Politik

EZB hält an lockerer Geldpolitik fest

Lesezeit: 3 min
20.07.2017 16:33
Die EZB hält die Zeit für eine Zinserhöhung noch nicht gekommen.

Für die EZB ist die Zeit noch nicht reif, um über Änderungen am Anleihen-Kaufprogramm zu beraten. Die Diskussion darüber solle erst "im Herbst geführt werden", sagte EZB-Chef Mario Draghi am Donnerstag in Frankfurt. "Wir sind noch nicht so weit." Der EZB-Rat sei sich daher auch darüber einig gewesen, vorerst keine Änderung am Ausblick vorzunehmen. Die Notenbank müsse "geduldig und beharrlich" vorgehen. Der EZB-Rat hatte zuvor beschlossen, an der Option festzuhalten, den Umfang sowie die Dauer der betriebenen Anleihenkäufe bei Bedarf zu erweitern.

Ökonomen, Analysten und andere Experten sagten zu dem Beschluss der EZB und zu den Äußerungen Draghis in ersten Reaktionen laut Reuters:

ALEXANDER ERDLAND, PRÄSIDENT DES VERSICHERERVERBANDS GDV:

"Nach der Rede des EZB-Präsidenten Draghi in Sintra hat die Zentralbank heute kein weiteres Signal für den Beginn eines Ausstiegs gegeben. Dies ist bedauerlich, denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen rechtfertigen schon lange keine extrem expansive Geldpolitik mehr, und die Kosten dieser Politik – allen voran für die private Altersvorsorge – steigen mit jedem Tag. Weder der leicht festere Euro noch die aktuelle Inflationsentwicklung erlauben einen weiteren Aufschub. Die Deflationsgefahren sind überwunden, und die Preisstabilität ist – wie im Maastrichter Vertrag gefordert – im Kern gesichert. Daher muss die EZB den Krisenmodus nun endlich verlassen und eine Verringerung der Anleihekäufe am 7. September beschließen."

CHRISTIAN LIPS, NORDLB:

"Für Herbst kündigte Draghi eine Entscheidung zur Zukunft des Anleihen-Kaufprogramms an, dies wird der Einstieg in den Ausstieg und somit ein Politikwechsel sein. Die Marktreaktionen auf die Rede Draghis in Sintra zeigen jedoch das Dilemma, in dem sich die EZB befindet. Sie muss einen kontinuierlichen, aber vorsichtigen Ausstiegspfad finden, will sie Marktverwerfungen so weit wie möglich vermeiden. Der Exit wird ein Drahtseilakt für die EZB."

ALEXANDER KRÜGER, CHEFVOLKSWIRT BANKHAUS LAMPE:

"Die EZB hat heute vermittelt, dass sie nur sehr langsam aus der ultra-expansiven Geldpolitik aussteigen wird. Dies zeigt sich daran, dass sie eine Ausweitung ihres Kaufprogramms noch immer in Erwägung zieht. Mit ihrer Vorsicht beabsichtigt die EZB, einen für Anleger und Staaten schmerzhaften Renditeanstieg bei Staatsanleihen ("Taper Tantrum") zu vermeiden. Da das kaufbare Material 2018 aber knapp wird, dürfte die Ausstiegsdebatte bereits auf der Ratssitzung am 7. September zurückkehren."

JAN HOLTHUSEN, DZ BANK:

"Nun richten sich alle Augen auf den Auftritt von Mario Draghi bei der Fed-Konferenz in Jackson Hole Ende August. Hier hatte er vor drei Jahren die Märkte auf das aktuelle Anleihekaufprogramm vorbereitet. Nun mutmaßen viele, dass er dieses Forum nutzen könnte, um die Kommunikation für die Beendigung dieses Programms einzuleiten. Aus unserer Sicht sollte ein Ausstieg aus der extrem expansiven Geldpolitik sehr vorsichtig geschehen. Das gilt auch für die Kommunikation der Maßnahmen: So sind sich die EZB und auch Draghi bewusst, dass es gilt, eine Verselbstständigung der Markterwartungen zu verhindern. Ein zu starker Renditeanstieg soll auf jeden Fall vermieden werden."

MARCO BARGEL, CHEFÖKONOM POSTBANK:

"Draghi hat sich nicht klar geäußert, ob die EZB im September oder im Oktober schon etwas ändert. Er hält sich sehr bedeckt. Erwartungen an eine schnelle, starke Trendwende bei der EZB haben einen Dämpfer bekommen."

MICHAEL KEMMER, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER DES BANKENVERBANDES:

"Ich hätte mir gewünscht, dass die Europäische Zentralbank heute zumindest verbal einen weiteren kleinen Trippelschritt in Richtung Ausstieg aus der extrem expansiven Geldpolitik gewagt hätte. Die Konjunktur im Euro-Raum ist in einer guten Verfassung und die einst gehegten Deflationsbefürchtungen sind längst überwunden. Nach der Sommerpause wird der EZB-Rat über eine mögliche Reduktion des Aufkaufprogramms ab dem nächsten Jahr entscheiden. Eine Änderung der Leitzinsen ist aus heutiger Sicht aber noch bis weit ins nächste Jahr hinein unwahrscheinlich."

UWE BURKERT, CHEFVOLKSWIRT LBBW:

"Die Spekulationen nicht weiter anheizen, genau das hatte sich Draghi wohl heute vorgenommen. Nach seiner Rede in Sintra spekulierte der Markt über ein baldiges Ende des Anleihe-Kaufprogramms, der Euro wertete auf und die Renditen stiegen an. Die Inflationsrate sei niedrig und wird dies wohl auch bleiben. Daher gibt es laut EZB-Chef auch noch keinen Termin, wann die EZB das Programm überdenken möchte. Das kann ich nur schwer glauben! Ich vermute, die EZB ist sich bereits jetzt einig das Programm im September zu verlängern - dann aber bitte mit einem geringeren monatlichen Kaufvolumen."

FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW-INSTITUT:

"Die Weigerung der EZB, ein allmähliches Auslaufen der Wertpapierkäufe auch nur kommunikativ vorzubereiten, wirkt zunehmend dogmatisch. Die Kreditversorgung der Unternehmen hat sich spürbar verbessert, der Konjunkturaufschwung in der Euro-Zone gewinnt an Breite und die Kern-Inflationsrate klettert. In diesem Umfeld ist die sehr aggressive Kombination aus Negativzinsen und Wertpapierkäufen geldpolitisch nicht mehr rational. Durch ihre Schweigsamkeit zu den Exit-Plänen für Anleihekäufe und Negativzinsen riskiert die EZB zunehmend, dass sie die Märkte nicht mehr rechtzeitig auf die im nächsten Jahr unverzichtbare geldpolitische Wende vorbereiten kann. Der EZB-Rat darf daher die nächste Chance für eine Neuausrichtung der Kommunikation in der Sitzung am 7. September nicht ungenutzt verstreichen lassen."

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...