Für 65 Dollar über den Atlantik – bei Passagieren löst der Preis Jubelstürme aus, bei Managern von angestammten Großfluglinien blankes Entsetzen. Denn das Angebot ist eine Kampfansage an die Lufthansa, Air France und British Airways. Das Trio muss nun auch auf dem bisher abgeschotteten Markt für Übersee-Flüge mit den gleichen Rivalen kämpfen, die ihnen schon das Geschäft mit Kurzstrecken verdorben haben – Billigflieger. „Störenfriede wie Norwegian Air und Air Asia X haben den Markt aufgemischt und die Anbieter von Linienflügen dazu gezwungen, ihre Transatlantik-Strategien auf den Prüfstand zu stellen“, sagt Expertin Nadejda Popova vom Marktforscher Euromonitor zur Nachrichtenagentur Reuters.
Die Langstreckenflüge zwischen den Metropolen Europas und Nordamerikas sind besonders bei Geschäftskunden beliebt, die das Mehrfache eines Economy-Tickets für zehn Stunden in einem Business-Class-Sessel zahlen, und hochprofitabel. In die Bastion brechen nun die Newcomer ein und steigern diesen Sommer nach Berechnung der Flugrouten-Analysten von OAG ihre Kapazitäten um zwei Drittel. Als Antwort schicken Lufthansa und British Airways hauseigene Low-Cost-Ableger auf Interkontinental-Strecken.
Losgetreten haben den Trend die Billigfluglinien Norwegian Air und die isländische Wow Air. Bei letzterer landen die Jets zwischendurch in Reykjavik. Die eigentlich abgelegene Lage Islands im Nordatlantik sei hier ein Vorteil. „Die Insel ist das perfekte Sprungbrett für Transatlantikflüge“, sagt Airline-Chef Skuli Mogensen. Anders geht Norwegian vor, die von Juni an Flüge von Großbritannien und Irland an die US-Ostküste ab 65 Dollar für die einfache Strecke anbietet. Um die Kosten niedrig zu halten, setzt die in Oslo ansässige Airline als eine der ersten nicht mehr nur Großraumflugzeuge für die Ozeanüberquerung ein, sondern wesentlich kleinere Boeing-737-Jets. Die ursprünglich für wenige Stunden Flug konstruierten Maschinen wurden vom US-Hersteller überarbeitet und können nun längere Strecken ohne Auftanken zurücklegen. Zudem fliegt Norwegian nicht direkt New York und Boston, sondern kleinere Flughäfen an.
Die angestammten Airlines überlassen den Neueinsteigern das Feld nicht kampflos und versuchen, sie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Die Lufthansa wagte sich vor zwei Jahren vor und startete von Köln-Bonn aus mit dem eigenen Billigflieger Eurowings auf die Langstrecke. Der Anfang ging wegen Technikpannen und tagelanger Verspätungen gründlich schief, doch pendelte sich der Betrieb mit sechs Maschinen bald ein. Air France macht es den Deutschen nach und plant unter dem Projektnamen Boost bis Herbst eine ähnliche Airline. „Die Nachzügler bestätigen unsere damalige Entscheidung“, sagt Lufthansa-Chef Carsten Spohr Anfang der Woche auf einem Treffen der Flugbranche im mexikanischen Cancun.
Der British Airways-Iberia-Konzern IAG zog vor einer Woche mit der Tochter „Level“ nach, die von Barcelona aus mit zunächst zwei Airbus A330 nach Amerika startet und bald auch in andere europäische Städte expandieren will. Die Ticket-Verkäufe für die neue Airline lägen weit über den Erwartungen, sagt IAG-Chef Willie Walsh. Doch sind die neuen Lieblingskinder der Airline-Chefs noch sehr klein. Zum Vergleich: Allein die Lufthansa fliegt mit gut 100 Interkontinental-Jets um die Welt.
Ob sich mit dem Geschäftsmodell die hohen Gewinne von konventionellen Langstreckenflügen einfahren lassen, ist fraglich. „Auf dem Nordatlantik kann es funktionieren, da der Markt enorm groß ist“, sagt Luftfahrt-Unternehmensberater John Strickland. Auch in Asien könnte es klappen, doch insgesamt sei unklar, wie nachhaltig die Gewinne sein werden.
Zudem gibt es in der Branche namhafte Skeptiker. Michael O'Leary, Chef des Billigflug-Branchenprimus Ryanair, hat entsprechende Pläne wieder in die Schublade gelegt, da spritsparende Großraumflugzeuge derzeit nicht günstig genug zu haben sind. Zudem weisen Experten daraufhin, dass sich das Erfolgsrezept Billigflug nicht eins zu eins auf Überseeflüge übertragen lässt. Änderungen wie kurze Standzeiten an Airports und möglichst viele Flüge am Tag mit einer Maschine bringen wenig, wenn allein der Hinflug zehn Stunden dauert. Nach Aussage von Air France-KLM Chef Jean-Marc Janaillac müssen Low-Cost-Airlines auch die zahlungskräftigen Geschäftsreisenden an sich binden. „Es geht nicht nur um Kapazitäten, sondern darum, ob man die richtigen Flugzeiten, Vielfliegerprogramme und Anschlussflüge anbieten kann.“
Auch wenn die Billigflugbranche sich im Aufwind befindet, wird sie diesen Sommer auf den Strecken über den Nordatlantik erst auf einen Marktanteil von fünf Prozent kommen. Als Mahnung erzählt man sich in der Branche die Geschichte von Freddie Laker. Der nahm mit seiner eigenen Airline als Erster 1977 Billigflüge von London nach New York auf. Die Konkurrenten kappten daraufhin auch die Preise und hatten den längeren Atem: Laker Airways stellte fünf Jahre später den Betrieb ein.