Anne-Beatrice Clasmann von der dpa hat ein interessantes Interview mit einem Flüchtling aus Syrien geführt:
Neun Monate verbringt Masoud Aqil in Syrien in der Gewalt der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die IS-Kämpfer foltern und demütigen den Journalisten. Sie schleppen ihn von einem Kerker zum nächsten. Der junge Kurde muss Schmerzen ertragen und unbeschreibliche Grausamkeiten mit ansehen, bevor er im September 2015 bei einem Gefangenenaustausch freikommt.
Heute lebt der 24-Jährige mit seiner Mutter in Deutschland - einem Land, von dem er sagt, seine Bevölkerung sei im Umgang mit der Gefahr durch eingesickerte Terroristen erstaunlich naiv. Um sie aufzurütteln, hat der Flüchtling jetzt mit Hilfe des deutschen Journalisten Peter Köpf ein Buch verfasst. Es heißt: «Mitten unter uns. Wie ich der Folter des IS entkam und er mich in Deutschland einholte».
Die englischen Aufzeichnungen für das Buch habe er 2016 verfasst, sagt Aqil. Er verzieht das Gesicht. Damals wohnte der Syrer noch in einem Flüchtlingsheim. Er sagt, man habe ihn dort nicht gut behandelt, es gab keine Privatsphäre. Aqil hat inzwischen einen Job und eine kleine Wohnung gefunden.
Der junge Mann mit der dicken schwarzen Brille will eigentlich nicht klagen. Er will auch trotz der in Gefangenschaft erlittenen Qualen nicht, dass man in ihm in erster Linie ein Opfer sieht. Er will gegen den IS kämpfen, hier in Deutschland. Indem er die Menschen aufklärt und die Behörden informiert, wenn ihm wieder einmal jemand auffällt, der in sozialen Medien zur Gewalt gegen «Ungläubige» aufruft oder mit Gräueltaten prahlt, die er in Syrien oder im Irak verübt haben soll.
Aqil lacht, wenn er beschreibt, dass einige der mutmaßlichen Terroristen und Kriegsverbrecher ihr Facebook-Profil mit der IS-Fahne schmücken und daneben einen Ort in Deutschland angeben, in dem sie untergekommen sind. Er sagt: «Das sind nicht so schlaue Typen.» Aus seiner Zeit in Gefangenschaft weiß er: «Mehr als die Hälfte der Terroristen, die in Syrien für den IS kämpfen, sind Ausländer. Von den Syrern haben sich vor allem die Ungebildeten, die Armen und die Dorfbewohner dieser Gruppierung angeschlossen.»
Den deutschen Behörden rät er, die Identität jedes Asylbewerbers akribisch zu überprüfen. Er sagt, man solle «nicht alle verdächtigen und in einen Topf werfen». Doch wenn jemand ohne Papiere ankomme, seien Zweifel immer angebracht. Die Erklärung, jemand habe Pass, Personalausweis oder andere Dokumente «auf der Flucht verloren», könne zwar in einzelnen Fällen richtig sein, sagt er. Oft sei dies aber ein Vorwand, um die wahre Identität zu verschleiern - etwa in der Absicht, sich einen Vorteil im Asylverfahren zu verschaffen.
Als vor wenigen Wochen der Verfassungsschutzbericht für 2016 vorgelegt wurde, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU), es gebe mit 680 Gefährdern so viele von ihnen wie nie zuvor. Ihnen wird jederzeit ein Anschlag zugetraut. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sagte bei der Vorlage, es habe bislang insgesamt 930 Ausreisen von Islamisten ins Kriegsgebiet der Terrormiliz Islamischer Staat nach Syrien und den Irak gegeben.
Doch so sehr Aqil auch daran gelegen ist, vor islamistischen Terroristen zu warnen: Für Deutsche, die alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen, hat er kein Verständnis. In seinem Buch beschreibt er, wie er wenige Tage nach dem Terroranschlag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt mit mehreren Toten seine Mutter zum Arzt begleitet. Der Arzt habe ihn, als er erfahren habe, dass er aus Syrien stamme, gefragt, ob er einen Lastwagen steuern könne. Als er dies bejaht habe, antwortete der Arzt zynisch: «Dann nimm zusammen mit deiner Mutter einen Lastwagen, suche einen belebten Platz und fahre mitten in die Menschenmenge hinein», erinnert sich Aqil.
Im Dezember 2016 hatte der Tunesier Anis Amri einen gestohlenen Lastwagen in eine Menschenmenge auf dem Markt vor der Gedächtniskirche gesteuert und zwölf Menschen getötet.
Der kurdische Journalist sagt, er wolle sich nicht vor dem IS verstecken, sondern sein Gesicht zeigen. Doch sorglos ist Aqil nicht. In welcher deutschen Stadt er lebt, möchte er öffentlich lieber nicht sagen.