Mit einem "Fachkräfte-Einwanderungsgesetz" wollen CDU, CSU und SPD dafür sorgen, dass mehr qualifizierte Arbeitnehmer aus Staaten außerhalb der Europäischen Union (EU) nach Deutschland kommen. Die Spitzen der Koalition verständigten sich in der Nacht zum Dienstag auf Eckpunkte, die nur wenige Stunden später vom Kabinett beschlossen wurden. Die Bundesregierung verspricht sich davon angesichts knapper werdender Fachkräfte die Sicherung des Wohlstandes und der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Einen ersten Gesetzentwurf will Innenminister Horst Seehofer (CSU) noch in diesem Monat an die anderen Ressorts schicken. Das Kabinett soll das Gesetz noch vor Weihnachten auf den Weg bringen. Vorgesehen ist in den Eckpunkten unter anderem:
BERUFSQUALIFIKATION: Im Blick hat die Koalition vor allem "Fachkräfte mit qualifizierter Berufsausbildung". Sie sollen leichter nach Deutschland kommen können. Für studierte Fachleute wurden die Hürden bereits verringert. Für sie gibt es zum Beispiel seit 2012 die "Blaue Karte" als Arbeitserlaubnis, die an eine Arbeitsplatzzusage und ein Mindestgehalt gebunden ist. Sie wurde seither über 80.000 Mal vergeben.
"SPURWECHSEL": Die SPD hatte gefordert, abgelehnten Asylbewerbern, die gut integriert sind sowie einer Arbeit nachgehen und gute Sprachkenntnisse haben, die Möglichkeit eines "Spurwechsels" vom Asyl- in das Einwanderungsverfahren zu eröffnen. Dieser Begriff findet sich in den Eckpunkten nicht, dafür aber eine sinngemäße Regelung: "Am Grundsatz der Trennung von Asyl und Erwerbsmigration halten wir fest. Wir werden im Aufenthaltsrecht klare Kriterien für einen verlässlichen Status Geduldeter definieren, die durch ihre Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt sichern und gut integriert sind." Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Seehofer zeigten sich gleichermaßen zufrieden. "Der Geist gestern war nicht, um ein Goldenes Kalb von Begriffen zu tanzen", sagte Seehofer.
KEINE BESCHRÄNKUNG AUF BESTIMMTE BERUFE: Wenn ein Arbeitsvertrag unterschrieben ist, sollen Akademiker und Fachkräfte mit qualifizierter Berufsausbildung "in allen Berufen, zu denen die erworbene Qualifikation befähigt", in Deutschland arbeiten können. Die bisherige Beschränkung auf Berufe, in denen die Bundesagentur für Arbeit (BA) Engpässe festgestellt hat, fällt weg. Das sind derzeit 61 Berufe und Untergruppen, 14 mehr als Ende 2017. Auch auf die Prüfung, ob nicht ein einheimischer Jobbewerber Vorrang hätte, wird im Grundsatz verzichtet. Es soll aber möglich sein, diese Prüfung zum Schutz einheimischer Arbeitnehmer rasch wiedereinzuführen.
ARBEITSSUCHE: Fachkräfte mit qualifizierter Berufsausbildung sollen für bis zu sechs Monate zur Arbeitssuche auch ohne konkretes Jobangebot kommen dürfen. Für Akademiker gibt es dies bereits. Der Bezug von Sozialleistungen wird ausgeschlossen. "Dazu halten wir am Erfordernis des Nachweises der Lebensunterhaltssicherung vor Einreise fest", heißt es nun in den Eckpunkten. In einem früheren Entwurf hatte es noch geheißen, zur Sicherung ihres Lebensunterhalts dürften die Fachkräfte in der Zeit der Arbeitssuche auch eine Tätigkeit unterhalb ihrer Qualifikation annehmen. Dies wurde gestrichen.
IT-FACHKRÄFTE: Für in der Wirtschaft dringend benötigte Fachkräfte der Informationstechnologie (IT) sollen sogar noch geringere Voraussetzungen gelten. Sie und Fachleute in ausgewählten Engpassberufen sollen ohne jeden formalen Abschluss kommen dürfen, wenn sie über ausgeprägte berufspraktische Kenntnisse und einen Arbeitsplatz verfügen. Der Branchenverband Bitkom geht von mindestens 55.000 offenen IT-Stellen aus.
WERBUNG und SPRACHE: In Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sowie den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen soll eine Werbestrategie für Fachkräfte in ausgewählten Zielländern entwickelt werden. Die Sprachförderung im In- und Ausland soll intensiviert werden, etwa durch eine stärkere Förderung der Sprachkurse der Goethe-Institute.
Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa), bezeichnete die Einigung als als richtigen Schritt. "Wir sind froh und erleichtert, dass die Politik Verantwortung übernimmt und hinsichtlich der Einwanderung von Fachkräften Nägel mit Köpfen machen will", so Meurer, der zum wiederholten Mal die Bedeutung der qualifizierten Zuwanderung hervorhebt. "Wir brauchen Versorgungssicherheit, aber auch eine spürbare Entlastung der Beschäftigten in der Altenpflege."
Auch wenn in den letzten Jahren etwa 100.000 zusätzliche Stellen in der Altenpflege besetzt worden seien, reiche dies nicht, da die Zahl der pflegebedürftigen Menschen absehbar stark ansteigen würde. Bereits heute sind in vielen Regionen trotz der deutlichen Erfolge bei der Mitarbeitergewinnung Versorgungsengpässe unübersehbar. Selbst bei anhaltend hohen Ausbildungszahlen und Erfolgen bei der Umschulung wird die qualifizierte Zuwanderung zu einem immer wichtigeren Faktor in der professionellen Pflege. "Der demografische Wandel zeigt sich immer deutlicher. Die Zahl der Menschen, die älter als 65 Jahre sind, hat sich innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte um fast 37 Prozent erhöht. Man muss kein Rechengenie sein, um zu erfassen, dass die Anzahl an qualifizierten jungen Menschen, die in der Altenpflege arbeiten, nicht in gleichem Maß angestiegen ist. Somit kann die Pflege keinesfalls ausschließlich mit deutschen Fachkräften gestemmt werden", erläutert der bpa-Präsident.
Der Arbeitgeberverband BDA begrüßte die Pläne als „überfällig und richtig“, wie Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter sagte. Dass die Fachkräftezuwanderung nicht mehr auf Engpassberufe beschränkt werden solle, erlaube, dass der tatsächliche Bedarf gedeckt werde. Geplante Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse seien aber nicht ehrgeizig genug. Kommen müsse außerdem eine echte Beschleunigung der Verfahren der Zuwanderung.
„Bisher verlieren wir viel Zeit mit zu langen Anerkennungs- und Visaverfahren“, sagte auch der Innenexperte der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU). „Die bisher zerstreuten Kompetenzen der verschiedenen Behörden müssen gebündelt werden.“ Der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach, begrüßt die Einigung vor allem mit Blick auf die mittelständischen Betriebe. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) verspricht sich nach eigenen Worten von dem Gesetz auch Antworten auf den demografischen Wandel und den Pflegemangel.
AfD-Chef Alexander Gauland sagte: "Asyl und Einwanderung werden nun bis zur Unkenntlichkeit vermischt." Die "abgelehnten Asylbewerber, die jetzt alle legal auf den Arbeitsmarkt und in die Sozialsysteme drängen, werden die Situation vor allem im Niedriglohnsektor mit Sicherheit nicht entspannen".
Der Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, forderte über den Koalitionskompromiss hinaus eine Bleiberechtslösung für alle langjährig von Kettenduldungen Betroffenen. Die Migrationsexpertin der Grünen-Fraktion, Filiz Polat, warnte vor einem „Mehr an Bürokratie und undurchsichtigen Regelungen“.