Chinesische Investoren kommen in Deutschland immer seltener zum Zug: Von ihnen durchgeführte Übernahmen und Beteiligungen sind sowohl in ihrer Gesamtzahl als auch in ihrem Euro-Gesamtvolumen im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr stark zurückgegangen. Das ist das Ergebnis einer Analyse der Unternehmensberatung „Ernst & Young“ (EY). In Zahlen: Die Zahl der Übernahmen und Beteiligungen ging von 54 auf 35 zurück (minus 35 Prozent). Das Gesamtvolumen ging von 13,7 auf 10,7 Milliarden Dollar zurück (minus 22 Prozent). Beim Gesamtvolumen ist zu bedenken, dass der Einstieg des chinesischen Autobauers „Geely“ bei Daimler mit 8,9 Milliarden Dollar zu Buche schlug, das heißt, die übrigen 34 Investitionen hatten zusammen nur einen Wert von 1,8 Milliarden Dollar.
Besonders stark fiel der Rückgang bei den Übernahmen und Beteiligungen in der zweiten Jahreshälfte 2018 aus – er betrug 60 Prozent. Damit war in dieser Jahreshälfte die Zahl der Transaktionen so gering wie seit dem ersten Halbjahr 2013 nicht mehr.
Das chinesische Engagement erlebte aber nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa einen Rückgang. Im zweiten Halbjahr 2018 betrug er europaweit 26 Prozent (in Frankreich 27 Prozent, in Großbritannien 23 Prozent und in Italien 17 Prozent). Es handelt sich um den fünften halbjährlichen Rückgang in Folge – zuletzt waren die Übernahme- und Beteiligungs-Aktivitäten der Chinesen im ersten Halbjahr 2016 gestiegen. Die Leiterin der „China Business Services Deutschland, Österreich und Schweiz“ bei EY, Yi Sun, sagt: „Die Gründe für diesen Rückgang sind vielfältig. Zum einen haben sich die Rahmenbedingungen in China verändert: Die Regierung möchte übermäßige Kapitalabflüsse verhindern und wünscht eine Konzentration der Investitionstätigkeit auf Kernbranchen. Zudem wächst die chinesische Wirtschaft nicht mehr so stark, was – gepaart mit der hohen Verschuldung vieler Unternehmen – eine stärkere Vorsicht gerade bei großen Transaktionen zur Folge hat.“
Tatsache ist, dass chinesische Investoren – anders als noch vor ein paar Jahren, als sie vielfach als Retter von in Schwierigkeiten geratenen Firmen und damit von Arbeitsplätzen angesehen wurden – in Europa nicht mehr generell mit offenen Armen empfangen werden. So wird für eine Übernahme häufig eine detaillierte Planung für die Integration in den chinesischen Mutterkonzern erwartet. Auch wird zunehmend genauer geprüft, ob die potentiellen Käufer aus Fernost auch wirklich über die finanziellen Mittel verfügen, um das neu erworbene Unternehmen tatsächlich nachhaltig führen zu können. Aus Angst vor einem Ausverkauf deutscher Spitzentechnologie beschloss die Bundesregierung im Dezember 2018 eine Novelle der Außenwirtschaftsverordnung, um Übernahmen beziehungsweise Beteiligungen durch einen Nicht-EU-Investor leichter verhindern zu können.
Mittelfristig gesehen ist laut Sun allerdings damit zu rechnen, dass die chinesischen Investitionen in Deutschland wieder zunehmen werden. In den kommenden Monaten werde es zwar „weiterhin relativ wenige Übernahmen geben – dazu sind die derzeitigen Rahmenbedingungen (der Handelskrieg mit den USA, die Konjunkturdelle in China, der Rückgang der Weltwirtschaft. Anm. d. Redaktion) einfach zu schwierig. Die grundsätzliche Expansions-Strategie der chinesischen Wirtschaft bleibt trotz aller aktuellen Herausforderungen allerdings gültig – deutsche Unternehmen sind und bleiben sehr beliebte Investitionsziele.“
Was die Auswirkungen der Novelle der Außenwirtschaftsverordnung als auch die allgemeine Bereitschaft der Politik, bei Übernahmen und Beteiligungen genauer hinzuschauen, betrifft, sagt Sun, dass diese Faktoren nur relativ wenig Einfluss haben werden: „Die Mehrzahl der Transaktionen fand in den vergangenen Jahren außerhalb der sicherheitsrelevanten Branchen statt. Potentielle chinesische Investoren wissen jetzt, dass die Situation in einigen Branchen – etwa der Energie-Infrastruktur – kritisch ist und können sich darauf einstellen. Eine generelle Abkehr der Chinesen vom deutschen Markt ist auf keinen Fall zu erwarten.“
Überhaupt hat sich die Einkaufs-Strategie der Chinesen im vergangenen Jahr gewandelt. Die Zahl der europaweit gekauften Industrie-Unternehmen hat sich fast halbiert (39 im Jahr 2018 verglichen mit 79 im Jahr 2017), im High-Tech-Bereich ist sie um ein Drittel zurückgegangen (22 Deals 2018 versus 32 Deals 2017). Dafür ist die Zahl der Übernahmen und Beteiligungen an Konsumgüter-Produzenten (beispielsweise Schmuck- und Möbel-Hersteller) sowie an Dienstleistern gestiegen. Sun: „In China wächst eine kaufkräftige und konsumfreudige Mittelschicht heran – allerdings gibt es in China derzeit noch kaum eine weltbekannte Marke im mittleren oder Luxus-Segment. Daher sind chinesische Investoren seit etwa drei Jahren immer stärker auf der Suche nach namhaften europäischen Konsumgüter-Produzenten. Im E-Commerce gibt es zudem großes Interesse bei vielen europäischen Marktteilnehmern an den Kompetenzen chinesischer E-Commerce-Player in den Bereichen Künstliche Intelligenz und moderne Logistik. Auch hier dürfte es künftig mehr Transaktionen geben.“