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Siemens spaltet sich auf: Hoffnung ruht auf Digitalisierung und Energie-Technik

Lesezeit: 3 min
08.05.2019 16:00
Siemens spaltet sich auf: Das Traditions-Unternehmen will in Zukunft auf die beiden Bereiche Digitalisierung und Energie-Technik setzen. Börsianer und Analysten jubeln - für die Arbeitnehmer beginnt eine ungewisse Zukunft.
Siemens spaltet sich auf: Hoffnung ruht auf Digitalisierung und Energie-Technik

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Aus eins mach zwei - oder noch mehr. Siemens-Chef Joe Kaeser geht den von Börsianern ersehnten Schritt und spaltet den 1847 in Berlin gegründeten und mittlerweile in München ansässigen Industrie-Konzern in zwei Unternehmen auf. Im September 2020 soll neben einer ganz auf das digitale Zeitalter ausgerichteten Siemens AG ein großer Energietechnik-Konzern an der Börse gelistet sein, der ebenfalls "Siemens" im Namen trägt. „Wir haben den größten Strukturwandel in der jüngeren Geschichte von Siemens in die Wege geleitet", sagte Kaeser am heutigen Mittwoch vor Investoren und Analysten. „Die Frage war: Wie schaffe ich eine Firma, die die vierte industrielle Revolution übersteht?" Sowohl im künftigen Kerngeschäft mit der Digitalisierung von Fabriken, Gebäuden und ganzen Städten als auch in der Energiesparte wird zunächst gespart: Mindestens 10.400 Arbeitsplätze fallen weg. Anderswo sollen aber mehr als 20.000 neue entstehen.

Börsenexperten feierten die Abspaltung. Die Siemens-Aktie schnellte um 4,5 Prozent auf 107 Euro. „Die Neuausrichtung zu einem Technologiekonzern ist damit besiegelt", sagte Portfoliomanager Christoph Niesel von „Union Investment“. Der Analyst Peter Reilly von „Jefferies“ sprach von einem "großen Schritt in die richtige Richtung". Zum ersten Mal gebe Siemens damit im Zuge seiner „Flottenstrategie" tatsächlich die Mehrheit an einem ganzen Unternehmensbereich ab, sagte Gael de-Bray von der Deutschen Bank.

Das Geschäft mit Kohle- und Gas-Kraftwerken, aber auch mit Windrädern verschlingt viel Kapital - hält aber mit den Margen der meisten anderen Bereiche nicht mit. Ohne die Sparte „Gas & Power“ und die Windkraft-Tochter „Siemens Gamesa“ sieht der Siemens-Chef nun die Chance, die Umsatzrendite von zuletzt weniger als elf Prozent auf 14 bis 18 Prozent zu schrauben. Im Energiegeschäft kommt der Konzern bisher nur auf vier Prozent, mehr als acht Prozent seien auch in den nächsten vier Jahren nicht drin.

Beim Börsengang will die Siemens AG knapp 50 Prozent an der bisherigen Energie-Tochter behalten, „um eingangs ein starkes Zeichen zu setzen", wie Kaeser sagte. Die übrigen Aktien der von den Arbeitnehmervertretern vorerst "Siemens Power AG" getauften neuen Gesellschaft werden an die Anteilseigner verteilt. Langfristig könnte der Siemens-Anteil bis auf 25 Prozent sinken. Die Branche ist im Umbruch: Im Turbinen-Geschäft baut Siemens 6.000 Stellen ab, weil nach der Energiewende große Gas- und Kohlekraftwerke nicht mehr gefragt sind. „Siemens Gamesa“ kämpft mit Preisdruck. Von einer Krise in der Sparte könne aber nicht die Rede sein, sagte Kaeser. „Wenn so Krisen aussehen, freue ich mich auf die nächste." Die Welt brauche auf Dauer viel mehr Strom, etwa für Elektroautos. "Die Chancen sind gewaltig. Das wird alles dauern, aber es wird kommen."

DER ABSCHIED VOM 100-MILLIARDEN-KONZERN

Siemens trennt sich mit der Energie-Sparte von knapp einem Viertel seiner 388.000 Mitarbeiter und einem Drittel des Umsatzes. Kaesers Vorgänger Peter Löscher hatte noch von einem 100-Milliarden-Euro-Konzern geträumt. Nach der Aufspaltung kommt Siemens noch auf gut die Hälfte. „Fokus schafft Wachstum, nicht Größe. Wenn Größe die Lösung wäre, wäre die Welt heute voll von Dinosauriern", sagte Kaeser. Vor gut einem Jahr hatte er schon die Medizintechnik-Sparte „Siemens Healthineers“ an die Börse gebracht.

Trotz des drohenden Stellenabbaus hat der Siemens-Chef auch die Gewerkschafter und Belegschaftsvertreter für sich gewonnen, die vor einem Jahr noch gegen die Kürzungen in der Kraftwerks-Sparte Sturm gelaufen waren. Die Entscheidung im Aufsichtsrat fiel einstimmig. „Es entsteht ein Unternehmen, das trotz mancher Unwägbarkeiten die besseren Perspektiven für die Beschäftigten bietet", sagte IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner. Betriebsratschefin Birgit Steinborn sagte, die Energie-Bereich wäre bei Siemens „sprichwörtlich verhungert".

Gegen einen Verkauf der Kraftwerks-Sparte an die japanische Mitsubishi Hitachi hatten sich die Arbeitnehmervertreter gesperrt. Sie pochen darauf, dass die neue Gesellschaft den Sitz in Deutschland hat. Von wo aus sie tatsächlich gemanagt wird, ist aber offen. Bisher ist das Hauptquartier der Gas- und Strom-Sparte im texanischen Houston angesiedelt.

Als „industriellen Kern" von Siemens sieht Kaeser künftig die Automatisierungs- und die Infrastruktur-Sparte. Doch auch dort drohen Einschnitte: Bis zu 4.900 Stellen stehen bei „Digital Industries“ auf der Kippe, 3.000 bei „Smart Infrastructure“. Ein Großteil der Betroffenen werde einfach in Rente gehen, sagte Kaeser. In der Verwaltung will er rund 2.500 von 12.500 Stellen abbauen. Das soll die Kosten bis 2023 um 2,2 Milliarden Euro senken, kostet aber erst einmal eine Milliarde. Auch die neue Energiefirma geht auf Sparkurs: Binnen vier Jahren sollen 500 Millionen Euro Kosten herausgenommen werden, um die Rendite zu verdoppeln - wie viele Arbeitsplätze das kostet, ist unklar.

Das Tagesgeschäft läuft: Im zweiten Quartal (von Januar bis März) stieg das bereinigte operative Ergebnis (Ebita) im Industriegeschäft um sieben Prozent auf 2,41 Milliarden Euro, stärker als von Experten erwartet. Der Umsatz kletterte um vier Prozent auf 20,9 Milliarden Euro. Der Auftragsbestand liegt mit 142 Milliarden Euro auf Rekordniveau. Und selbst die Energie-Sparte verbesserte das Ergebnis deutlich. Vor einer Erhöhung der Gewinnprognose für 2018/19 (per Ende September) will Finanzvorstand Ralf Thomas aber das dritte Quartal abwarten. „Die Prognose hat auch eine obere Hälfte", deutete er eine Präzisierung an.

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