Derzeit hält die Europäische Zentralbank Staatsanleihen der Euro-Länder im Umfang von rund 2, 6 Billionen Euro in ihren Büchern. Und sie wird die Einnahmen aus den erworbenen und fälligen Anleihen auch künftig – ohne zeitliche Befristung – reinvestieren. Dies bedeutet dem Finanzwissenschaftler und Juristen Prof. Markus C. Kerber, dem Gründer des Think Tanks „Europolis“, nichts anderes als eine Fortführung des Anleihekaufprogramms. Kerber hat er vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg dazu Stellung bezogen.
Kerber war einer der Initiatoren der Klage gegen das OMT- Programm der EZB vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dieses hatte den Fall an den EuGH weitergeleitet. Inzwischen hat die EZB das Anleihekaufprogramm fortgesetzt und dadurch Fakten geschaffen. „Was früher einmal die Ausnahme hätte sein sollen, ist nun zur Normalität geworden“, sagt Kerber. Dies führe zu einer Verzerrung des Wettbewerbs auf den Kapitalmärkten.
Zudem seien die Haftungsrisiken für die einzelnen nationalen Zentralbanken enorm. Zwar sollten nur 20 Prozent des Volumens einer Gemeinschaftshaftung unterliegen, doch auch ein derartiger Betrag könne für kleinere Zentralbanken nicht tragbar sein. Die EZB spreche, was etwaige Zahlungsausfälle anbelange, von rein „theoretischen Risiken.“ Für Kerber hingegen ist ein Risiko immer ein Risiko und ist per Definition theoretisch – solange es nicht eintritt.
Tatsächlich zeige die Entwicklung, dass die EZB zur Gefangenen ihrer eigenen Politik geworden sei. Stoppe die EZB ihre Ankäufe und investiere sie die Einnahmen fällig werdender Anleihen nicht in den Kauf weiterer Anleihen, würden auf dem freien Markt die Zinsaufschläge steigen. Länder wie Italien könnten dann Probleme bekommen, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Ein Staatsbankrott sei dann nicht auszuschließen. Das hieße, das von der EZB als theoretisch bezeichnete Risiko würde real.
Der Generalanwalt wird dem EuGH am 5. Oktober 2019 ein Gutachten vorlegen. Das anschließende Urteil wird von der Klägergruppe „Europolis“ mit Spannung erwartet.