Politik

Neue Seidenstraße: China baut seinen Einfluss in Europa aus

Lesezeit: 7 min
04.03.2018 18:10
Der EU fehlt eine konsistente Strategie mit Blick auf das weltgrößte Infrastrukturprojekt der chinesischen Neuen Seidenstraße.

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Chinas Projekt der Neuen Seidenstraße nimmt in Südosteuropa bereits konkrete Formen an. Durch Investitionen und Kreditvergabe gewinnt Peking dadurch auch politisch an Einfluss. Die EU hat noch keine klare Strategie formuliert, wie sie damit umgehen will. Denn dies könnte Kompetenzfragen zwischen Brüssel und den einzelnen Mitgliedsstaaten aufwerfen, wie der Wirtschaftsberater und ehemalige Mitarbeiter der Europäischen Kommission, Dr. Jens Bastian, im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten erläutert.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: China investiert im Rahmen des Projektes "Neue Seidenstraße" zunehmend in Südosteuropa. Um was für Investitionen handelt es sich und wie groß ist ihr Volumen?

Jens Bastian: Chinas „Neue Seidenstraße“ Initiative beinhaltet eine weit verzweigte maritime Dimension. Der wichtigste europäische Hafen dieses maritimen Netzwerkes befindet sich in Piräus, Griechenland. Der chinesische Premierminister Li Keqiang hat anlässlich eines Besuchs in Athen in 2014 Griechenland als “Einfallstor nach Europa” bezeichnet. Seit 2009 ist die staatliche chinesische Schifffahrtsgesellschaft Cosco in Piräus investiert. In 2016 erwarb Cosco die Mehrheitsanteile am Hafen.

Der Hafen in Piräus ist bislang die größte chinesische Investition in Griechenland. Er wird langfristig zum wichtigsten Logistikzentrum Chinas in Südosteuropa modernisiert. Aber er hat kein Alleinstellungsmerkmal für Cosco. Das Netzwerk der Investitionen von Cosco in Hafeninfrastruktur in der Region wird seit einer Dekade systematisch auf- und ausgebaut. Coscos maritime Verbindungen liegen mittlerweile ebenso in Ägypten, der Türkei, Italien und Belgien (Zeebrüge).

Diese Hafenaktivitäten sind strategische Ankerinvestitionen. Sie haben Katalysatorfunktion und geben der Seidenstraße-Initiative maritime Anlegestellen in Europa, die sukzessive zu einem sog. Investment Cluster ausgebaut werden. Diese Vorgehensweise chinesischer Investoren – fast ausschliesslich durch staatliche Unternehmen – lässt sich auch zunehmend grenzüberschreitend im Energiesektor in Europa beobachten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie werden diese Investitionen finanziert?

Jens Bastian: Um solche Netzwerke aufzubauen und fortgesetzt zu finanzieren bedarf es erheblicher Investitionsmittel. Die Akquise von Unternehmensanteilen ist fast ausschliesslich kreditfinanziert durch die drei wichtigsten staatlichen Banken Chinas. Ebenso gründen Infrastrukturprojekte wie der chinesische Bau einer Brücke in Belgrad, eines Wärmekraftwerks in Bosnien-Herzegowina oder die Autobahnverbindung vom Hafen in Bar in Montenegro zur Grenze nach Serbien auf Krediten chinesischer Banken an staatliche Träger in diesen Ländern.

Darin äußert sich aber auch ein Zielkonflikt. Auf der einen Seite wollen diese Länder solche Infrastrukturprojekte mit chinesischer Finanzhilfe voranbringen, häufig weil die Europäische Kommission sich weigerte oder zu zögerlich ist, dafür Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Die damit einhergehende Erweiterung von Finanzierungsoptionen birgt allerdings auch Risiken. Der Verschuldungsgrad dieser Länder steigt, damit auch die Abhängigkeit von China.

Häufig sind die Details dieser Kredite in einer Weise strukturiert, die nur auf den ersten Blick vorteilhaft erscheint. Die Fremdwährungsrisiken sind nicht zu unterschätzen. Zudem fehlt diesen Vereinbarungen Bürgschaften, wie sie etwa Hermes in Deutschland anbieten kann. Schließlich ist das Risiko von Fehlinvestitionen in großflächige Infrastrukturprojekte nicht zu ignorieren.

Zwar kann eine staatliche Großbank in China etwaige Verluste auffangen, aber für die beteiligten Länder ist das Risiko ungleich höher, insbesondere wenn die Einnahmen aus Gebühren niedriger ausfallen und sich die Kosten für Wartungsarbeiten als höher erweisen. Hierin kommt auch ein Merkmal zum Vorschein, dass bei chinesischen Aktivitäten in Südosteuropa auffällt: die Banken und Unternehmen sind bereit, Kredit- und Konstruktionsrisiken zu tragen. Aber mit Ausnahme von Griechenland und zum Teil in Serbien sind chinesische Investoren bisher nicht bereit, das operative Risiko zu übernehmen, wenn das Projekt fertiggestellt worden ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wird durch die Investitionen der politische Einfluss Chinas in Südosteuropa größer?

Jens Bastian: Das ist nicht auszuschließen. Die steigenden Investitionen Chinas und die wachsenden Außenhandelsvolumina mit Ländern Südosteuropas werden schrittweise ergänzt durch eine Architektur der Kooperation. Der institutionelle Rahmen dazu firmiert unter dem Stichwort 16 +1, d.h. 16 Staaten in Zentral-, Ost- und Südosteuropa in Zusammenarbeit mit China. Jedes Jahr treffen sich die teilnehmenden Staaten, zuletzt in Budapest im November 2017.

Der 16+1 Rahmen stellt einen Zusammenschluss von Ländern dar, von denen manche Mitglied in der EU sind. Andere sind Kandidatenländer, während verschiedene Staaten auch Mitglied der NATO sind. Erstmals im vergangenen Jahr erhielt die Europäische Kommission einen Beobachterstatus bei den 16+1 Treffen. Durch diesen Mix an institutioneller Anbindung gelingt es Peking, bilaterale Kooperationsvereinbarungen inner- und außerhalb der EU zu treffen. Gleichzeitig lassen sich Ländergruppen identifizieren, angeführt von Polen, Ungarn und Serbien, die im Rahmen der 16+1 Architektur bei der Zusammenarbeit mit China eine Vorreiterrolle spielen wollen. Ungarns Premierminister V. Orban sprach im Januar 2018 in Berlin davon, dass Länder in Zentral- und Südosteuropa erhebliche Finanzmittel für Investitionen in Infrastrukturprojekte benötigen. Falls sie diese Mittel nicht in Europa, sprich der EU erhielten, dann würden sie sich diese Ressourcen eben in China beschaffen.

Aber es geht nicht nur um Kredite, Brückenbau oder Häfen, wenn Budapest, Belgrad oder Athen nach Peking blicken. China hat in den vergangenen Jahren ein engmaschiges Netzwerk an sog. Konfuzius- Instituten in Zentral- und Südosteuropa aufgebaut. Ob in Rumänien und Ungarn, wo es deren drei gibt, oder in Serbien und Bulgarien mit jeweils zwei Konfuzius- Instituten, hierin wird an Universitäten und Schulen der Grundstein für sog. ‚Soft Power‘ Kapazitäten gelegt. Die Finanzierung von Professuren, Sprachkursen und die Vergabe von Stipendien gehören zur Grundausstattung solcher Konfuzius- Institute.

Was allerdings nicht Teil der Lehrinhalte ist, betrifft die sog. drei ‚Ts‘. Mit .anderen Worten, eine öffentliche Diskussion über den Tiananmen Platz, Tibet oder Taiwan ist an solchen Instituten nicht vorgesehen. An diese thematische Begrenzung halten sich Universitäten und Schulen, die durch Konfuzius Institute in Südosteuropa gefördert werden.

Schließlich ist auf eine schleichende politische Rücksichtnahme - nicht so sehr Einflussnahme - hinzuweisen, welche in einzelnen Ländern Südosteuropas mit Blick auf ‚sensible‘ Themen Chinas stattfindet. Im vergangenen Jahr hat Griechenland erstmals im Genfer UN Menschenrechtsrat nicht mit allen anderen EU Mitgliedsstaaten bei der Verurteilung der Menschenrechtslage in China gestimmt. Dieser Tabubruch wird Folgen haben. Aber er ist nicht einmalig. Bereits im Juli 2016 weigerten sich Ungarn, Kroatien und Griechenland das Urteil des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag als verbindlich anzuerkennen, wonach China keine historischen Rechte auf Gebiete im südchinesischen Meer und die darin enthaltenen Rohstoffe erheben kann.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Konsequenzen hat dies für die EU?

Jens Bastian: Die Konsequenzen für die EU zeigen sich zunächst in der ansteigenden Schwierigkeit, eine einheitliche Linie in zentralen Politikbereichen gegenüber China mit Unterstützung der Mitgliedsstaaten umsetzen zu können. Anders gesagt, es entwickeln sich Zentrifugalkräfte in Themenfeldern wie Menschenrechtspolitik, Zurückhaltung bei der Anerkennung juristischer Entscheidungen der internationalen Seegerichtsbarkeit, aber auch die Hinwendung zu China als alternative Finanzierungsquelle. In einem Wort, die Besorgnis wächst, dass einzelne Mitgliedsstaaten der EU eine Absatzbewegung weg von Brüsseler Vorgaben unternehmen.

Ein Beispiel verdeutlicht die ganze Problematik solcher Zentrifugalkräfte. Vergangenen Monat hat die Regierung in Kroatien den Auftrag zum Bau einer Brücke an ein chinesisches Unternehmen vergeben, obwohl die Europäische Kommission davon abgeraten haben soll. Das Pikante an dieser öffentlichen Auftragsvergabe ist, dass der Bau zu 85 Prozent aus EU Finanzierungstöpfen stammt. Erstmals hat ein chinesisches Unternehmen gegenüber europäischen Konkurrenten den Zuschlag für ein Bauprojekt erhalten, welches überwiegend mit Hilfe von EU Geldern finanziert wird.

An dieser Stelle sind auch ein paar Worte zur geopolitischen Dimension chinesischer Aktivitäten notwendig. Der chinesische Präsident XI hat wiederholt betont, dass Peking kein Interesse daran habe, sein politisches Model in andere Länder der Welt zu exportieren. Seine Regierung unterstreicht allerdings, dass es in zahlreichen Bereichen der Entwicklungspolitik „chinesische Lösungen“ gebe, die umso attraktiver werden können, wenn sich die USA und Europa daraus zurückziehen, oder allzu zögerlich in ihren Entscheidungsprozessen sind. In einem Wort, China bietet Ländern in Europa und anderswo praktische Alternativen und die dazugehörigen Finanzierungsinstrumente an.

Die Neue Seidenstraße ist eine solche Alternative mit globalen Ansprüchen und umfassenden Finanzmitteln, welche bereits in mehr als achtzig Ländern zur Anwendung kommt. China unter Präsident Xi entwickelt dabei seine eigenen Regeln für bilaterale Kooperation und internationales Engagement. Die zahlreichen Infrastrukturprojekte in Zentral- und Südosteuropa stellen nicht nur landbezogene Transportkorridore und maritime Verbindungslinien zu China her. Sie stellen auch in ihrer Gesamtheit eine alternative Entwicklungsphilosophie dar, welche Peking in Athen, Budapest, Podgorica oder Belgrad erfolgsversprechend anbietet.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie haben einige Jahre für die EU-Kommission gearbeitet. Wie reagiert die EU- Kommission auf die chinesischen Initiativen?

Jens Bastian: Viele der Initiativen seitens der EU-Kommission sind eher reaktiven Charakters. Die von Peking verfolgte Industriepolitik unter dem Zieldatum „Made in China 2025“ unterstreicht eine langfristige Konzeption, auf welche die Kommission bisher keine gleichwertige Antwort, geschweige denn eine einheitliche Strategie formuliert hat. Seit Jahren wird ohne entscheidenden Durchbruch über ein bilaterales Investitionsabkommen verhandelt. Ebenso fehlt eine Freihandelsvereinbarung. Die anvisierte gemeinsame Klimaerklärung harrt weiterhin der Konkretisierung.

Unter den beschriebenen Voraussetzungen tut sich die Europäische Kommission schwer, eine kohärente und konsistente China Strategie zu entwickeln. In einzelnen Politikbereichen versucht sie, strategische Prioritäten in komplexen Verhandlungen mit Peking zu formulieren. Das gelingt z.B. bei Themen wie Finanzinformationsdiensten, einer Handelsvereinbarung für chinesische Solarimporte in die EU oder den im November 2017 begonnenen Dialog mit China über Beihilfekontrollen und Wettbewerbspolitik.

In seiner sog. ‚State of the Union’ Ansprache vom September vergangenen Jahres hat Kommissionspräsident Juncker erstmals einen neuen strategischen Ansatz unter dem Stichwort „Investitionsprüfung“ formuliert. Ohne China direkt beim Namen zu nennen, identifizierte Juncker strategische Sektoren, wie z.B. Energie, Luftraum, Transport, welche in Zukunft bei Beteiligungen oder Übernahmen durch ausländische Unternehmen einer stärkeren Überprüfung seitens der Kommission unterzogen werden sollen. Ein solches ‚Investment screening’ ist vom Europäischen Parlament wiederholt gefordert worden. Der französische Präsident Macron hat dazu eigene Vorschläge gemacht. Im Juli 2017 hat die Bundesregierung das Außenwirtschaftsgesetz verschärft. Der Einstieg von Investoren von außerhalb der EU in kritische Infrastruktur, z.B. heimische Softwarefirmen, die Programme für Strom- oder Telekomnetze, Kraftwerke, Wasserversorgung oder Banken entwickeln, wird durch die Novellierung erschwert.

Das Brüsseler Prüfverfahren soll sich auch auf Großinvestoren beziehen, die nicht ausreichend darlegen können, woher die Finanzmittel für Übernahmen stammen. Die EU-Kommission will ebenso die Rolle des Heimatstaates des Investors einer genauen Überprüfung unterziehen. Hier deuten sich neue rechtliche Handlungsmöglichkeiten an. In der Praxis könnte dies politisch sensible Kompetenzfragen zwischen Brüssel und den Mitgliedsstaaten aufwerfen. China ist erstmals indirekt durch die Kommission darauf hingewiesen worden, dass politischer Handlungsbedarf zwischen Brüssel und Peking besteht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Kann die EU insgesamt von der "Neuen Seidenstraße" profitieren? Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus?

Jens Bastian: Eine Gemengelage an Chancen und Risiken ist bei chinesischen Investitionen, Ausleihungen durch staatliche Banken oder großflächigen Infrastrukturprojekten stets gegeben. Dies trifft nicht nur auf Europa zu, sondern ist durch Pekings Aktivitäten in Lateinamerika, Afrika oder in Asien ebenso zu beobachten. Weiße Elefanten mit chinesischer Handschrift, die signalisieren, dass am Bedarf vorbei Flughäfen, Brücken oder Schienenverbindungen finanziert bzw. gebaut worden sind, gibt es bereits in Sri Lanka, Nigeria, Kenia oder Brasilien. Allerdings ist zu beobachten, dass chinesische Banken und Bauunternehmen aus den Erfahrungen solcher Fehlinvestitionen ihre Lehren ziehen.

Mit Blick auf Deutschland ist der Ende Februar vermeldete Einstieg des chinesischen Autokonzerns Geely Holding Group bei Daimler eine Herausforderung für den Stuttgarter Weltkonzern. Mit einem Aktionärsanteil von 9.7 Prozent ist Geely auf einen Schlag zum größten Einzelaktionär von Daimler geworden. Damit unterstreicht das Unternehmen seine globalen Ambitionen. Es ist gegenwärtig keineswegs ausgeschlossen, dass die chinesische Holding in Zukunft einen Platz im Daimler-Aufsichtsrat fordert. Aber was geschieht, wenn sensible Themenkomplexe wie Investitionen in neue Hochtechnologiesparten in dem Gremium diskutiert werden? Wäre ein chinesischer Aufsichtsrat in der Lage, daraus Wissensvorteile zu ziehen und Technologietransfer nach Peking zu melden, etwa in den Bereichen Elektromobilität oder Batterietechnologie?

Aber auch die verantwortlichen Generaldirektionen in der Europäischen Kommission stehen bei diesem chinesischen Engagement vor wichtigen Abwägungen. Das Stichwort lautet mögliche Wettbewerbsverzerrung. Immerhin ist Geely von nun an nicht nur bei Daimler im Geschäft, sondern zeitgleich Eigentümer von Volvo Cars (seit 2010) und ist bei Volvo Trucks AB seit Ende 2017 der größte Anteilseigner. Beide schwedische Unternehmen sind direkte Wettbewerber von Daimler in wichtigen Pkw- und Lkw Marktsegmenten. Das wird sich die Brüsseler Generaldirektion Wettbewerb unter Margrethe Vestager im Detail anschauen müssen; schon alleine aus Gründen der erforderlichen Unternehmenstransparenz bei solch komplexen Aktionärsüberschneidungen.

Dr. Jens Bastian ist freier Wirtschaftsberater. Zwischen September 2011 und September 2013 war Mitglied der Task Force for Greece der Europäischen Kommission in Athen, Griechenland. Zuvor arbeitete er für European Agency for Reconstruction, in Thessaloniki, und die Alpha Bank in Athen. Er unterrichtete an verschiedenen Universitäten, u. a. an der London School of Economics.


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