Das im Folgenden Reinkom genannte Unternehmen stellt Reinigungsfahrzeuge für Wege und Straßen her. Europaweit hat der erfolgreiche Familienbetrieb Kunden, die ihm einen Umsatz von 60 Millionen Euro in die Kassen spülen. Die 370 Mitarbeiter werden von einer Doppelspitze in der Geschäftsführung, bestehend aus Vater Luis Vogler und Sohn Xaver, geführt. Eigentlich könnte es für Reinkom nicht besser laufen. Die Mannschaft war gut aufgestellt, die Strategie langfristig ausgerichtet – wenn da nicht ein Konflikt zwischen Vater und Sohn bestünde, der nur radikal zu lösen ist.
Das „(...) Verhältnis zwischen Vater und Sohn (war) getrübt, da der Sohn den Erwartungen des Vaters nicht gerecht wurde“, beschreiben Heiner Kübler und Carl A. Siebel in ihrem Buch „Mittelstand ist eine Haltung: Die stillen Treiber der deutschen Wirtschaft“ die Situation. Der 64-jährige Senior war nicht wirklich von seinem Sohn, dem Betriebswirt, überzeugt und traute ihm die Aufgabe nur bedingt zu. Doch der Sohn hatte durchaus Talente: „Besonders stolz war er darauf, als einziger von 110 Kandidaten ein Stipendium für ein Post-Graduate-Studium in Harvard bekommen zu haben“, so die Autoren. Der Firmenpatriarch habe darin aber keinen echten Wert zu erkennen vermocht. „Ihm wäre lieber gewesen, der Sohn hätte als Ingenieur reüssiert.“ Außerhalb des Familienbetriebs hatte Xaver Erfolge. Auch das konnte der Vater nicht anerkennen.
Im Unternehmen des Vaters angekommen, sollte der Sohn als kaufmännischer Geschäftsführer erstmals zeigen, was er konnte. „Doch neben dem übermächtigen Vater bekam der Junior (...) wenig Gelegenheit, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.“ Der Start verlief denkbar unglücklich. Erste Maßnahmen zeigten keinen Erfolg, Führungsfehler verstimmten die Belegschaft, neue Ideen stellten sich als wirklichkeitsfremd heraus. Die Skepsis des Vaters wuchs. „Es kam immer wieder zu Situationen, in denen der Vater den Sohn vor der Belegschaft kritisierte und damit bloßstellte“, so die Autoren.
Kann es da überhaupt zu einer friedlichen Nachfolge-Regelung kommen? Für Kübler und Siebel ist klar: Zwischen familiären Höflichkeiten und oberflächlichem, fachlichem Gespräch gibt es keinen echten Austausch. Die Loyalität der Mitarbeiter gehört dem Vater. Dessen Anwesenheit blockiert den Sohn. Erst bei großer Distanz kann der sein Potential entfalten.
Die Strategie war selbst für Vater und Sohn eindeutig: Einer von beiden musste gehen. Es wurden intensive Gespräche geführt und auch ein externer Berater herangezogen. „In einem mühsamen Prozess erkannte der Vater, dass er an der Vergangenheit des Unternehmens klebte und für die Zukunft eigentlich nicht mehr zuständig sein konnte.“ Es war an der Zeit Abschied zu nehmen. Auch der Sohn ging in sich und entwickelte Selbstbewusstsein. „Statt weiterhin zu versuchen, den technischen Ansprüchen und Hoffnungen seines Vaters gerecht zu werden, besann er sich auf seine betriebswirtschaftlichen Talente und Kompetenzen.“
Nach einem halben Jahr war es beschlossen: Der Vater ging und verzichtete künftig auf jedwede Mitwirkung. Er suchte sich eine neue Herausforderung auf anderem Gebiet und startete eine zweite Karriere im Weinhandel. Der Sohn blühte unterdessen vollständig auf – auch mit Unterstützung eines Psychologen, der ihm half, sich aus der Minderwertigkeitsfalle des verkannten Sohnes zu befreien. Der Führungsstil des Sohns gewann mehr und mehr Kontur: Loyalität, Vertrauen, Offenheit und Partizipation wurden zu Kernbegriffen der Unternehmenskultur.
Das Ergebnis: „Nach drei Jahren war das Unternehmensschiff klar auf Erfolgskurs ausgerichtet und auch personell stabilisiert“, berichten die Autoren. Vogler junior war so erfolgreich, dass am Ende auch Vater und Sohn wieder zueinander fanden. Entscheidend für diesen Erfolg war nach Einschätzung der Autoren zum einen die psychologische Unterstützung, zum anderen aber auch die klare Ausstiegsentscheidung des Vaters sowie die konsequente Umsetzung. Die Bereitschaft zu offenen Gesprächen des Juniors mit den Angestellten und die Neuorientierung des Vaters taten ihr Übriges.
Das Appell von Kübler und Siebel fällt in Anbetracht dieser Geschichte deutlich aus: „Nehmen Sie die Nachfolgestrategie so wichtig wie die Unternehmensstrategie. Entwickeln Sie als Senior rechtzeitig Ihr Konzept für das letzte Lebensdrittel. Lernen Sie als Junior, es Ihrem Vater nicht immer recht machen zu wollen“
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