Deutschland

Falsche Doktor-Titel: Massen-Razzia ohne strenge Prüfung des Einzelfalls

Das Amtsgericht Lübeck hat fast hundert Razzien wegen falscher Doktortitel angeordnet. Dabei verwendete der Richter vorgefertigte Hausdurchsuchungs-Formulare. Das ist unzulässig. Das Gericht ist verpflichtet, jeden einzelnen Fall sorgfältig zu prüfen, bevor es eine derart gravierende Maßnahme anordnen darf.
16.05.2013 02:03
Lesezeit: 1 min

Im April wurden bundesweit rund hundert Razzien wegen falscher Doktor-Titel durchgeführt. Der zuständige Richter Jörg Hentschel vom Amtsgericht Lübeck hat für die Durchsuchungs-Beschlüsse ein vorgefertigtes Formular verwendet. Eine Einzelfall-Prüfung hat anscheinend nicht so sorgfältig stattgefunden, wie dies bei einem derart gravierenden Eingriff eigentlich zwingend vorgeschrieben ist.

Die Unternehmerin Eva Ihnenfeldt war eine von etwa hundert Personen, bei denen Richter Hentschel Hausdurchsuchungen anordnete. Wegen eines scherzhaften Blog-Artikels über ihren falschen Doktortitel wurden in aller Frühe nicht nur ihre Privatwohnung, sondern auch ihr Büro von insgesamt acht Beamten durchsucht (hier).

Der richterliche Beschluss zur Durchsuchung ihrer Wohnung ist ein vorgefertigtes Formular, bei dem nur drei Einträge handschriftlich vorgenommen wurden, sagte Ihnenfeldts Anwalt den Deutschen Wirtschafts Nachrichten nach Durchsicht der Ermittlungs-Akte. So wurden Ihnenfeldts Aktenzeichen, ihr angeblich geführter Titel und als Beweismittel ihre Webseite [www.steadynews.de] handschriftlich eingetragen. Doch alles andere war vorgefertigt.

Richter Hentschel ordnete bundesweit fast hundert Razzien an (hier). Nur in zwei Fällen lehnte Hentschel eine Durchsuchung ab, da die entsprechenden Personen sich bei der Polizei erkundigt hatten, ob sie den Titel tragen dürften, sagte der Gerichts-Sprecher den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.

In den restlichen Fällen sieht der Gerichtssprecher sogar einen Vorteil für die Betroffenen: "Die Leute bekommen so die Möglichkeit, den Vorwurf gleich an Ort und Stelle auszuräumen und müssen nicht mehr lange nach Dokumenten suchen oder diese umständlich an das Gericht schicken."

So kann man es natürlich auch sehen.

Richter Hentschel verwendete offenbar vorgefertigte Formulare und ordnete die Hausdurchsuchungen ohne eine größere Prüfung an. Eine unzureichende Prüfung wird auch dadurch belegt, dass Ihnenfeldts Blog-Eintrag offensichtlich satirisch war und von einer Anmaßung falscher Titel nicht die Rede sein konnte. Seine Pflicht zur Einzelfall-Entscheidung beim Entzug von Grundrechten scheint der Richter missachtet zu haben.

Der Anwalt von Ihnenfeldt hat gegen die Maßnahme von Richter Hentschel eine Beschwerde eingelegt. Doch Hentschel sagt, sein Durchsuchungs-Beschluss sei in Ordnung gewesen. Daher ist Ihnenfeldts Beschwerde an die nächsthöhere Instanz gegangen, an das Landgericht Lübeck, so der Gerichts-Sprecher.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Politische Unsicherheit: Warum Anleger jetzt Fehler machen
03.07.2025

Trumps Kurs schürt Unsicherheit an den Finanzmärkten. Wie Anleger jetzt kühlen Kopf bewahren und welche Fehler sie unbedingt vermeiden...

DWN
Politik
Politik Keine Stromsteuersenkung: Harsche Kritik der Wirtschaftsverbände
03.07.2025

Die Strompreise bleiben hoch, die Entlastung fällt kleiner aus als versprochen. Die Bundesregierung gerät unter Druck, denn viele Bürger...

DWN
Politik
Politik USA drosseln Waffenhilfe – Europa unter Zugzwang
03.07.2025

Die USA drosseln die Waffenhilfe für Kiew. Europa muss die Lücke schließen. Wie geht es weiter?

DWN
Unternehmen
Unternehmen Baywa Milliardenverlust: Sanierung bleibt trotz Rekordminus auf Kurs
03.07.2025

Baywa steckt tief in den roten Zahlen – doch der Sanierungsplan bleibt unangetastet. Der traditionsreiche Konzern kämpft mit Altlasten,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Seltene Erden: China kontrolliert deutsche Industrie
03.07.2025

Die deutsche Industrie gerät zunehmend in die Abhängigkeit Chinas, weil Peking bei seltenen Erden den Weltmarkt kontrolliert....

DWN
Panorama
Panorama Spritpreis: Wie der Rakete-und-Feder-Effekt Verbraucher belastet
03.07.2025

Die Spritpreise steigen wie eine Rakete, fallen aber nur langsam wie eine Feder. Das Bundeskartellamt nimmt dieses Muster ins Visier und...

DWN
Finanzen
Finanzen Vetternwirtschaft und Machtspiele: So scheitert der NATO-Innovationsplan
03.07.2025

Milliarden für die NATO-Innovation, doch hinter den Kulissen regiert das Chaos: Interessenkonflikte, Rücktritte und Streit gefährden...

DWN
Politik
Politik Trump dreht den Geldhahn zu: Kiew kämpft ohne Washington
02.07.2025

Donald Trump kappt Waffenhilfe für die Ukraine, Europa zögert, Moskau rückt vor. Doch Kiew sucht nach eigenen Wegen – und die Rechnung...