Finanzen

EZB mit vorsichtiger Wende: Aktienanleger hoch erfreut

Die EZB hat eine Absenkung der Käufe von Staatsanleihen angekündigt. Sie hält sich aber weiterhin alle Möglichkeiten offen.
26.10.2017 17:40
Lesezeit: 3 min

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Die EZB drosselt ihr Anleihenankaufprogramm, fährt jedoch weiter auf Niedrigzinskurs. An der Börse wurde der EZB-Entscheid mit Freude aufgenommen. Unmittelbar darauf reagierte der deutsche Leitindex DAX auf die Mitteilung über die künftige Vorgehensweise der Zentralbank mit einem Anstieg. Der DAX schloss auf dem höchsten Kurs der Geschichte mit 13.133,28 Punkten. Zeitgleich schwächte sich auch der Euro gegenüber dem US-Dollar ab.

Auch beim Einlagensatz, dem „Strafzins für die Banken“, von aktuell -0,4 Prozent und beim Spitzenrefinanzierungssatz von derzeit 0,25 Prozent gibt es keine Veränderungen. Das EZB-Gremium um Mario Draghi ist weiterhin der Meinung, dass die Leitzinsen noch für längere Zeit und auch weit nach dem Abschluss des Anleihekaufprogramms auf dem derzeitigen Niveau verharren werden. Zudem hat die europäische Zentralbank eine Verlängerung ihres Anleihekaufprogramms um ein Dreivierteljahr bis frühestens September 2018 beschlossen. Ab Januar kommenden Jahres soll das monatliche Volumen der Ankäufe von Staats- und Unternehmensanleihen sowie anderen Wertpapieren von derzeit 60 Milliarden auf 30 Milliarden Euro verringert werden.

Nach Äußerungen Mario Draghis wird der Zeitpunkt September 2018 nur als das frühestmögliche Datum für ein Ende Anleihekäufe betrachtet. In einem weiteren Kommentar zum Zinsentscheid betont die EZB, dass die Rückkaufmaßnahmen für Anleihen auf jeden Fall so lange andauern soll, bis „der EZB-Rat eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung erkennt, die mit seinem Inflationsziel im Einklang steht.“ Ferner verlautete aus dem Kreis der europäischen Zentralbank, dass die Anleiherückkäufe im Hinblick auf die Dauer und das Volumen erhöht werden könnten, wenn sich der konjunkturelle Ausblick eintrübt oder sich die Finanzierungsbedingungen derart verschlechtern, dass das Erreichen der Inflationsvorgabe in Gefahr geraten könnte.

Auf der nachfolgenden Pressekonferenz mit EZB-Präsident Mario Draghi erläuterte dieser die Entscheidung des EZB-Rates. Nach wie vor sei die Inflation in der Eurozone gedämpft, jedoch habe die „grundlegende Inflation“ leicht angezogen. Im zweiten Halbjahr 2017 deuteten Umfragen und Daten auf ein nicht abgeschwächtes Wachstum hin. Insgesamt sei das Wachstum weiterhin breit und solide. Mit einem Hinweis auf die jüngste Stärke des Euro erklärte Draghi, dass sich Risiken vor allem aus der Entwicklung der Wechselkurse ergäben. Konkret bedeutet das: Unverändert sollen auch 2017 in substanziellem Umfang Unternehmensanleihen gekauft werden. Dabei sollen bei gleichzeitiger Flexibilität Abweichungen vom Kapitalschlüssel der EZB möglichst gering ausfallen.

Die Entscheidung der EZB, das Anleihekaufprogramm auf praktisch unbegrenzte Zeit zu verlängern, deutet auf starke Sachzwänge hin, die eine Weiterverfolgung der umstrittenen Praktik notwendig erscheinen lassen.

Tatsächlich hat die Vorsicht der EZB ihren Grund. Ein Ausstieg aus dem Programm in den kommenden Monaten dürfte schwierig werden. Der Hauptgrund des Programms besteht nämlich darin, die Finanzierungszinsen der überschuldeten Eurostaaten an den globalen Kapitalmärkten zu senken. Indem die EZB als potentieller Helfer und Käufer der Schuldscheine mit praktisch unbegrenzter Liquidität in Erscheinung tritt, werden die Renditeforderungen der Geldgeber an den Anleihemärkten – die sich am Ausfallrisiko des Landes orientieren – gedrückt und die Regierungen der betroffenen Staaten können sich günstiger verschulden. Fällt diese Unterstützung durch die EZB weg, steigen die Zinsen möglicherweise schnell und der Ausbruch einer neuen Schuldenkrise in Europa könnte das Ergebnis sein. Bereits mehrfach hatten Spekulationen über das Ende des Programms in der jüngsten Vergangenheit zu Verwerfungen an den Anleihemärkten geführt.

Vor diesem Hintergrund ist die Aussage Draghis auf der Pressekonferenz zu verstehen, wonach „eine große geldpolitische Unterstützung ist auf mittlere Sicht weiter nötig“ sei.

Zudem ist der Verweis Draghis auf die Nichterreichung des Inflationsziels schwierig einzuordnen, weil der Mechanismus zur Bestimmung der Inflation in der EU (hicp-Index) nicht unumstritten ist. So fehlt beispielsweise die mit Abstand größte Position in den Budgets der Haushalte in diesem Index: Das sind die Wohnungskosten für selbst bewohntes Wohneigentum. Nur die Mieten effektiv fremdvermieteter Wohnungen und die Nebenkosten zählen im hicp zu den Ausgaben für die Wohnung, aber nicht die Kosten selbst bewohnten Wohneigentums. In der Eurozone wohnen rund zwei Drittel der Bevölkerung in den eigenen vier Wänden. Diese Wohneigentümer geben aber mehr als 80 Prozent der Ausgaben aller Haushalte für die Wohnung aus, weil in vielen Ländern die Mieter die unterste Einkommensgruppe darstellen.

„Dieser größte Ausgabenposten repräsentiert zwischen 15 und 20 Prozent der Gesamtausgaben der Haushalte in der Eurozone. Der hicp schließt jene Komponente aus, welche in den USA mit Abstand das größte Gewicht im Verbraucherpreisindex (cpi) oder Deflator des privaten Konsums (pce) innehat. Und dies obwohl die Quote der Wohneigentümer in der Eurozone über derjenigen in den USA liegt. Der Index hat andere schwere Konstruktionsfehler, aber das ist der bedeutendste. Auch die zweitgrößte Komponente ist im Übrigen konzeptuell falsch berechnet. Die Festlegung, dass die 2 Prozent Wachstumsrate des hicp auf Jahresbasis Preisstabilität bedeuten sollen, ist dadurch völlig willkürlich und wissenschaftlich durch nichts begründet. Angesichts dieser Defizite können die 2 Prozent nur eine grobe Indikation sein. Es gibt keine Rechtfertigung für ein eng definiertes Inflationsziel in dem Sinne, dass eine geringe Abweichung ganz massive Aktionen der Zentralbank nach sich ziehen sollte“, schreibt der Ökonom Michael Bernegger.

Die freundliche Reaktion der Börsen wie die des DAX und des EUROSTOXX war in Fachkreisen in dieser Form nicht erwartet worden. Nach Helaba-Analyst Ulrich Wortberg sei „die Entscheidung im Prinzip so ausgefallen wie erwartet, aber offenbar hatten einige Anleger mit einer deutlicheren Straffung der Geldpolitik gerechnet“. Nach Aussage des Deutsche-Bank-Experten Sebastian Becker könnte „zwar der heutige Entscheid den Grundstein für eine künftige geldpolitische Wende gelegt haben, mitnichten bedeutet er aber ein rasches Ende der ultralockeren Geldpolitik“.

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