In einem Interview mit der Rheinischen Post zieht der Erfinder der Demokratieabgabe, WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn, eine positive Bilanz seines dynamischen Interviews mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Dass man gewisse Zweifel an der Kompetenz des WDR-Chefredakteurs in Fragen der Zypern-Rettung oder den US-Gesetzen haben könnte, kann Schönenborn nicht nachvollziehen, im Gegenteil.
Die Situation, als er von Putin mit einer Gegenfrage zu den US-Bedingungen für politische Think-Tanks aufs Eis geführt wurde, schildert Schönenborn eigenwillig: Er behauptet: „Natürlich kannten wir das Gesetz.“
Wer im pluralis majestatis von sich spricht, hat immer Recht. Schönenborn sagt, er habe zweimal darauf beharrt, dass es keine Razzien in den USA gegen politische Stiftungen gäbe.
Die logische Folge dieses gelungenen Tacklings:
„Und das hat Herrn Putin dann ja auch ziemlich aus der Fassung gebracht.“
Gibt es eine zweite, geheime Fassung des Interviews?
Schönenborn, der alle Fragen von Zetteln ablas und nie nachbohrte, beschreibt sich selbst als investigativen, knallharten Interviewer:
„Er (Putin) hat sich meinen Fragen gestellt. Die waren deutlich kritischer, als er das aus vielen Interviews gewohnt ist. Aber er ist natürlich auch Antworten schuldig geblieben.“
Was manch einem Zuschauer verborgen geblieben sein könnte, erklärt Schönenborn in seiner Nachlese in der Rheinischen Post als subtile Taktik:
„Meine Strategie war: stoisch gelassen bleiben und in aller Ruhe die nächste Frage stellen.“
Das begeisterte Publikum sah das genauso:
„Die große Mehrheit der Zuschauer, die am Freitag nach der Sendung reagiert haben, hat genau das gelobt und hat ein Psychogramm eines aggressiven Präsidenten gesehen.“
Kritik an solchen Interviews sei nur von „einem kleinen Teil“ gekommen. Das sei „vermutlich das Risiko, das man bei einem so ungewöhnlichen Gespräch eingeht“ (ein kleiner Teil der Kritik findet sich hier mit 588 Leser-Kommentaren).
Woher weiß Schönenborn eigentlich, was die „große Mehrheit der Zuschauer“ unmittelbar nach der Sendung gedacht hat? Die ARD hatte die Kommentarfunktion zu dem Interview im Internet gesperrt. Die GEZ-Zahler hatten keine Möglichkeit, ihr Lob auf der Website der ARD zum Ausdruck zu bringen.
Auf die Frage, ob es nicht vielleicht klüger gewesen wäre, jemanden zum Interview zu schicken, der Russisch spricht und sich im Thema auskennt, etwa die WDR-Korrespondentin Ina Ruck, sagte Schönenborn:
„Es war unser Wunsch, auch mein Wunsch, dass Ina Ruck dieses Interview führt. Das Presseamt hat aber aus Protokollgründen auf einem Chefredakteur als Interviewer bestanden. Das ist ja auch in westlichen Demokratien nicht unüblich. Deshalb haben wir uns darauf eingelassen.“
Aha.
Der Kreml kann sich also aussuchen, wer das Interview für einen öffentlich-rechtlichen deutschen Sender führt.
Theoretisch hätte die ARD auch sagen könne, dass sie bestimmt, wer die Fragen stellt. Aber das hätte dem Selbstverständnis des Senders widersprochen.
Der WDR ist nämlich eine Institution. Ein Staat (im Staate).
Daher versteht man beim WDR die Protokollgründe des Kreml: Mit dem russischen Präsidenten kann nur ein Repräsentant sprechen, der im selben Rang ist wie der Präsident.
Es muss ein Gespräch auf Augenhöhe sein. Das Protokoll, welchem der Kreml und der WDR verpflichtet sind, schreibt vor, dass solche Gespräche von Staatschef zu Chefredakteur geführt werden.
Ein Prominenter kann nur von einem Prominenten interviewt werden.
Putin war sich allerdings nicht ganz sicher, ob Schönenborn in dieser Hinsicht wirklich dem Protokoll Genüge tun kann. Daher fragte er Schönenborn vor laufender Kamera sicherheitshalber: „Wie heißen Sie eigentlich?“
Und hier hat Schönenborn den einzigen Fehler in dem Interview gemacht.
Er antwortete: „Jörg Schönenborn.“
Diese Antwort war falsch. Sie hat Putin verwirrt.
Schönenborn hätte sagen müssen:
„Ich bin der Chefredakteur des Westdeutschen Rundfunks.“
Ohne Namen, nur die Funktion.
Das hätte Putin eingeschüchtert. Dann hätte der russische Präsident mit Sicherheit weniger freche Antworten gegeben. Putin hätte gewusst: Das ist kein Interview, sondern ein Gipfeltreffen.
Da macht man keine Witze.
Das Gespräch wäre dann das „ungewöhnliche Gespräch“ geworden, als das es der Chefredakteur des WDR so hintergründig angelegt hätte.
Aber wäre es dann auch so lehrreich für die Zuschauer geworden?