Politik

Katalonien verschiebt Ausrufung der Unabhängigkeit

Lesezeit: 3 min
10.10.2017 19:22
Präsident Puigdemont hat die formale Erklärung der Unabhängigkeit Kataloniens verschoben. Er will zuerst mit der spanischen Regierung in einen Dialog eintreten.

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Spanien  

Der katalanische Präsident hat auf die Ausrufung der Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien vorerst verzichtet: Aus Respekt vor dem Volk schlage er vor, die Frage der Unabhängigkeit zu einem späteren Zeitpunkt zu diskutieren. Er wolle keine Gewalt, die Frage der Unabhängigkeit müsse in Ruhe verhandelt werden. Er setze auf Dialog und europäische Vermittlung. Bereits am Nachmittag hatte sich abgezeichnet, dass Puigdemont einen Rückzieher machen würde.

Puigdemont sagte, dass trotz der Repressionen drei Millionen Katalanen an dem Referendum teilgenommen hätten. Es sei ein historischer Moment für Katalonien. Er kritisierte Spanien wegen der Gewalt und wegen der Tatsache, dass Madrid nur 47 Prozent der katalanischen Autonomieforderungen akzeptiert habe. Die aktuelle Verfassung entspreche nicht den Vorstellungen der Katalanen. Er wolle eine Veränderung der katalanischen Verfassung auf legalem Weg. Die Regierung in Madrid habe den Dialog verweigert und mit Gewalt auf die Wünsche der Katalanen reagiert. Daher habe sich die Mehrheit der Katalanen überzeugen lassen, dass Katalonien ein eigener Staat werden solle. Dazu habe die Regierung ein Referendum abgehalten – wie Schottland – mit einer klaren Fragestellung. In Großbritannien sei es möglich gewesen, in Spanien habe es immer nur ein Nein zu dem Referendum gegeben. Das Nein habe sich in der Gewalt der Polizei gegen die Katalanen ausgedrückt. 18 Mitarbeiter der Regierung seien ohne Angabe von Gründen verhaftet worden.

Die letzte Hoffnung sei der spanische König gewesen, doch auch diese Hoffnung sei enttäuscht worden.

Auf Spanisch appellierte Puigdemont an die spanischen Medien, sie mögen verstehen, warum die Katalanen so handeln. Sie seien nicht verrückt, sie wollten einen Dialog und Demokratie.

Ines Arrimadas von der Oppositionspartei Ciudadanos attackierte Puigdemont scharf und sagte, er sei ein Nationalist und vertrete mit seiner Politik die Antithese Europas.

Die spanische Regierung hat die Erklärung des katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont zurückgewiesen. Die "implizite" Erklärung der Unabhängigkeit Kataloniens sei "unzulässig", erklärte ein Regierungssprecher am Dienstagabend in Madrid.

Ministerpräsident Mariano Rajoy will am Mittwoch im Parlament in der Hauptstadt auf Puigdemont antworten. Zuvor soll das Kabinett am Vormittag zu einer Sondersitzung zusammenkommen.

Nach seiner Rede unterzeichnete Puigdemont und andere katalanische Politiker eine Unabhängigkeitserklärung, in der die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen wird, Katalonien als souveräne Republik anzuerkennen. Zuvor hatte er aber im Parlament klargestellt, dass diese Erklärung zunächst keine formellen Auswirkungen haben soll: "Ich möchte den Weg der Unabhängigkeit gehen", sagte Puigdemont vor den Abgeordneten. Er sei aber dafür, die Effekte der Unabhängigkeitserklärung auszusetzen, um Gespräche für eine einvernehmliche Lösung zu führen. Er sprach sich auch für einen Dialog mit dem Rest Spaniens aus. Er wolle, dass es ein neues Verständnis gebe. Es sei wichtig, die Spannungen in Katalonien abzubauen.

Puigdemont versuchte damit offenbar, eine weitere Eskalation der Krise zu vermeiden. Bereits am Montagabend hatte die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, an ihn appelliert, nicht die Unabhängigkeit auszurufen. Gleichzeitig forderte sie Rajoy auf, nicht unter Berufung auf den Verfassungsartikel 155 die Regionalregierung zu entmachten. Es müsse Zeit für Verhandlungen gewonnen werden.

Die Aussicht auf eine Deeskalation dämpfte an den Finanzmärkten Sorgen vor wirtschaftlichen Turbulenzen in der EU und der Euro-Zone. Die Gemeinschaftswährung legte nach der Puigdemont-Rede auf ein neues Tageshoch zu. Zuvor waren die Anleger an den europäischen Aktienmärkten in Deckung gegangen, der Dax und der EuroStoxx50 schlossen leicht im Minus.

Rajoy hatte als Vorbedingung für Gespräche den Verzicht auf die Ausrufung der Unabhängigkeit gefordert. Erst dann könne etwa über eine Besserstellung Kataloniens im Interessensausgleich zwischen den spanischen Regionen und der Zentralregierung gesprochen werden. Mehrmals hatte er betont, eine Loslösung der wohlhabenden Region im Nordosten Spaniens nicht zu akzeptieren und mit einem Entzug des Autonomiestatus gedroht.

Vize-Ministerpräsidentin Soraya Saenz de Santamaria kündigte an, dass die Regierung am Mittwoch über ihr weiteres Vorgehen beraten werden. Rajoy sei dazu auch mit anderen Parteien im Gespräch. Eine internationale Vermittlung, zu der beispielsweise die Schweiz bereit wäre, lehnte sie wie zuletzt auch Rajoy ab. "Weder Herr Puigdemont noch sonst jemand kann eine Vermittlung aufdrängen", sagte sie. "Jeder Dialog zwischen Demokraten muss innerhalb des Gesetzes stattfinden." Puigdemont hatte sich in den vergangenen Tagen intensiv um eine internationale Vermittlung bemüht, sich aber nur Absagen eingehandelt. So erklärte die EU mehrmals, der Streit sei eine innerspanische Angelegenheit und müsse auch dort gelöst werden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte am Dienstag am Rande des EU-Finanzminister-Treffens in Luxemburg vor der Rede: "Ich wünsche mir, dass die Entwicklung im Rahmen der spanischen Verfassung weitergeht."

Der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos erklärte, alle konservativen Regierungen in Europa hätten sich hinter Rajoy gestellt. Er sei sicher, dass auch Sozialisten und Liberale in der EU eine Abspaltung Kataloniens ablehnten. Dagegen warf der Sprecher der Regionalregierung der Zentralregierung vor, Druck auf Unternehmen auszuüben, damit diese Standorte aus Katalonien in andere Teile Spaniens verlegten.

Puigdemont beruft sich auf den Ausgang des Referendums vom 1. Oktober, das vom spanischen Verfassungsgericht vorab für illegal erklärt worden war. Etwa 90 Prozent hatten für die Unabhängigkeit gestimmt. Allerdings lag die Wahlbeteiligung nur bei 43 Prozent. Viele Unabhängigkeitsgegner blieben den Wahlurnen fern. Zudem hatten zuletzt die Gegner der Unabhängigkeit mobilisiert. Am Wochenende demonstrierten Hunderttausende Menschen gegen eine Loslösung Kataloniens von Spanien.

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