Politik

Devisen in Venezuela werden knapp, Russland gibt Kredit

Die USA wollen den Druck auf Venezuela verstärken, doch Russland sieht eine Chance und gewährt dem Land Kredite in einer höchst prekären finanziellen Lage.
18.08.2017 01:25
Lesezeit: 3 min

Venezuela wird Experten zufolge nach der Bedienung seiner Schulden in diesem Jahr kaum noch über harte Devisen für den Import von grundlegenden Konsumgütern verfügen. Dies könnte die Lebensmittel- und Medikamentenknappheit verstärken und zu einer Inflation im prozentual dreistelligen Bereich führen, wie aus Dokumenten von Fachleuten hervorgeht, in die die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte. Das krisengeschüttelte Land muss demnach in diesem Jahr Zahlungen von 1,3 Milliarden Dollar leisten. Ihm stehen der Wirtschaftswissenschaftlerin Tamara Herrera von Financial Synthesis zufolge bis Jahresende dafür etwa zwei Milliarden Dollar zur Verfügung. "Die Schwäche der Zentralbank bei Devisen hat die finanzielle Verwundbarkeit des Landes verstärkt", konstatierte Herrera.

Am Donnerstag verfügte Venezuela über 9,9 Milliarden Dollar an Devisen – einer der niedrigsten Werte seit 22 Jahren. Viele der Reserven des Landes liegen allerdings in Form von Gold vor und stehen damit kurzfristig nicht für die Begleichung von Schulden zur Verfügung.

Die finanzielle Lage wird durch Probleme beim staatlichen Öl-Konzern PDVSA verstärkt. Öl-Verkäufe machen mehr als 90 Prozent der Exporte des OPEC-Mitglieds aus. Wie Reuters von drei Insidern erfuhr, liegt seit mehr als ein Monat der mit etwa einer Million Barrel Öl beladene Tanker "Karvounis" vor der Küste des US-Bundesstaates Louisiana. Der designierte Käufer PBF Energy findet nach Informationen aus der Schifffahrtsbranche keine Bank, die die notwendigen Geschäfte zur Löschung der Ladung abschließen will. PDVSA lehnte eine Stellungnahme ab, ein Vertreter von PBF erklärte, die Umstände der Lieferung seien vertraulich.

Wegen der politischen Lage in dem Land scheuen internationale Großbanken derzeit vor Venezuela-Geschäften zurück. Die Schweizer Credit Suisse hat ihren Mitarbeitern Transaktionen mit bestimmten Venezuela-Anleihen untersagt.

Die USA wollen nach Worten von Vizepräsident Mike Pence die venezolanische Regierung mit diplomatischem und wirtschaftlichem Druck dazu bewegen, die Demokratie wiederherzustellen. Präsident Donald Trump habe bereits klargestellt, dass man eine Diktatur nicht hinnehmen werde, sagte Pence am Montag bei einem Besuch in der kolumbianischen Stadt Cartagena. "Ein gescheiterter Staat in Venezuela bedroht die Sicherheit und den Wohlstand auf dem ganzen Kontinent und das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika." US-Präsident Donald Trump hatte vor einigen Tagen sogar eine militärische Intervention nicht ausgeschlossen.

Russland hat eine andere Strategie gewählt: Die Regierung in Moskau versorgt die venezolanische Führung mit dringend benötigtem Geld, um einen Staatsbankrott zu verhindern, wie mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters sagen. Als Gegenleistung erhält sie Öl. Der russische Konzern Rosneft ist in diesem Zusammenhang zu einem wichtigen Mittelsmann geworden, um Erdöl des lateinamerikanischen Landes auf dem Weltmarkt zu verkaufen.

Mindestens seit Anfang des Jahres verhandelt der venezolanische Ölkonzern PDVSA schon hinter verschlossenen Türen mit Rosneft über Beteiligungen an bis zu neun der produktivsten Ölfelder, wie ein hochrangiger Regierungsvertreter aus Caracas und Brancheninsider sagen. Allein im April zahlte Rosneft mehr als eine Milliarde Dollar im Tausch für ein Versprechen auf spätere Öl-Lieferungen, so ein hochrangiger PDVSA-Mitarbeiter. Bei mindestens zwei Gelegenheiten sei russisches Geld verwendet worden, um einen Zahlungsausfall zu verhindern.

PDVSA und die venezolanische Regierung wollten sich nicht zu den Reuters-Informationen äußern. Auch die russische Regierung und Rosneft lehnten eine Stellungnahme ab.

Venezuela verfügt über die weltgrößten Ölreserven und erwirtschaftet nahezu seine gesamten Einnahmen aus dem Verkauf des Rohstoffs. Angesichts des Preisverfalls in den vergangenen Jahren ist Präsident Nicolas Maduro und seine Regierung aber in Geldnot geraten und kann die großzügigen Subventionen bei Lebensmitteln, Treibstoff oder Medizin, die Maduros Vorgänger Hugo Chavez eingeführt hatte, kaum noch zahlen. Die Währung des Landes ist inzwischen nahezu wertlos, die Inflation dürfte nach einer Prognose des Internationalen Währungsfonds in diesem Jahr auf 700 Prozent steigen. Auch die Investitionen in das Ölgeschäft gehen deutlich zurück, was die Förderung bremst: In der ersten Jahreshälfte war sie so gering wie seit 27 Jahren nicht mehr.

Bei der Opposition stößt die Annäherung an Russland auf Kritik. "Rosneft verschafft sich definitiv Vorteile aus dieser Situation", sagt der Parlamentsabgeordnete Elias Matta. "Sie wissen, dass es eine schwache Regierung ist, dass sie verzweifelt nach Geld sucht – und sie sind Haie." Rosneft hat sich inzwischen als Mittelsmann für venezolanische Ölexporte positioniert, wie auch aus internen Dokumenten hervorgeht. Ein Großteil dieses Öls geht demnach trotz der geltenden Russland-Sanktionen in die USA. Möglich wird dies, weil Zwischenhändler eingeschaltet werden. Täglich setzt Rosneft nach Handelsdokumenten von PDVSA etwa 225.000 Barrel (je 159 Liter pro Barrel) venezolanisches Öl ab, das entspricht 13 Prozent der gesamten Ausfuhren und der Menge, die ein Land wie Peru täglich benötigt.

Die Regierung in Caracas bezeichnete die russischen Investitionen in seine Ölbranche zuletzt als Vertrauensbeweis. Insbesondere in den vergangenen beiden Jahren ist Maduro näher an Russland herangerückt, nachdem China seine Unterstützung nach Korruptionsfällen und Zahlungsproblemen zurückgefahren hat, wie Analysten und Vertreter der Ölbranche erklären. Auch westliche Firmen haben ihre Investitionen in Venezuelas Ölbranche gekürzt. "Die Russen kriegen Venezuela jetzt zum Tiefstpreis", sagt ein westlicher Diplomat. Und während andere Unternehmen ihre Büros aufgeben, hat Rosneft erst kürzlich eine weitere Etage dazugemietet und neue Mitarbeiter eingestellt. Derzeit gehören Rosneft bereits größere Anteile an fünf venezolanischen Ölprojekten. Die neun neuen Projekte, die nun im Gespräch sind, sind Brancheninsidern zufolge fünf Vorkommen im ölreichen Orinoco-Becken, drei in der Maracaibo-See und eines im Golf von Paria.

Nach Reuters-Berechnungen haben Russland und Rosneft Venezuela seit 2006 mindestens 17 Milliarden Dollar an Krediten eingeräumt. Venezuela selbst legt keine Daten zu den russischen Darlehen vor.

Doch die russische Strategie ist risikobehaftet. Viele westliche Ölfirmen hatten einen Rückschlag erlitten, als Maduros Vorgänger Chavez die Branche im Land verstaatlichte. Sollte die Opposition an die Macht kommen, könnte es Rosneft ähnlich gehen.

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