Die Türkei will verhindern, dass die Kurden-Milizen im Norden des Landes einen Landkorridor zum Mittelmeer schaffen. Aus diesem Grund bereitet das Land derzeit eine großangelegte Operation auf die nordwestliche Stadt Afrin vor, die auf dem Landweg des geplanten Korridors liegt. Der türkische Generalmajor a.D. Naim Babüroglu sagte Haber 7: „Der syrische Ableger der PKK, die YPG, hat Afrin im Jahr 2012 eingenommen. Die YPG hat im Jahr 2016 auch Manbidsch erneut erobert. Diese beiden Städte befinden sich westlich des Euphrats. Afrin hat die Besonderheit, dass sich die Stadt gegenüber von Kilis und Hatay befindet – also direkt an unserer Grenze.
Die PKK bekommt für ihre Aktivitäten im türkischen Nurgebirge die größte Unterstützung aus diesem Gebiet. Die PKK will einen Korridor im Norden Syriens schaffen. Mit der Operation Euphrats Shield wurde dieser Korridor weitgehend unterbrochen. Allerdings sind Manbidsch und Afrin zwei wichtige Schlüsselstädte für die Schaffung dieses Korridors (…) Es gibt mehrere Gründe dafür, warum Russland sich aus Afrin zurückgezogen hat. Russland hat gemerkt, dass mit der Operation auf Rakka die YPG zu nah an die Seite der USA gerückt ist. Es ist bekannt, dass nach der Operation auf Rakka die Stadt Deir Ezor an der Reihe ist. Doch Deir Ezzor ist ein Gebiet, das die Russen und Syrer gemeinsam befreien wollen. Hinzu kommt die Drohung aus den USA, wonach beim Einsatz von Chemiewaffen die Amerikaner Syrien direkt angreifen wollen. Für Russland sind die US-Ziele in Syrien nun klarer geworden.“
Nach Informationen der Zeitung Habertürk wird Russland während der türkischen Operation den Luftraum über Afrin und dem Nordwesten Syriens schützen. Russland und die Türkei wollen im Nordwesten Syriens eine Deeskalationszone schaffen.
Russische Nahost-Experten sind der Ansicht, dass die Schwächung der Kurden-Milizen in Afrin den Interessen Syriens und der Türkei entspricht. „Die Türkei hat dort die Straßen vor einiger Zeit blockiert. Darüber hinaus tun die syrischen Kräfte dasselbe. Damaskus könnte auch eine Offensive starten, um einige Territorien in Afrin einzunehmen“, zitiert die Tass den Nahost-Experten Anton Mardasow.
Siman Hepo, Kommandeur der Kurden-Milizen, sagt in einem Interview mit der PKK-nahen Zeitung Yeni Özgür Politika: „Unsere Bündnisse und Erfolge stören den Block um Russland. Sie sind nicht glücklich mit uns.“
Auf Nachfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten, wie das Pentagon zur geplanten türkischen Operation auf Afrin steht, sagte der Pentagon-Sprecher Adrian J.T. Rankine-Galloway: „Das US-Verteidigungsministerium konzentriert sich darauf, ISIS zu besiegen. Wir sind uns der Situation in Afrin bewusst und wir rufen alle Parteien, die im Norden Syriens aktiv sind, auf, sich auf ISIS zu konzentrieren, die die größte Bedrohung für die regionale Stabilität darstellt. Das US-Verteidigungsministerium liefert Ausrüstungen an ausgewählte syrische Oppositionsgruppen, die Kampfhandlungen gegen ISIS durchführen. Dazu gehören kurdische Elemente der syrischen Demokratischen Kräfte. Gelieferte Ausrüstungen umfassen Kleinwaffen, Munition, schwere Maschinengewehre und Waffen, die in der Lage sind, spezifische Bedrohungen wie gepanzerte fahrzeuggetragene IEDs zu zerstören. Die syrischen Demokratischen Kräfte führen seit dem 6. Juni Kampfhandlungen zur Befreiung von Raqqa durch. Unser NATO-Verbündeter Türkei hat eine wichtige Rolle bei Operationen gespielt, um ISIS zu besiegen, vor allem, weil die Türkei den Zustrom von ausländischen Kämpfern nach Syrien eingedämmt hat, so dass ISIS keine neuen Kämpfer mehr rekrutieren kann. Die SDF, die mit der Unterstützung von U.S.- und Koalitionskräften zusammenarbeitet, ist die einzige Kraft zu Boden, die Rakka kurzfristig erobern kann.“
Am 2. Juli 2017 hatte der türkische Staatspräsident Erdogan den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu in Istanbul empfangen, um über die geplante Operation auf Afrin zu sprechen. Am Treffen nahmen auch der türkische Geheimdienst-Chef Hakan Fidan und der Chef des türkischen Generalstabs, Hulusi Akar, teil, berichtet The Independent. Nach Angaben der Jerusalem Post hatte Erdogan am 30. Juni 2017 ein halbstündiges Telefongespräch mit US-Präsident Donald Trump geführt, um auch mit ihm über die Operation auf Afrin zu sprechen. Genau Details über das Gespräch wurden nicht veröffentlicht.
Kurdische Milizen machen in der Gegend um Rakka weiter Fortschritte. Nach einem Bericht des Guardian sollen die von den USA kontrollierten Kurden-Milizen der SDF am Sonntag den Euphrat überquert haben, um einen Teil der Stadt Rakka vom Süden aus zu betreten. Im vergangenen Monat drangen die Kurden-Milizen vom Osten und Westen in die Stadt Rakka ein, ohne auf Gegenwehr der Terror-Miliz ISIS zu stoßen. Die US-geführten Milizen sollen somit den letzten Fluchtweg aus der Stadt Rakka versiegelt haben. Das Pentagon hatte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten bestätigt, dass die Kurden-Milizen sich zuvor in Verbindung mit ISIS gesetzt hatten, damit die ISIS-Milizen die Stadt Rakka friedlich verlassen können.
Die Washington Post führt in einer Analyse aus: „Die kurdisch geführte Miliz, die als Syrische Demokratische Kräfte umschrieben wird, hat gezeigt, dass sie ISIS besiegen kann, solange sie von der US-Luftwaffe unterstützt wird. Die Tabqa-Schlacht im Mai war vielleicht bisher die ehrgeizigste und kühnste Operation des Krieges. 500 SDF-Kämpfer wurden über dem Assad-See aus V-22 Osprey-Flugzeugen per Luft abgeworfen, um einen Überraschungsangriff gegen ISIS durchzuführen. Im Verlauf der blutigen Operation wurden 100 SDF-Kämpfer getötet und 300 weitere verletzt. Aber es funktionierte und in diesem Teil der Welt bringt Erfolg weiteren Erfolg.“
Insgesamt ist zu beobachten, dass sich die Friedensgespräche von Astana zwischen Russland, der Türkei und dem Iran positiv auf die Lage der Menschen in Syrien ausgewirkt haben. Im Jahr 2017 sind nach Angaben der Vereinten Nationen bislang knapp eine halbe Million syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt. Darunter seien rund 440.000 Syrer, die innerhalb des Landes auf der Flucht gewesen seien, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am vergangenen Freitag mit. Die meisten von ihnen kämen jetzt nach Aleppo, Hama, Homs und Damaskus zurück. Zudem seien mehr als 31.000 Flüchtlinge aus den Nachbarländern nach Syrien heimgekehrt. „Dies ist ein bedeutender Trend und eine bedeutende Zahl“, sagte ein UNHCR-Sprecher. Die meisten wollten zurück, um Familienmitglieder wiederzufinden und sich ein Bild von der Zerstörung ihrer Häuser und Besitztümer zu machen.