstellen. Die einzige Methode ist der Gang ins Anlage-Casino, ein Schritt, der sich vor allem im Hinblick auf die Altersvorsorge nicht empfiehlt.
Zusätzlich zu den Verlusten wegen der Geldpolitik müssen sich die Sparer auf eine vom IWF vorgeschlagene neue Vermögenssteuer einstellen. Diese ist zwar noch nicht beschlossen. Außerdem müssen die Sparer mit weiteren Gebührenerhöhungen der Banken rechnen, so jedenfalls die Bafin. Daher gebietet es die Vorsicht, zusätzliche Rücklagen zu bilden. Wo man diese allerdings angesichts der niedrigen Zinsen anlegen soll, ohne weiter zu verlieren, kann zum aktuellen Zeitpunkt nicht beurteilt werden.