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Korruptionsverdacht bei Asyl-Bundesbehörde

Lesezeit: 3 min
20.04.2018 17:07
Im Bundesamt für Asyl könnte es einen Fall massiver Korruption gegeben haben.

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Ein Musterexemplar des neuen Reisepasses für Deutschland liegt am 23.02.2017 bei der Vorstellung im Innenministerium aus. (Foto: dpa)

Eine leitende Mitarbeiterin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) steht im Verdacht, 1200 Asylanträge ohne rechtliche Grundlage bewilligt zu haben. Nach Angaben der Bremer Staatsanwältin Claudia Kück soll die inzwischen suspendierte Chefin der Bremer Bamf-Außenstelle mit drei Rechtsanwälten zusammengearbeitet haben, die ihr offenbar systematisch Asylbewerber zugeführt hätten. Gegen die ehemalige Bamf-Leiterin, drei Anwälte aus Bremen und Niedersachsen sowie einen Dolmetscher werde ermittelt, sagte Kück am Freitag laut Reuters. Eine sechste Person soll als Vermittler aufgetreten sein. Das Bamf teilte mit, es habe unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Vorfalls Strafanzeige gestellt und arbeite eng mit den Ermittlern zusammen.

Laut Staatsanwaltschaft besteht der unmittelbare Verdacht auf "bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung", was mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden kann. Die Beschuldigten würden verdächtigt, Asylbewerber veranlasst zu haben, einen Antrag bei der für diese Personen nicht zuständigen Bamf-Stelle in Bremen zu stellen. Von der damaligen Chefin seien dann offenbar falsche Asyl-Anerkennungsbescheide erstellt worden. "Wir gehen von 1200 Fällen aus", sagte Kück. Überwiegend soll es sich um Jesiden gehandelt haben, die meist aus dem Irak, Syrien und der Türkei stammen. Sie seien gezielt aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen nach Bremen gefahren worden.

Ermittelt werde zudem wegen Bestechlichkeit und Bestechung, was beides mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann. Es soll private Einladungen an die ehemalige Bamf-Leiterin gegeben haben. Laut NDR, Radio Bremen und "Süddeutscher Zeitung", die zuerst über den Fall berichtet hatten, gab es Zuwendungen etwa in Form von Restaurant-Einladungen.

Nach Angaben der Staatsanwältin wurden am Mittwoch und Donnerstag acht Objekte in Bremen und Niedersachsen durchsucht, darunter zwei Anwaltskanzleien. Eine Bamf-Sprecherin kündigte an, es seien "Regel- und Widerrufsprüfungen" veranlasst worden. Innen-Staatssekretär Stephan Mayer sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), die in Bremen ausgestellten Anerkennungsbescheide würden schnellstmöglich überprüft und gegebenenfalls zurückgenommen. Seinen Angaben zufolge wurde die Strafanzeige durch das Bamf schon im Herbst 2017 gestellt.

Laut Staatsanwältin Kück werden nun Unterlagen ausgewertet. In Gang gekommen seien die Ermittlungen, weil Unregelmäßigkeiten bei der internen Prüfung der Asylbehörde festgestellt worden seien. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte, es sei nicht völlig neu, dass sich das Amt mit der Korruptionsbekämpfung auseinandersetzen müsse. Es seien daher bereits Schritte zur Qualitätssicherung eingeleitet worden. Zu möglichen Konsequenzen wollten sich weder sie noch Regierungssprecher Steffen Seibert äußern. Es gehe erstmal darum, die "sehr ernsthaften Verdachtsmomente" aufzuklären, sagte Seibert.

Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka sagte dem RND, seine Fraktion fordere für die nächste Sitzung des Innenausschusses einen Bericht der Regierung. Die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg warf der großen Koalition schwere Fehler im Umgang mit dem Bamf vor. "Die Koalition hat nach der Grenzöffnung im Herbst 2015 viel zu spät auf Warnzeichen aus dem Bamf reagiert." Offenbar habe es auch Raum für Missbrauch und Korruption gegeben.

Migranten verkaufen einem Medienbericht zufolge im Internet zunehmend ihre deutschen Ausweise, Bank- und Krankenkassenkarten. Nach Informationen des Spiegel warnt die Bundespolizei in einer vertraulichen Analyse vor dem florierenden Handel mit Identitäten im Netz. „Insbesondere deutsche Reisedokumente werden in den sozialen Medien zum Verkauf angeboten“, heißt es nach einem Bericht vom Dienstag in dem Papier. Dabei handele es sich in der Regel um Papiere anerkannter Asylbewerber.

Vor allem Syrer hätten seit Ende 2016 in der Türkei mit zunehmender Häufigkeit den angeblichen Verlust ihrer europäischen Flüchtlingsdokumente in den Botschaften der EU-Staaten angezeigt, so die Behörde. Es werde vermutet, „dass die Reisedokumente verkauft oder anderweitig weitergegeben wurden“. Empfänger der Papiere seien zumeist andere Syrer, die ebenfalls auf der Flucht sind und mit den Papieren Deutschland leichter erreichen können.

Vor allem in Griechenland würden nach Polizeiangaben solche Dokumente gehandelt. Von dort ließen sich mit den echten Papieren ohne weitere Grenzkontrollen Flugzeuge besteigen, die nach Stockholm, Frankfurt oder Amsterdam fliegen.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums stellte die Bundespolizei im vergangenen Jahr 554 Fälle fest (2016: 460), in denen echte Dokumente zur unerlaubten Einreise nach Deutschland genutzt wurden. Davon stammten 100 Dokumente aus Deutschland, 99 aus Italien und 52 aus Frankreich, gefolgt von Schweden, Griechenland und Belgien.

In wenigen Fällen, die dem Bundeskriminalamt bekannt geworden sind, missbrauchten demnach auch Terrorverdächtige deutsche Ausweise anderer Flüchtlinge, um in die Bundesrepublik zu gelangen. Laut Bundesinnenministerium handelte es sich dabei sowohl um Syrer und Iraker, die wohl terroristischen Organisationen angehört hatten, als auch um zuvor ausgereiste Dschihadisten, die nach Deutschland zurückkehrten.

Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, forderte scharfe Sanktionen für Betrüger. „Jeder Flüchtling, der sich an einem Passhandel beteiligt, hat sein Gastrecht verwirkt“, sagte er dem Magazin. In diesem Fall müsse es „eine beschleunigte Form der Abschiebung geben“.


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