Vor fünf Jahre hat die Europäische Zentralbank den Leitzins erstmals unter null Prozent abgesenkt. Nun erwägen die EZB-Beamten eine Umgestaltung ihrer Zinspolitik. Sie reagieren damit auf die Schwäche von Wirtschaft und Banken, die noch längere Zeit andauern könnten.
EZB-Chef Mario Draghi startete im Jahr 2014 in eine neue Phase der Geldpolitik. Die Europäische Zentralbank senkte damals erstmals ihren Einlagenzinssatz unter null. In der Folge wurde der Einlagenzinssatz weiter abgesenkt. Seit dem Jahr 2016 liegt er konstant bei minus 0,4 Prozent.
Während Geschäftsbanken zuvor für ihre Guthaben bei der EZB Zinsen erhalten hatten, müssen sie seit 2014 selbst Strafzinsen für ihre Einlagen bei der Zentralbank abführen. Dies ist Teil der Politik, die Banken dazu zu bewegen, ihr Geld zu verleihen, statt es nur zu halten.
Die Financial Times zitiert EZB-Insider, denen zufolge die Banken der Eurozone jährlich 7,5 Milliarden Euro Strafzinsen an die Zentralbank abführen müssen. Daher hat die Commerzbank erwogen, ihre Zentralbankreserven von ihrem Konto bei der EZB abzuheben und das Geld in bar im Tresor zu lagern.
David Folkerts-Landau, Chefökonom der Deutschen Bank, hat die EZB-Zinspolitik wiederholt kritisiert. Im letzten Monat schrieb er, dass negative Zinssätze einen "Panikgeruch" hätten, der das Vertrauen von Anlegern und Sparern untergrabe.
Lange hatte Mario Draghi die Kritik seitens der Banken zurückgewiesen. Er sagte, die Aufgabe der EZB bestehe nicht darin, die Gewinne von Banken zu steigern, sondern darin, das Wirtschaftswachstum zu steigern und die Inflation auf ein Niveau knapp unter 2 Prozent zu bringen.
Doch dann im März sagte der EZB-Chef für viele überraschend, dass die Entscheidungsträger bei der Zentralbank prüfen würden, ob sie nicht zumindest einen Teil der verhängten Strafzinsen aufheben sollten. In der Folge sprangen die Bankaktien in die Höhe.
Zwar ist die Debatte über die Neugestaltung der Zinspolitik noch in der frühen Phase, und auf der nächsten Sitzung des Gouverneursrats wird es wahrscheinlich vorerst keine Änderung der Zinssätze geben.
Doch eine Überlegung ist ein dreistufiges Modell, bei dem die Banken für einen Teil ihrer Einlagen bei der Zentralbank keine Strafzinsen zahlen müssen, und ein weiterer Teil soll sogar einen positiven Zinssatz bieten.
Angesichts der sich verschlechternden Wachstumsaussichten für die Eurozone erscheint der Zeitpunkt für Draghis Kurswechsel ungewöhnlich. Andererseits gibt es seit 2016, als die EZB erstmals den Übergang zu einem gestuften Zinsmodell erwog, zwei neue Entwicklungen.
Eine dieser beiden neuen Entwicklungen ist das verminderte Deflationsrisiko. Dies wurde von François Villeroy de Galhau, dem Gouverneur der Banque de France, festgestellt, als er im Februar eine Überprüfung der Zinspolitik forderte.
Ein Argument für negative Zinsen war gewesen, dass man damit das Risiko fallender Preise absenken wollte, die eine Welle von Kreditausfällen auslösen könnten. Die geringere Deflationsgefahr nimmt diesem Argument nun den Wind aus den Segeln.
Ein weiterer Grund, warum Draghi und der EZB-Rat jetzt offener für Debatten sind, ist, dass die Wachstumsaussichten auf lange Zeit auf Stagnation stehen, sodass die Zinssätze wohl noch für viele Jahre unter null bleiben werden.
Zwar hat die EZB bisher lediglich gesagt, dass die Zinsen "mindestens bis Ende 2019" auf Rekordtiefständen bleiben werden. Doch die Märkte prognostizieren keine erste Zinserhöhung bis zum Jahr 2021.
Draghi hat angedeutet, dass er die Äußerungen der Zentralbank über ihre beabsichtigte Geldpolitik, die man auch als "Forward Guidance" bezeichnet, an die Markterwartungen anpassen möchte. Da seine Amtszeit im Oktober ausläuft, haben auch die anderen Mitglieder des EZB-Rates großen Einfluss.
Der Wechsel zu einem Drei-Stufen-Modell beim Einlagenzinssatz könnte Ratsmitglieder wie Villeroy de Galhau beruhigen, die befürchten, dass die so lang andauernde expansive Geldpolitik die Banken der Eurozone schädigen wird, die bereits wegen des schwachen Wachstums unter Druck stehen.
Frederik Ducrozet von Pictet Wealth Management sagte, dass Draghi und andere Vertreter einer sehr expansiven Geldpolitik - mit der stillschweigenden Unterstützung von Villeroy de Galhau - derzeit denn Grund für eine Veränderung legen.
"Das sieht aus wie ein Mini-Coup", zitiert ihn die FT. Wenn die EZB im September aus irgendeinem Grund ihre "Forward Guidance" in die Zukunft ausdehnen muss, dann werde ein gestaffeltes Zinsmodell wahrscheinlich als Option zur Minderung der Kosten durch die negativen Zinssätze hervortreten.
Wenn dies so kommt, so würde es die Banken sehr erfreuen. Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, sagte, die Strafzinsen würden die Bemühungen der Banken behindern, ihre Bilanzen zu stärken, und ihre Kreditoptionen einschränken.
„Wir möchten gerne sehen, ob sich die EZB jetzt in diese richtige Richtung bewegt. Die schweizerische und die japanische Zentralbank haben die negativen Zinssätze seit vielen Jahren mit Nachlässen für ihre Banken abgemildert.“