Politik

Ohne Bargeld funktioniert Wirtschaft in Indien nicht mehr

Seit dem im November 2016 verkündeten Bargeldverbot ist Indien als wichtiger Treiber der Weltwirtschaft teilweise ausgefallen.
09.10.2017 16:56
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die im November 2016 überraschend verkündete Bargeld-Reform hat das Wachstum der indischen Volkswirtschaft deutlich geschwächt. Indiens Premierminister Narendra Modi hatte am 8. November 2016 für die Bürger des Landes vollkommen überraschend bekanntgegeben, dass mit sofortiger Wirkung alle 500- und 1000-Rupien-Scheine ihre Gültigkeit verlieren. Damit wurden über Nacht rund 86 Prozent des gesamten in Umlauf befindlichen Bargeldes wertlos, weil es sich bei den betroffenen Scheinen um jene mit den größten Nennwerten gehandelt hat.

Wirtschaftsdaten, die Bloomberg zusammengestellt hat, zeigen, dass sich das Verbot negativ auf die Konjunktur ausgewirkt hat. Insbesondere die Arbeitslosigkeit hat deutlich zugenommen – ein Trend, der sich schon kurz nach der Verkündung der Reform angedeutet hatte.

Schätzungen zufolge wird die Anzahl von Arbeitsplätzen in der industriellen Produktion im laufenden Jahr um bis zu 30 Prozent sinken, berichtet Bloomberg. Andere Umfragen zeigen, dass im laufenden Jahr wahrscheinlich so wenig neue Stellen geschaffen werden, wie zuletzt vor 12 Jahren. Zwischen März 2014 und März 2016 soll einem Bericht des Economic & Political Weekly zufolge die Anzahl aller Arbeitsplätze landesweit erstmals seit Erhalt der Unabhängigkeit Ende der 1940er Jahre zurückgegangen sein.

Besondere Relevanz nicht nur für das Land, sondern auch für die Weltwirtschaft, hat die sich seit Monaten abschwächende Kauflaune der Inder. Indien galt lange als rasch wachsendes Land mit einer konsumfreudigen Bevölkerung von etwa 1,3 Milliarden als wichtigster Zukunftsmarkt für Unternehmen und Banken aus den entwickelten Staaten. Die in das Land gesetzten Hoffnungen scheinen sich vorerst nicht zu erfüllen. „Im ersten Halbjahr gaben die Inder den Spitzenplatz beim Asia Consumer Confidence Index ab und ein Bericht der Zentralbank bekräftigte den negativen Ausblick vergangene Woche. Rund 27 Prozent der befragten Inder gaben an, dass ihr Einkommen gesunken sei. Das gesamte Sentiment rutschte in die ‚pessimistische Zone‘. Die Zentralbank beschrieb das Thema Arbeitslosigkeit als größtes Problem“, schreibt Bloomberg.

Die Daten der Zentralbank zeigen, dass die Zukunftsaussichten zur Zeit des Bargeldverbots im November 2016 mit rund 130 Punkten einen vorläufigen Höchstwert erreicht hatten und seitdem auf unter 120 Punkte gesunken sind. Die Wahrnehmung der aktuellen Lage erreichte zum Zeitpunkt des Verbots etwa 112 Punkte und wird nun von den befragten Managern mit etwa 95 Punkten bewertet.

„Es gibt eine ganze Reihe von Ungewissheiten, welche den kurzfristigen Ausblick für die indische Wirtschaft verdunkeln. Das Risiko falscher Entscheidungen seitens der Regierung ist hoch“, wird ein Analyst der Deutschen Bank in Mumbai zitiert.

Die Aussichten für die kommenden Monate sind auch deshalb schlecht, weil die Investitionen der Unternehmen zurückgehen. Im dritten Quartal wurden Projekte im Gesamtumfang von 512 Milliarden Rupien (rund 7,8 Milliarden Dollar) verwirklicht und damit so wenig wie seit dem Jahr 2014, berichtet das Centre for Monitoring Indian Economy. Der monetäre Umfang von Investitionsplänen aus dem Privatsektor fiel auf einen so geringen Stand wie zuletzt vor etwa dreieinhalb Jahren und die Anzahl an geplanten Projekten so tief wie zum letzten Mal vor 13 Jahren. Zudem belastet die Umstellung nach einer tiefgreifenden Steuerreform die Wirtschaft.

Zu den Gründen für die zögerlichen Investitionen der Unternehmen gehört die schwächelnde Nachfrage der Bürger, welche wiederum Folge der veränderten Dynamik auf dem Arbeitsmarkt sowie die Tatsache geschuldet ist, dass viele Unternehmen hoch verschuldet sind und ihre Ausgaben auf den Schuldendienst konzentrieren müssen.

Im Zuge der eingeschränkten Investitionstätigkeit und der Überschuldung vieler Unternehmen ist auch die Kreditvergabe der Banken an die Realwirtschaft zurückgegangen. Der indischen Niederlassung der US-Ratingagentur Fitch zufolge soll das Wachstum bei Krediten so schwach sein wie zuletzt in den 1980er Jahren. „Ausfallgefährdete Unternehmensanleihen könnten eine Erholung bei der Kreditvergabe noch zwei bis drei Jahre hinauszögern“, schreibt die Agentur.

Indiens Banken ächzen unter faulen Krediten in Rekordhöhe. Im ersten Halbjahr stieg das Volumen dieser Risikodarlehen in der drittgrößten Volkswirtschaft Asiens um 4,5 Prozent auf die neue Höchstmarke von umgerechnet rund 123 Milliarden Euro, wie aus noch unveröffentlichten Daten hervorgeht, die Reuters auf Anfrage von der Zentralbank erhalten hat. Damit kommt die Regierung von Ministerpräsident Narendra Modi bei der Lösung dieses Problems offenbar nicht voran. Zwar verlangsamte sich der Anstieg von einem Zuwachs von 5,8 Prozent in den sechs Monaten zuvor. Doch legte der Anteil der faulen Kredite am Gesamtvolumen der Darlehen Ende Juni auf 12,6 Prozent und damit den höchsten Stand seit 15 Jahren zu.

Die Entwicklung nagt an den Gewinn den Banken und dämpft die Vergabe neuer Kredite vor allem an kleinere Firmen. Dies erschwert die Versuche der Regierung, die abkühlende Konjunktur anzukurbeln. Die Wirtschaft war im zweiten Quartal mit 5,7 Prozent so langsam gewachsen wie seit drei Jahren nicht mehr. Auch weil deswegen mehr Schuldner in die Pleite rutschen, müssen die Geldhäuser ihre Rückstellungen erhöhen. Dies setzt Modi unter Druck, der sich 2019 der Wiederwahl stellen will. Er hat versprochen, bis dahin Millionen neue Jobs zu schaffen.

Die Regierung in Neu Delhi besitzt nur begrenzte Möglichkeiten, die wirtschaftliche Dynamik mit Konjunkturprogrammen zu stimulieren, weil die Inflation bereits stark ist und die finanziellen Spielräume gering sind. Indien weist ein beträchtliches Haushaltsdefizit auf.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundesbank: Deutsche Exportwirtschaft verliert deutlich an globaler Stärke
14.07.2025

Die deutsche Exportwirtschaft steht laut einer aktuellen Analyse der Bundesbank zunehmend unter Druck. Branchen wie Maschinenbau, Chemie...

DWN
Immobilien
Immobilien Gebäudeenergiegesetz: Milliardenprojekt für 1,4 Billionen Euro – hohe Belastung, unklare Wirkung, politisches Chaos
14.07.2025

Die kommende Gebäudesanierung in Deutschland kostet laut Studie rund 1,4 Billionen Euro. Ziel ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen im...

DWN
Politik
Politik EU plant 18. Sanktionspaket gegen Russland: Ölpreisobergrenze im Visier
14.07.2025

Die EU verschärft den Druck auf Moskau – mit einer neuen Preisgrenze für russisches Öl. Doch wirkt die Maßnahme überhaupt? Und was...

DWN
Technologie
Technologie Datenschutzstreit um DeepSeek: Deutschland will China-KI aus App-Stores verbannen
14.07.2025

Die chinesische KI-App DeepSeek steht in Deutschland unter Druck. Wegen schwerwiegender Datenschutzbedenken fordert die...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 unter Druck – Sommerkrise nicht ausgeschlossen
14.07.2025

Donald Trump droht mit neuen Zöllen, Analysten warnen vor einer Sommerkrise – und die Prognosen für den S&P 500 könnten nicht...

DWN
Politik
Politik Wenn der Staat lahmt: Warum die Demokratie leidet
14.07.2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt eindringlich vor den Folgen staatlicher Handlungsunfähigkeit. Ob kaputte Brücken,...

DWN
Politik
Politik Fluchtgrund Gewalt: Neue Angriffe in Syrien verstärken Ruf nach Schutz
14.07.2025

Trotz Versprechen auf nationale Einheit eskaliert in Syrien erneut die Gewalt. Im Süden des Landes kommt es zu schweren Zusammenstößen...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut nach 45 Beitragsjahren: Jeder Vierte bekommt weniger als 1300 Euro Rente
14.07.2025

Auch wer sein Leben lang gearbeitet hat, kann oft nicht von seiner Rente leben. Dabei gibt es enorme regionale Unterschiede und ein starkes...