Finanzen

Baltische Staaten eröffnen neue Front gegen die EU

In der Auseinandersetzung mit der EU wegen seiner geplanten Justizreform bekommt Polen von Litauen, Lettland und Estland Unterstützung.
15.03.2018 17:13
Lesezeit: 3 min

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In der Auseinandersetzung mit der EU wegen seiner geplanten Justizreform bekommt Polen von Litauen, Lettland und Estland Unterstützung. Bei einem Treffen sprachen sich die Regierungschefs von Litauen, Lettland und Estland gegen die von der EU-Kommission gegenüber Polen angedrohten Sanktionen aus.

Bereits Mitte Dezember hatte die EU-Kommission ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet. Sie befürchtet, dass durch die Justizreform die Unabhängigkeit der Justiz und damit das Prinzip der Gewaltenteilung untergraben werden könnte. Bemängelt wird auch die künftige Vorgehensweise bei der Richterernennung. Wurden diese bislang durch einen von der Regierung unabhängigen Richterrat gewählt, werden sie künftig von der Regierungspartei bestimmt. Zudem können nach der Reform ausgewählte Staatsbeamte, unter ihnen der Justizminister, rechtskräftige Urteile vor einem Kassationsgericht anfechten. Polen hat bis Ende März Zeit, um auf die Bedenken der EU zu reagieren und ein Rechtsstaatsverfahren abzuwenden.

Andernfalls droht Polen der Stimmverlust als EU-Mitglied. Deutschland und Frankreich sprachen sich bereits für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahren aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel schlug außerdem vor, finanzielle Leistungen künftig an das Einhalten von EU-Regeln zu knüpfen. Die EU-Kommission arbeitet bereits an Plänen, in der künftigen EU-Haushaltsperiode ab 2021 die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu koppeln. Kritik kam dagegen aus Ungarn: So verletze das Vorgehen der EU-Kommission die Unabhängigkeit Polens.

Getroffen hatten sich die baltischen Regierungschefs mit Polen, um die künftige Zusammenarbeit in der EU und der NATO zu besprechen und eine östliche Handelspartnerschaft zu entwickeln. In diesem Zusammenhang unterzeichneten Polen und Litauen ein Abkommen über eine verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Energie und Verkehr, einschließlich der Aufnahme einer Fährverbindung zwischen dem polnischen Stettin und dem litauischen Klaipeda. Polen sei bereit, sich für diese „sehr wichtigen Projekte für die baltischen Länder“ einzusetzen, so der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Eine Harmonisierung mit den europäischen Stromsystemen und damit ein weiterer Schritt zu weniger Energie-Abhängigkeit von Russland und Belarus seien nötig, „damit die baltischen Länder in einem System wie das übrige Europa operieren können“.

Im Ergebnis sprach sich Morawiecki damit gegen die geplante Erdgasleitung Nord Stream 2 aus. Die gut 1.200 Kilometer lange Pipeline soll russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland leiten. Das Projekt wird vom russischen Unternehmen Gazprom vorangetrieben. An der Finanzierung beteiligt sind auch das deutsche Unternehmen Uniper, die BASF-Tochter Wintershall und der österreichische Ölkonzern OMV. Polen, das Russland als Bedrohung und als energiepolitischen Konkurrenten betrachtet, steht Nord Stream 2 kritisch gegenüber. Das Land fürchtet, wie auch die Ukraine und die baltischen Staaten, dass damit die Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas zunehmen wird. Zudem will Polen selbst ein wichtiges Energie-Drehkreuz in Europa werden.

Polen deckt zwei Drittel seiner Nachfrage noch immer durch russisches Gas ab und verdient wie die Ukraine an der Weiterleitung Richtung Westeuropa. Nord Stream 2 würde Polen und die Ukraine beim Transit umgehen. Zudem verlöre Polen dadurch nicht nur Transiteinnahmen, sondern auch ein wichtiges Druckmittel gegen Russland: Im Notfall kein Gas von Nord nach Süd durchzulassen.

Um künftig von russischem Gas unabhängig zu sein, schloss das polnische Gasunternehmen PGNiG im November vergangenen Jahres eine langfristige Vereinbarung mit den USA zur Lieferung von Flüssiggas (LNG) ab und investierte in ein LNG-Terminal an der Ostseeküste. Im Rahmen des Vertrags bekommt das Land bis 2022 verflüssigtes Erdgas aus den USA. Die vereinbarten Lieferungen werden von dem LNG-Ausfuhrterminal im US-amerikanischen Bundesstaat Louisiana aus starten und am Flüssiggasterminal Świnoujście in der polnischen Stadt Świnoujście (Swinemünde) angenommen. Laut dem stellvertretenden Leiter von PGNiG, Maciej Wozniak,will Polen ein Portfolio solcher Verträge aufbauen, nicht nur mit den USA, sondern auch mit anderen Ländern.

Zudem beteiligt sich das Land an dem Bau der dänischen Off-Shore-Pipeline Baltic Pipe. Mit ihr soll ab Oktober 2022 Erdgas von Norwegen nach Polen, Dänemark, Schweden, sowie in die baltischen Länder und nach Mittel- und Osteuropa transportiert werden.

Die polnische Regierung fühlt sich durch die EU zunehmend ungerecht behandelt. Wünsche nach mehr Einflussnahme und größerer Unabhängigkeit haben sich in der Bevölkerung laut aktuellen Umfragen verfestigt. Auch machen sich Gedanken über einen möglichen Austritt aus der EU breit. Im vergangen November sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk, Polens Regierung könne versuchen, aus der Europäischen Union auszutreten, sollte das Land kein Nettoempfänger der EU mehr sein. Die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PIS) von Jaroslav Kaczynski sei nur an der EU interessiert, solange die Zahlungsbilanz stimmt.

Die Interessen der PIS stimmen in vielen Punkten nicht mit denen der EU überein. Im Punkt Migration weigert sich die PIS etwa, Migranten nach einer von der EU beschlossenen Quote aufzunehmen. Auch die europäische Außenpolitik stößt bei der polnischen Regierung nicht auf Zustimmung. So drängt Polen im Hinblick auf die Neuausrichtung der europäischen Verteidigungspolitik und der empfundenen Bedrohung Russlands auf ein stärkeres Bündnis mit den USA. Die EU will das Bündnis zu Russland gerade aufgrund der vertieften Wirtschaftsbeziehungen im Energiebereich nicht beeinträchtigen.

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