Die deutsche Automobil-Wirtschaft steht vor einer der härtesten Bewährungsproben ihrer Geschichte: Das Vertrauen in den Diesel ist nach zahllosen Skandalen vielleicht für immer zerstört. Der neue Abgasprüfstandard WLTP hat dafür gesorgt, dass derzeit die Auto-Produktion so gering ist wie seit 1997 nicht mehr. Das Konjunktur-Barometer trübt sich ein und wird sich - angesichts des Brexit-Dramas, des amerikanisch-chinesischen Handelskriegs sowie der drohenden Rezession in China - so rasch wahrscheinlich nicht wieder aufhellen. Die wichtigste Entwicklung ist jedoch der sich anbahnende Wandel hin zur Elektromobilität. Er verlangt von den deutschen Autobauern Investitionen in Forschung und Entwicklung in Höhe einer dreistelligen Milliarden-Summe. Angesichts dieser fast schon existentiellen Herausforderungen sollte man von Führungs-Etagen der Konzerne Besonnenheit, klares Denken und ein darauf basierendes strategisches Vorgehen erwarten. Stattdessen: Chaos und panischer Aktionismus, so weit das Auge reicht.
BMW-Einkaufs-Chef Andreas Wendt fordert die 30 weltweit führenden Zulieferer (davon sechs aus Deutschland) in einem Brandbrief dazu auf, im Rahmen eines „360-Grad-Programms“ zahlreiche Einsparmaßnahmen vorzunehmen - mit der unausgesprochenen, aber unmissverständlichen Drohung, im Falle der Missachtung des Programms auf die Dienste des unbotmäßigen Zulieferers in Zukunft zu verzichten.
VW-Chef Herbert Diess propagiert den radikalen Wechsel zur Elektromobilität und geriert sich dabei als Prophet, obwohl gerade sein Konzern der Hauptverantwortliche für den Diesel-Skandal war. Gleichzeitig fordert er, den Ausbau der E-Mobilität steuerlich zu unterstützen und im Gegenzug jegliche Vergünstigungen für den Diesel zu streichen. Dass er dabei die beiden anderen großen Akteure der deutschen Automobil-Branche, BMW und Daimler, kräftig verärgert, ficht Diess nicht an, im Gegenteil: Er droht sogar, den VDA, der bisher als mächtige Interessenvertretung Gesellschaft und Politik mehr oder weniger vor sich hertrieb, zu verlassen, und stattdessen auf eigene Faust die E-Mobilität voranzutreiben. „Eine Wette auf die Zukunft“, nennt Prof. Stefan Bratzel vom „Center of Automotive Management“ (CAM) in Bergisch Gladbach Diess´ Vorgehen im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten.
Unterdessen streicht Porsche die Nachtschicht in Leipzig und Audi die Nachtschicht in Ingolstadt, will Opel ausgelernte Azubis nicht mehr zu übernehmen und streicht Ford gleich mal eben 5.000 Stellen. Das alles, während Audi schwerwiegende Einschnitte ankündigt, BMW die Dividende kürzt und Mercedes einen Monat nach dem anderen weltweite Absatzrückgänge hinnehmen muss. Zur Krönung liefern sich VW-Vorstands-Chef Diess und der mächtige Volkswagen-Betriebsrat Bernd Osterloh vor 20.000 Beschäftigten ein offenes Wortgefecht.
Währenddessen bangen Zehntausende Beschäftigte um ihren Job. Denn eins ist klar: Die Elektromobilität wird Arbeitsplätze kosten, und zwar viele - Experten rechnen damit, dass in Deutschland mindestens 100.000 Stellen wegfallen werden. Gut bezahlte Stellen. Und zwar nicht nur bei den Autobauern selbst - auch die Zulieferer werden leiden müssen. „Es wird eine Konsolidierung geben“, so Bratzel. „Nicht jedes Unternehmen wird die für die anstehende Transformation notwendige Investitionen schultern können.“ Wobei auch bei den Großen der Branche Arbeitsplatzverluste wahrscheinlich sind: Beim weltgrößten Zulieferer Bosch droht in den nächsten Jahren der Wegfall tausender Arbeitsplätze, die vom Verbrennungsmotor abhängig sind. Der Betriebsrats-Chef des Bosch-Werks Bamberg, Maschinenbau-Ingenieur Mario Gutmann, sagte in der Süddeutschen Zeitung, er gehe davon aus, dass von den derzeit über 800.000 Jobs in der deutschen Autoindustrie innerhalb der nächsten zehn Jahre die Hälfte wegfallen könnte: „Wenn die E-Mobilität explosionsartig kommt, dann ist es mit unserem Wohlstand in Deutschland vorbei.“
Immerhin: Die Autobosse von BMW, Daimler und VW haben ihren Streit schon wieder beigelegt, und Volkswagen will sogar im VDA bleiben. Bleibt zu hoffen, dass das nicht die einzigen positiven Nachrichten von der Auto-Front bleiben.