Als Reaktion auf türkische Angriffe hat eine von den USA unterstützte kurdisch-arabische Rebellen-Allianz ihren Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) im Osten Syriens vorerst eingestellt. Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bezeichneten die Attacken der Türkei auf kurdische Einheiten in Nordsyrien am Mittwoch laut AFP als "Provokation". Rückendeckung erhielten sie von den USA, die Ankaras Militäreinsatz kritisierten.
Die Syrischen Demokratischen Kräfte drohten damit, die Offensive gegen den IS in Hadschin dauerhaft zu beenden, falls Ankara die Angriffe auf kurdische Kämpfer in der Region Kobane in Nordsyrien nicht einstelle. Bei ihrem Kampf gegen den IS handeln die SDF auch mit Unterstützung der USA. Dem US-Verbündeten Türkei sind die Aktivitäten der Kurden nahe der Grenze allerdings ein Dorn im Auge.
Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte, das türkische Vorgehen in Nordsyrien sei Anlass zu "großer Sorge". Die USA seien gegen "unilaterale Angriffe" in der Region, insbesondere wenn sich möglicherweise US-Soldaten in der Nähe aufhalten. Der Ministeriumssprecher rief die Türkei zu einer besseren Absprache zwischen Washington und Ankara auf.
Die türkische Armee hatte am Mittwoch erneut Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in der Region Kobane beschossen. Nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu wurden dabei vier YPG-Kämpfer getötet.
Die Miliz bildet das Rückgrat der SDF. Bereits am Sonntag hatte die türkische Armee die YPG in Kobane bombardiert. Zwei Tage später drohte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit einer neuen Offensive gegen die Kurdenmiliz in Nordsyrien.
Ankara betrachtet die kurdischen Volksverteidigungseinheiten als syrischen Ableger der von ihr bekämpften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), während der Nato-Partner USA die YPG-Miliz im Kampf gegen die Dschihadisten in Syrien unterstützt.
Die an der Grenze zum Irak gelegene Ortschaft Hadschin ist eine der letzten IS-Bastionen in Syrien. Die SDF-Miliz hatte dort am 10. September eine Offensive gegen die Dschihadisten gestartet.
Nachdem die Kämpfer des kurdisch-arabischen Bündnisses mit US-Luftunterstützung langsam vorgerückt waren, stießen sie vergangene Woche auf heftigen Widerstand, während ein Sandsturm US-Luftangriffe erschwerte. Nach schweren Verlusten mussten sie sich am Sonntag auf ihre Ausgangsposition zurückziehen.
Syrische Armee gegen Södlner
Die syrische Armee (SAA) hat am Mittwoch einen Angriff von internationalen Söldnern auf SAA-Stellungen in der Umgebung des Dorfes Atshan im Norden von Hama vereitelt. Die Söldner versuchten, Militärstellungen zu attackieren, die sich 45 Kilometer nördlich der Stadt Hama befinden. Das meldet die syrische staatliche Nachrichtenagentur SANA.
Die Situation in Idlib ist nach wie vor kompliziert. Nicholas Heras vom Center for a New American Security sagte dem türkischsprachigen Dienst von Voice of America (VoA): „Hayat Tahrir al-Scham (al-Nusra-Front, Anm. d. Red.) verfügt über die Kapazität, sich in die sozialen und politischen Strukturen von Idlib zu integrieren. Wenn dies geschehen sollte, müsste die Türkei große Anstrengungen unternehmen, um Hayat Tahrir al-Scham aus Idlib zu vertreiben.“
Hayat Tahrir al-Scham ist die stärkste extremistische Söldner-Truppe in Idlib. Die Extremisten-Truppe Hurras al-Deen und die aus Uiguren bestehende Islamische Partei Turkestan (TIP) sind weitere Verbündete von Hayat Tahrir al-Scham.
Der syrische Analyst Ahmed Abazid sagte VoA: „Hayat Tahrir al-Scham hat Angst vor der Reaktion der Türkei und den regionalen Gruppen.“ Das Abkommen von Sotschi zur Errichtung einer entmilitarisierten Pufferzone in Idlib hat nach Angaben von Abazid die Region vor einer Katastrophe bewahrt. Unklar ist jedoch, wie Russland und die Türkei, die die Pufferzone einrichten wollen, Hayat Tahrir al-Scham zum Einlenken bewegen wollen.
Syrien kritisiert Türkei, Russland kontert
Syrien hatte der Türkei zuvor vorgeworfen, das Abkommen von Sotschi nicht umzusetzen. Die Regierung in Ankara sei nicht gewillt, sich an die Absprachen zu halten, sagte der syrische Außenminister Walid al-Mualem. Die Türkei und Russland wiesen diesen Vorwurf zurück. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, dass das Abkommen von Sotschi zur Errichtung einer entmilitarisierten Zone in Idlib nicht bedroht sei. Die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS zitiert Peskow: „Leider stimmt nicht alles mit dem Plan überein, ich meine mit dem idealen Plan, den unsere türkischen Kollegen hatten. Doch Putin sagte, dass wir das verstehen, da die Situation wirklich sehr schwierig ist. Die türkische Seite unternimmt große Anstrengungen, um die Vereinbarungen zu erfüllen.“
Russland und die Türkei hatten sich im September auf die Einrichtung einer 15 bis 20 Kilometer breiten Pufferzone verständigt, aus der alle schweren Waffen abgezogen werden müssen.
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte, dass der Abzug der schweren Waffen aus der Pufferzone nach Plan verlaufe. Die Zeitung Hürriyet zitiert den Minister: „Alles läuft nach Plan. Bis zum Ende des Jahres werden die Autobahnen M5 und M4, die Aleppo mit Hama und Latakia verbinden, geöffnet.“
Allerdings besteht an dieser Stelle das Problem, dass extremistische Söldner die Autobahn M5 im Süden Idlibs blockieren. Sie wollen die Autobahn nicht freigeben.
Die türkische Zeitung Milliyet führt aus, dass die Türkei sich mit dem Abkommen von Sotschi auf eine schwierige Aufgabe eingelassen habe. Das Blatt führt aus: „Kurzum: Die Türkei hat erneut eine sehr schwierige Aufgabe übernommen. Es gibt eine Reihe von Terroristen, die ihre Waffen niederlegen müssen, sich aber unter der Direktion der USA befinden. Auf der anderen Seite ist Russland, das die Terroristen eliminieren möchte, sich aber auf Drängen der Türkei für den Weg der Überzeugungsarbeit entschieden hat. Wobei der Erfolg dieser Methode von der Entwicklung abhängt. Es besteht allerdings auch die Gefahr, dass in der Region neue Provokationen stattfinden könnten, da jeder in den Konflikt involvierte Staat seine eigenen Interessen hat.“
Norweger wird UN-Gesandter
Der norwegische Diplomat Geir Pedersen ist zum neuen UN-Sondergesandten für Syrien ernannt worden. Der 63-Jährige werde seine Arbeit Ende November aufnehmen, sagte ein UN-Sprecher am Mittwoch. Pedersen tritt die Nachfolge des Sondergesandten Staffan de Mistura an, der Mitte Oktober nach mehr als vier Jahren erfolgloser Vermittlungsbemühungen im Syrienkonflikt seinen Rücktritt angekündigt hatte.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres hatte am Dienstag in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat erklärt, er wolle Pedersen zum Nachfolger de Misturas ernennen. Pedersen ist derzeit Norwegens Botschafter in China und war von 2012 bis 2017 der Vertreter des skandinavischen Landes bei der UNO. Zuvor war er unter anderem als UN-Gesandter für den Libanon tätig. In den 90er Jahren war der Diplomat an den Verhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) beteiligt, die 1993 zum Friedensvertrag von Oslo führten.
Pedersen wird der vierte UN-Sondergesandten für Syrien. Vor de Mistura hatten bereits der ehemalige algerische Außenminister Lakhdar Brahimi und Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan als Syrien-Sondergesandte vergeblich nach Auswegen aus dem blutigen Konflikt gesucht.
Der Milliyet zufolge haben einige Terroristen ihre Waffen aus der entmilitarisierten Zone abgezogen. „Doch die Frage, wohin diese Terroristen nun gezogen sind oder ziehen werden, löst ein gewisses Unbehagen aus“, so das Blatt.