Politik

Syrien und der Westen: Wie Sanktionen ein ganzes Land ruinieren

Lesezeit: 5 min
26.04.2018 01:03
In Brüssel hat eine sogenannte Geberkonferenz Zahlungen für Syrien diskutiert. Die gegebenen Zusagen reichen nicht im Ansatz aus, um dem Land die Rückkehr zur Normalität zu erleichtern. Das Land leidet massiv unter den Sanktionen des Westens, deren Aufhebung nicht zur Debatte steht.
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Die Brüsseler "Geberkonferenz" für Syrien hat nur rund die Hälfte der von den Vereinten Nationen erhofften Hilfsgelder erbracht. Wie die EU am Mittwochabend mitteilte, kamen 4,4 Milliarden Dollar (3,6 Milliarden Euro) für das laufende Jahr zusammen. Der Leiter des UN-Nothilfebüros (Ocha), Mark Lowcock, kündigte an, bei der Hilfe in Syrien selbst und für Flüchtlinge in Nachbarländern müssten nun "Prioritäten gesetzt werden".

Neben den Zusagen für dieses Jahr seien weitere 3,4 Milliarden Dollar für die Zeit ab 2019 zusammengekommen, sagte der für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides. Die EU als Ganzes stehe für drei Viertel der gesamten Zusagen und sei damit erneut größter Geber.

Deutschland sagte bei dem Treffen für dieses und die Folgejahre eine Milliarde zusätzlicher Mittel zu. Großbritannien sicherte für 2018 und 2019 umgerechnet rund 857 Millionen Euro zu. Die EU wird laut der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini für dieses Jahr erneut rund 560 Millionen Euro für die "Syrien-Hilfe" bereitstellen.

Es ist im wesentlichen unklar, wohin die Summen fließen werden. Der Privatwirtschaft und den offiziellen Hilfsorganisationen dürften sie nur im geringen Ausmaß zukommen. Die syrische Wirtschaft und die Zivilbevölkerung sind neben Krieg, in dem zahlreiche ausländische Söldner-Trupps zum Einsatz kommen, vor allem von den durch die USA und EU verhängten, harten Sanktionen massiv geschädigt worden.

Die Aufhebung der Sanktionen, die Syrien eine langsame Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität ermöglichen würde, wurde weder von den USA noch von der EU in den vergangenen Jahren in Erwägung gezogen.

Syrien-Sanktionen

Das Syrien-Sanktionsprogramm, das vom Office of Foreign Assets Control (OFAC) umgesetzt wird, begann 2004 mit dem Erlass der Exekutiv-Verordnung (E.O.), so das US-Finanzministerium. Nach Beginn des Konflikts  in Syrien ab März 2011 wurden die Sanktionen verschärft.

Unter der E.O. 13582 (18. August 2011), wurde das gesamte Eigentum, die syrischen Einrichtungen oder Behörden in den USA gehören, eingezogen und blockiert. Die E.O. verbietet neue Investitionen in Syrien durch US-Staatsbürger, unabhängig davon, wo sie sich befinden.

Weitere Exekutiv-Verordnungen im Zusammenhang mit den Syrien-Sanktionen haben die Ziffern 13608 (1. Mai 2012), 13606 (23. April 2012), 13573 (18. Mai 2011), 13572 (29. April 2011), 13460 (15. Februar 2008), 13399 (26. April 2006) und 13338 (12. Mai 2004), berichtet das US-Außenministerium.

Diese verbieten:

  • Die direkte oder indirekte Ausfuhr, Wiederausfuhr, Verkauf oder Lieferung von irgendwelchen Dienstleistungen nach Syrien von den USA oder von einer US-Person, wo auch immer sie sich befinden.
  • Die Einfuhr von Erdöl oder Erdölerzeugnissen in die USA, die syrischen Ursprungs sind.
  • Jede Transaktion durch eine US-Person, unabhängig davon, wo sie sich befindet, in Bezug auf Erdöl oder Erdölprodukte, die syrischen Ursprungs sind.
  • Jede Genehmigung, Finanzierung, Erleichterung oder Garantie durch eine US-Person.

Bestimmte Arten von Aktivitäten und Transaktionen, die in Bezug auf Syrien sonst verboten wären, wurden durch allgemeine Lizenzen vorbehaltlich unter bestimmten Bedingungen und Einschränkungen genehmigt. Diese lizenzierten Aktivitäten und Transaktionen umfassen:

  • Die Ausfuhr und Wiederausfuhr von Gegenständen aus den USA nach Syrien. Vorausgesetzt, dass das Handelsministerium die Ausfuhr dieser Gegenstände lizenziert oder anderweitig autorisiert hat.
  • Nichtkommerzielle, persönliche Überweisungen von oder nach Syrien oder im Namen von Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Syrien, solange die Überweisung nicht durch und an die syrische Regierung oder eine andere Person erfolgt, deren Eigentum und Eigentumsrechte blockiert sind.
  • Transaktionen im Zusammenhang mit US – Personen mit Wohnsitz in Syrien.
  • Export und Wiederausfuhr von Dienstleistungen zur Unterstützung humanitärer und anderer nichtkommerzieller Aktivitäten in Syrien durch die USA und Drittstaaten, Nichtregierungsorganisationen und bestimmte Transaktionen im Zusammenhang mit dem Schutz geistigen Eigentums.

Jede Person, die gegen die Sanktionen verstößt, kann mit einem Bußgeld von 250.000 US-Dollar oder 500.000 US-Dollar, einer zusätzlichen Geldstrafe nach Verurteilung in Höhe von einer Million US-Dollar sowie einer Gefängnisstrafe von 20 Jahren bestraft werden.

Das US-Außenministerium berichtet, dass Öl-Geschäfte mit der syrischen Regierung verboten wurden, während Öl-Geschäfte mit oder zugunsten der „Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte oder ihrer Unterstützer” zulässig sind.

Das OFAC gab in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium eine Lizenzerklärung heraus, in der US-Bürger aufgefordert werden, bei OFAC spezifische Lizenzen (SLP) für die Teilnahme an bestimmten wirtschaftlichen Aktivitäten in Syrien zu beantragen. Die SLP konzentrieren sich speziell auf Anträge von US-Personen, die sich auf Öl-bezogene Transaktionen zugunsten der Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte oder ihrer Unterstützer sowie auf Transaktionen in Syriens Agrar- und Telekommunikationssektoren betätigen wollen.

Die Freie Syrische Armee (FSA), die aus zahlreichen Söldner-Truppen besteht, ist der bewaffnete Arm der Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte. Ihr Oberbefehlshaber ist der Ingenieur und ehemalige Oberst der syrischen Luftwaffe, Riad Moussa al-Asaad. Der Stabschef der FSA ist Abd al-Ilah al-Baschir. Er diente in der syrischen Armee unter al-Asaad als Brigadegeneral, bis er im Jahr 2011 desertierte.

Die EU hat ebenfalls Sanktionen gegen Syrien verhängt. Die Sanktionen sind deckungsgleich mit den US-Sanktionen. Die Wirtschaftskammer Österreich hat eine diesbezügliche Übersicht veröffentlicht.

Sanktionen und Wiederaufbau

Die Sanktionen des Westens gegen Syrien wirken sich vor allem verheerend auf die syrische Zivilbevölkerung aus. Bouthania Shaaban, politische Beraterin des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, sagte im Jahr 2016 in einem Interview mit dem australischen Sender ABC: „Das erste, was der Westen im Kampf gegen den Terrorismus tun muss, ist die Sanktionen gegen das syrische Volk aufzuheben. Die Sanktionen helfen den Terroristen gegen das syrische Volk. Das syrische Volk leidet in doppelter Hinsicht, nämlich sowohl durch die westlichen Maßnahmen als auch durch die Terroristen (...). Niemand spricht über die Granaten, die unsere Städte und Zivilisten treffen. Diese Raketen treffen unsere Schulen, unsere Krankenhäuser und Menschen auf der Straße. Sie zielen nicht auf die Armee. Viele Länder besitzen die Technologie, die diese Granaten und Raketen aufspüren und Menschenleben retten könnten. Doch aufgrund der Sanktionen gegen Syrien wird uns niemand diese Technologie geben”.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) führt in einem Bericht aus dem Jahr 2016 aus: „Innerhalb eines Zeitraums von weniger als einem Jahr kulminierte diese Strategie dann allerdings in einer an Umfang und Vielfältigkeit kaum je dagewesenen Sanktionierung eines Landes (...). Neueste Berichte gehen davon aus, dass inzwischen über 80 Prozent der Syrer in Armut leben (...). Bildungs-, Gesundheits- und soziale Einrichtungen sind zu großen Teilen zerstört oder nicht mehr nutzbar”.

Die syrische Regierung ist zwar sehr daran interessiert, Aufträge für den Wiederaufbau an deutsche Unternehmen zu vergeben, doch sie halten sich aufgrund der Sanktionen zurück. Fares Shehabi, Präsident der Industriekammer in Aleppo, sagt in einem Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten: „Ich denke, dass viele deutsche Unternehmen wegen der Wirtschaftssanktionen zögern. Sollten Sie jetzt nach Syrien kommen, wären sie davon betroffen, man würde sie bestrafen. Sie fürchten vor allem die finanziellen Strafen seitens der USA. Aber von vielen Konferenzen und Freunden weiß ich, dass die deutschen Firmen sehr daran interessiert sind, hier in die Infrastruktur zu investieren – besonders in den Wiederaufbau der Wasserversorgung, der Stromversorgung. Sie wollen ihre Maschinen verkaufen (...). Vor dem Krieg gab es mit deutschen Unternehmen eine gute Zusammenarbeit. Die meisten unserer Maschinen hier in Aleppo kommen aus Deutschland. Weil wir aber jetzt Geräte und Maschinen brauchen, hat die Regierung erklärt, dass Russland, China, Iran und allgemein Länder der BRICS-Staatengemeinschaft (Blockfreie Staatengemeinschaft) wie Brasilien und Indien Priorität eingeräumt wird. Keines dieser Länder hat sich an der Zerstörung Syriens beteiligt.”

Nach einer Studie von World Vision International aus dem Jahr 2016, soll der Wiederaufbau insgesamt 275 Milliarden Dollar kosten. Die gesamte Industrie des Landes wurde im Verlauf des Krieges dezimiert. Hinzu kommen die Kosten für notwendige Reparaturen an der Infrastruktur, die der Internationale Währungsfonds (IWF) auf 180 Milliarden bis 200 Milliarden Dollar schätzt. Somit würden sich die Kosten für den gesamten Wiederaufbau auf 455 Milliarden Dollar beziffern.

Geberkonferenz in Brüssel

UN-Vertreter Lowcock hatte am Dienstag noch die Hoffnung auf Zusagen in Höhe von rund acht Milliarden Dollar für dieses Jahr geäußert. Er sprach nun dennoch von einem "guten Start" und erwartete, dass in den kommenden Monaten weitere Hilfszusagen eingehen würden. Angesichts absehbar begrenzter Mittel müssten nun aber "Entscheidungen getroffen werden", sagte Lowcock. Ziel müsse es hierbei sein, "die Verletzlichsten" zu unterstützen.

An der Konferenz nahmen Vertreter von mehr als 85 Ländern und Organisationen teil. Im vergangenen Jahr hatte das Brüsseler Treffen sechs Milliarden Dollar für 2017 erbracht.

Dass nicht mehr zusammenkam, lag auch an einem Streit der EU über die Finanzierung der nächsten Tranche von drei Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei. Mehrere Mitgliedstaaten forderten, dass das Geld nur aus dem EU-Haushalt kommt. Die EU-Kommission verlangte dagegen, dass sich die nationalen Regierungen wie bei der ersten Tranche mit zwei Milliarden Euro an frischem Geld beteiligen.

Lowcock verwies daneben auf die USA als traditionell großes Geberland. Die US-Vertreter seien in Brüssel noch nicht in der Lage gewesen, haushaltsrelevante Zusagen zu machen.

Weiter klar ist für die EU, dass sie kein Geld für den Wiederaufbau Syriens bereitstellen wird, solange der Friedensprozess unter UN-Schirmherrschaft nicht "fest etabliert ist", wie die Außenbeauftragte Mogherini laut AFP sagte.

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