Anleger schätzen die deutsche Konjunkturlage angesichts des Auftragsschwunds in der Industrie so schlecht ein wie seit über neun Jahren nicht mehr. Das Barometer fiel im Juli um 8,9 auf minus 1,1 Zähler, wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag zu seiner monatlichen Umfrage unter 189 Analysten und Anlegern mitteilte. Das Barometer für ihre Erwartungen für das nächste halbe Jahr sank zugleich um 3,4 auf minus 24,5 Punkte. Das ist der schwächste Wert seit Oktober 2018. Von Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit einem Rückgang auf minus 22,3 Zähler gerechnet.
"Insbesondere die Fortsetzung des Negativtrends bei den Auftragseingängen der deutschen Industrie dürfte die Finanzmarktexperten in ihrem Konjunkturpessimismus bestätigt haben", sagte ZEW-Präsident Achim Wambach. "Eine nachhaltige Eindämmung der Unsicherheitsfaktoren für die exportorientierten Branchen der deutschen Wirtschaft ist derzeit nicht in Sicht." Der Iran-Konflikt scheine sich eher zu verschärfen, während der anhaltende Handelsstreit zwischen den USA und China eine Belastung nicht nur für die chinesische Wirtschaftsentwicklung darstelle. "Auch bei der Ausgestaltung des Brexits ist kein Fortschritt zu erkennen", sagte Wambach.
"Der nun schon seit längerem anhaltende Auftragsschwund in der Industrie hinterlässt langsam aber sicher tiefe Kerben in der Wirtschaftsentwicklung", erklärte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. "Vor allem in den deutschen Schlüsselindustrien Automobil- und Maschinenbau sowie in der Chemiebranche nehmen die Sorgenfalten zu." Die Hoffnungen der exportabhängigen Wirtschaft ruhten nun auf den von der chinesischen Regierung lancierten Konjunkturmaßnahmen. "Steuer- und Gebührensenkungen in Kombination mit einer steigenden Kreditvergabe versprechen im zweiten Halbjahr eine steigende asiatische Nachfrage nach deutschen Industriegütern – zumindest theoretisch", sagte Gitzel. Ermutigend sei auch, dass sich Frankreich gut halte, das Deutschlands zweitwichtigster Exportkunde nach den USA ist.
Die Bundesregierung rechnet mit einem schwachen Abschneiden der Wirtschaft im zu Ende gegangenen zweiten Quartal. "Nach einer überraschend starken Entwicklung im ersten Quartal deuten die aktuellen Konjunkturindikatoren auf eine verhaltene Entwicklung im zweiten Vierteljahr hin", heißt es im aktuellen Monatsbericht des Wirtschaftsministeriums. Zu Jahresbeginn war das Bruttoinlandsprodukt um 0,4 Prozent gewachsen.