Politik

Bundesfinanzhof greift erstmals Finanzamt-Zinsen an

Lesezeit: 2 min
14.05.2018 11:01
Der Bundesfinanzhof hat die Zinssätze des Finanzamts für säumige Steuerzahler in Frage gestellt.
Bundesfinanzhof greift erstmals Finanzamt-Zinsen an

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Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals Zweifel an der Höhe der Zinsen geäußert, die die Finanzämter von säumigen Steuerzahlern verlangen dürfen. Der BFH stellte angesichts der dauerhaft niedrigen Zinsen die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von sechs Prozent pro Jahr infrage, der auf Steuerforderungen erhoben wird, wie das Gericht am Montag in München mitteilte. Die Finanzämter kassieren allein bei Betriebsprüfungen Milliarden an Zinsen. Der Beschluss, den der IX. Senat unter dem Vorsitz von BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff fällte, bezieht sich auf die Jahre seit 2015.

Der Bundesfinanzhof stellt in seiner Begründung zu einer entsprechenden Beschwerde fest, dass die niedrigen Zinsen der EZB keine Schwankung mehr sind, sondern beobachtet die Existenz einer "strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße": "Das Niedrigzinsniveau stellt sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern ist struktureller und nachhaltiger Natur."

Das Gericht erklärt den Zweck der Vollzugszinsen und stellt fest, dass säumige Steuerzahler angesichts der Niedrigzinsen keinen Zins-Vorteil mehr haben, wenn sie die Steuern verspätet zahlen: "Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens z.T. abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht ,an sich' dem Steuergläubiger zusteht. Dem Ziel würde Rechnung getragen, wenn für den Steuerpflichtigen zumindest die Möglichkeit besteht, die zu zahlenden Zinsen durch Anlage der nicht gezahlten Steuerbeträge oder durch die Ersparnis von Aufwendungen auch tatsächlich zu erzielen. Diese Möglichkeit war aber wegen der strukturellen Niedrigzinsphase im typischen Fall für den hier in Rede stehenden Zeitraum nahezu ausgeschlossen. Der Zweck der Verzinsung war für den Streitzeitraum nicht oder kaum erreichbar und trägt damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht."

Damit könne das Finanzamt nicht mehr in der bisherigen Praxis fortfahren, wenn es Verzugszinsen berechnet: "Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung", hieß es in der Mitteilung.

Der Gesetzgeber müsse dieses Problem beheben, fordert das Höchstgericht. Der Bundestag war bereits 2014 aufgefordert worden, den Zustand zu beenden, habe aber bisher nichts unternommen, rügte der BFH. Ein anderer Senat hatte den Zinssatz noch vor wenigen Monaten als unproblematisch erachtet, allerdings bezogen auf das Jahr 2013.

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