Weltwirtschaft

Handelskrieg nur Auslöser: Ursache der Rezession ist verfehlte Geldpolitik der Notenbanken

Lesezeit: 9 min
25.10.2019 17:57  Aktualisiert: 25.10.2019 18:28
Trumps Handelskrieg ist nur der Auslöser der sich anbahnenden Rezession. Doch die Ursachen liegen tiefer: In der verfehlten Geldpolitik der großen Notenbanken.
Handelskrieg nur Auslöser: Ursache der Rezession ist verfehlte Geldpolitik der Notenbanken
Der Präsident der US-Notenbank: Jerome Powell. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Trumps Handelskrieg hat eine globale Wachstumsverlangsamung mit Rezessionsgefahr ausgelöst. Doch die Ursachen der aktuellen Wirtschaftsverlangsamung gehen tiefer. Man kann nicht alles der Trump-Administration oder – innerhalb Europas - dem Brexit anlasten. Es ist vielmehr die gesamte Politik der letzten Dekaden, welche ein inkohärentes, unsicheres Gebäude der Weltwirtschaft errichtet hat.

Ein wichtiger Punkt ist die schlechte Qualität des konjunkturellen Aufschwungs seit der Grossen Finanzkrise, eigentlich sogar schon seit der Jahrtausendwende. Die Durchsetzung des sogenannten Freihandels mit China (WTO-Beitritt Dezember 2011) und die Integration der osteuropäischen Länder in die Europäische Union waren zunächst primär eine Arbitrage-Gelegenheit vor allem für westliche Großunternehmen und Multinationale, um Löhne, Steuern, Sozialleistungen und Umweltkosten zu sparen beziehungsweise zu drücken. Der Freihandel erfolgte nur in eine Richtung: China schottete seinen Binnenmarkt weiterhin sorgsam ab, wo die Führung dies wollte: Über prohibitive Zölle, und über den Zwang zu joint ventures für ausländische, in China produzierende Unternehmen. Profitiert haben neben diesen Konzernen zum einen China und dessen Zulieferer-Staaten in Asien, zum anderen die Länder Osteuropas. In den Vereinigten Staaten und in Westeuropa ist die Industrie stark geschrumpft – Ausnahme das Auto- und Maschinenbauerland Deutschland sowie einige kleine Länder mit ähnlichen Eigenschaften. Ein wesentlicher Grund ist auch, dass in den USA und in Europa seit Jahrzehnten zu wenig, teilweise viel zu wenig, in die Infrastruktur investiert wird. Kein Wunder ist das Wirtschaftswachstum der letzten beiden Dekaden in vielen Industrieländern von einer schwachen Investitionstätigkeit begleitet, notabene trotz der nominell und real niedrigsten Zinsen seit dem Zweiten Weltkrieg.

Der rasante Aufstieg Chinas und vor allem die Neuformulierung des Wachstumsmodells durch den neuen Vorsitzenden Xi Jinping seit 2015 schaffen für den Rest der Welt eine neue zusätzliche Unsicherheit. China optimiert sein hoch merkantilistisches Wachstumsmodell. Das Modell des globalen Freihandels und seiner Institutionen wie der WTO oder dem IWF ist offensichtlich den eindeutig protektionistischen Tendenzen in der Binnenwirtschaft und den durch enorme staatliche Mittel subventionierten Schlüsselsektoren Chinas im Rahmen der ‚Made in China‘–Initiative für 2025 nicht gewachsen. Durch diese neue Industriepolitik will China praktisch in allen neuen Wachstumsbereichen an die Weltspitze und gleichzeitig noch die ohnehin geringe Importneigung verringern. Trumps Handelskrieg ist beziehungsweise war ein Versuch, diesem neuen Modell Chinas durch eine isolierte, aggressive und nationalistische Handels- und Technologiepolitik zu begegnen. In Europa sind die Entscheidungsträger entweder blind oder von internen politischen Schwierigkeiten so absorbiert, dass sie die Gefahr dieser hoch merkantilistischen chinesischen Industriepolitik nicht erkennen und jedenfalls nichts Ernsthaftes dagegen unternehmen. Peinlicherweise klatschen einige dieser Entscheidungsträger sogar Beifall, wenn der Vorsitzende Xi Jingping - aus seinem Mund klingen diese Worte absurd - den Multilateralismus und den Freihandel als Lösungen für die Zukunft bezeichnet.

Die Desindustrialisierung der USA und vor allem Europas ist folgenreich: Da der Industrie-Sektor nun mal die höchsten Produktivitätsfortschritte erzielt, verlangsamt sich das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum. Gutbezahlte Jobs gehen verloren, in der Industrie und in wichtigen vor- und nachgelagerten Branchen.

Das abgeschwächte Produktivitätswachstum ist darüber hinaus noch sehr ungleich verteilt worden. Durch Produktions-Auslagerungen, technische Neuerungen und deflationäre Arbeitsmarktpolitiken sind die Lohnzuwächse stark begrenzt oder die Löhne großer Bevölkerungsgruppen sogar gedrückt worden. Verbreitet haben sich Formen von unsicherer Arbeit – Zweitjobs, Zeitarbeitsverträge, Teilzeitarbeit, Arbeit auf Abruf, und was es sonst noch an demütigenden Arbeitsformen so gibt. Die Unsicherheit ist ein strukturelles Merkmal des heutigen Arbeitsmarktes in den Industrieländern, selbst bei unbefristeten Arbeitsverträgen.

Die neoliberal geprägte Politik der letzten Jahrzehnte – Deregulierung von Produktions-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkten, Privatisierung, Steuersenkungen für Vermögende und Unternehmen - hat eine globale Kreditblase und Schuldenorgie begünstigt, begleitet von einer präzedenzlosen Preisblase bei Vermögensgütern. Sie hat in vielen Ländern - bei stagnierenden oder sinkenden Real-Einkommen eines grossen Teils der Bevölkerung - viele Unternehmen, Privathaushalte und staatliche Kassen in eine hohe Verschuldung geführt, in einigen Ländern gleich alle drei Sektoren gleichzeitig.

Die Unterschiede in den Ausformungen sind zwischen verschiedenen Ländern allerdings ganz erheblich, man kann nicht alle über einen Leisten schlagen. Ein gemeinsamer Nenner ist aber der Ursprung der heutigen konjunkturellen Unsicherheit – die Geldpolitik der wichtigen Zentralbanken.

Die Politik der grossen Zentralbanken steht am Anfang einer historisch präzedenzlosen Kreditorgie und Kreditblase

Ein zentrales Element dafür war die Umorientierung der Geldpolitik um die Jahrtausendwende. Wichtige Zentralbanken fingen an, sich primär oder ausschließlich an Inflationszielen zu orientieren. Dabei legten sie die Inflationsziele so fest, dass 2 Prozent Inflation plötzlich als Preisstabilität ausgelegt wurde. Nicht als noch akzeptable Inflation, nein, als Preisstabilität. Dies notabene, nachdem bereits die Inflationsmessung erheblich geändert worden war - mit dem expliziten Ziel, die ausgewiesene Inflationsrate zu drücken. Eine genaue Analyse würde deftige Überraschungen zeitigen. Die effektive Inflation hätte, korrekt gemessen, erhöht und nicht abgesenkt ausgewiesen werden müssen. Das ist ein anderes Thema und kann hier nicht behandelt werden. 2% ausgewiesene Inflationsrate als Preisstabilität auszuweisen, ist weltweit durch keine einzige ernsthafte empirische Untersuchung je belegt worden. Geschieht dies für ein Jahr, geht das noch. Passiert es für einen Zeitraum von 20 Jahren, so hat dies massivste Wirkungen. Mit dem Zinseszinseffekt werden aus 2 Prozent jährlicher Teuerung plötzlich eine ganz massive kumulative Teuerung von 50 Prozent gegenüber dem Ursprungswert.

Noch toller wurde es dadurch, dass ein Unterschiessen von einigen Zehntelprozent - erst recht von einem Prozent - gegenüber der neu so definierten Preisstabilität bereits als Anlass genommen wurde, von Deflationsgefahren zu reden, die Geldpolitik zusätzlich zu lockern und die Zinsen weiter zu senken. Dadurch wurde erreicht, dass effektiv immer stärker negative reale und schließlich sogar negative nominelle Zinsen auftreten, und dies während eines vollen Zyklus, selbst in der Hochkonjunktur. Ein Irrenhaus von selbst gemachten ad-hoc Feststellungen und Annahmen und teilweise schlicht bewussten statistischen Lügen. Ursprung dieser statistischen Verirrungen war das Ziel, die Zunahme der Sozialkosten, vor allem der Altersvorsorge zu drücken. Mit dem finalen Effekt, dass die Altersvorsorgesysteme allmählich in den Boden gefahren werden, und zwar weltweit. Und dies in einer Periode, wo die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsleben ausscheiden und eine viel kleinere Zahl der Beschäftigten diese Systeme finanzieren wird.

Die Geldpolitik im Konjunkturzyklus – früher und heute

Die Tatsache, dass die realen beziehungsweise selbst die nominellen Zinsen negativ geworden sind, hat einschneidende Konsequenzen auch für den Konjunkturverlauf:

  • Traditionell hat die Geldpolitik eine wichtige, teilweise sogar dominante Rolle im Konjunkturzyklus der Nachkriegszeit gespielt. Die geldpolitische Straffung, üblicherweise bei beschleunigter Inflation, besonders nach einem Erdölschock, hat die Rezessionsphasen ausgelöst. Insbesondere die großen Rezessionen wie 1974/75, 1981/82, 1991-93, 2001/2002, 2008/09. Dies geschah, indem die Notenbanken die von ihnen direkt beeinflussten bzw. dominierten kurzen Geldmarktsätze rasch in die Höhe jagten. Dann stiegen auch die längeren Zinssätze. Häufig führte dies zu einer Inversion der Zinskurve: Die kurzen Sätze überstiegen die langen. Mit einer zeitlich variablen Verzögerung von üblicherweise 6 bis maximal 18 Monaten stürzte die Wirtschaft in eine Rezession.

  • Umgekehrt wurde die Rezession ebenso von der Geldpolitik beendet, indem die Notenbanken die kurzen Zinsen bei Anzeichen einer unüblichen Verschlechterung der Wirtschaftslage rasch wieder abzusenken begannen. Die kurzen Zinsen gingen rasant zurück, die langen sanken ebenfalls, aber weniger, so dass die Zinskurve sich versteilerte: Die kurzen Zinsen fielen deutlich unter die langen zurück. Der von der Notenbankpolitik ausgelöste scharfe und massive Zinsrückgang führte zu einem üblicherweise starken Konjunkturaufschwung. Der Aufschwung war dabei üblicherweise in der Anfangsphase am stärksten. Der Konjunkturverlauf nahm - bis auf die Große Finanzkrise von 2008 / 09 - eine V-Form an, mit einem raschen Einbruch und einer ebenso raschen Erholung.

  • Diese Erfahrung prägte das Investitionsverhalten der Unternehmen wie auch das Kaufverhalten der Haushalte für teure Konsumgüter. Die Unternehmen investierten besonders stark in der Hochkonjunktur, wenn sie hohe Gewinne erzielten und an Kapazitätsgrenzen stießen. Sie konnten dies auch tun, weil sie aus der Erfahrung schließen konnten, dass selbst nach einem konjunkturellen Einbruch der Aufstieg rasch wieder erfolgen würde.

Dieses historische Muster steht im völligen Gegensatz zum aktuellen Zyklus. Im Verlauf des gegenwärtigen Zyklus – des längsten in der ganzen Geschichte – ist die Geldpolitik nach der Rezession und im Konjunkturaufschwung nie normalisiert worden. Die US-Zentralbank hat von 2015 bis 2018 immerhin einen Versuch in diese Richtung gemacht, ihn aber 2019 lange vor einer Normalisierung wieder abgebrochen. In Europa und Japan keine Spur davon. Im Gegenteil: Man hat immer extremere Massnahmen ergriffen, um einen schwächelnden Aufschwung zu verlängern und – vermeintlich - zu stärken. In China hat die Zentralbank mit ihrer Politik der systematischen finanziellen Repression über 20 Jahre die grösste Kreditblase der Geschichte finanziert – mit einem gewaltigen Überschuss an Infrastrukturen, industriellen Kapazitäten, leerstehenden Gebäuden aller Art und ganzen Phantomstädten und -quartieren.

Die Unternehmenskredit-Kreditblase – Der IWF-Stabilitätsbericht (Frühling plus) Herbst 2019

Die offizielle Berichterstattung von Wertschriftenhäusern, Banken und selbst Zentralbanken offenbart typischerweise Wahrnehmungsprobleme. Wenig oder nichts ist von zu viel Hebelwirkung, einer finanziellen Blase und dergleichen unappetitlichen Attributen die Rede. Stattdessen erscheinen Aktien immer noch günstig, und Obligationen als korrekt gepreist. Das überträgt sich häufig auf die Medienberichterstattung.

Erfrischend ungeschminkt ist deshalb der diesjährige Herbst-Bericht des Internationalen Währungsfonds. Er weist in deutlichen Worten auf die systemischen Risiken einer zu hohen Unternehmensverschuldung hin. Die Grundaussage ist, dass die hohe und in den letzten Jahren sehr stark angestiegene Unternehmensverschuldung den nächsten konjunkturellen Abschwung verstärken und einen Aufschwung verzögern dürfte. Im Frühlingsbericht waren die Risiken von spezifischen Marktsegmenten analysiert worden. Im Herbstbericht wird eine Gesamtbetrachtung vorgenommen, wobei zwei spezifische Risiko-Kennziffern hervorgehoben werden. Die Schulden im Risiko (‚engl.‘ debt at risk‘) bezeichnen jene Schulden, bei denen der EBIT des Unternehmens (Gewinn vor Zinszahlungen und Steuern, engl. `Earnings Before Interest and Taxes`) nur schon für die Zinszahlungen nicht ausreicht. Die spekulativen Kredite, im Volksmund auch als ‚junk bonds` bezeichnet, sind jene mit erhöhter Ausfallwahrscheinlichkeit. Neben der Zinsbelastung spielt dort auch der Nettowert von Schulden gegenüber den Aktiven eine wichtige Rolle. Beide Kennziffern zeigen an, dass die Qualität der Unternehmenskredite in einigen der wichtigsten untersuchten Volkswirtschaften bereits auf einem gefährlich niedrigen Niveau angelangt sind. Die 8 untersuchten Volkswirtschaften betreffen die Vereinigten Staaten, China, Japan, Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Italien, Spanien, d.h. die größten Volkswirtschaften der Welt.

  • Grob zusammengefasst stellen die Unternehmen mit Verschuldung in den Vereinigten Staaten, in China, im Vereinigte Königreich, in Italien und in Spanien die am meisten erhöhten Kreditrisiken dar. Ihre Risikokennziffern liegen bereits heute auf sehr hohem Niveau, teilweise höher als im Rezessionsjahr 2009. In Japan, in Deutschland und abgeschwächt in Frankreich sind die Kreditrisiken dagegen seit 2009 deutlich gefallen und liegen vergleichsweise niedrig. Auch in Spanien sind die Kreditrisiken deutlich gefallen, sie liegen aber immer noch auf sehr hohen Niveaus.

  • In den Ländern mit hoher Unternehmensverschuldung liegt der spekulativen Schulden bei 50 Prozent und mehr. D.h. die Hälfte aller Schuldner haben deutlich erhöhte Ausfallwahrscheinlichkeiten. In den USA und im Vereinigten Königreich liegt auch der Anteil der Schulden im Risiko bei deutlich über 30 Prozent. D.h. ein Drittel und mehr der Unternehmen können die Zinsen trotz der äusserst niedrigen Zinssätze und der guten Konjunkturlage schon jetzt nicht aus dem EBIT bezahlen. Sie sind mit anderen Worten auf immer neue zusätzliche Kredite angewiesen.

  • Insgesamt ist die Unternehmensverschuldung in China einzigartig hoch, gemessen etwa am Bruttoinlandsprodukt. Deutlich niedriger, aber immer noch hoch liegt sie in Frankreich, in Großbritannien und in den USA. In Deutschland, in Italien und in Japan ist sie gering.

  • Eine Rezession bedeutet typischerweise einen Doppel- oder Dreifachschlag für solche Unternehmen. Die Gewinne vor Zinsen und Steuern brechen ein, und die Kosten zusätzlicher Finanzierung steigen plötzlich und markant an. Für viele Unternehmen schließt sich während einer längeren Periode das Kreditfenster vollständig, während vorher die Unternehmen mit neuen Krediten geradezu überhäuft wurden.

  • In einem Stresstest mit einem Standard-Rezessionsszenario würden sehr viele Unternehmen in Zahlungs-Schwierigkeiten gelangen, besonders in China. Auch in Spanien und in Italien wäre der Anstieg dramatisch, in Großbritannien immer noch heftig. In diesen Volkswirtschaften ist die Konjunktur-Sensitivität der Unternehmensschulden sehr ausgeprägt.

  • Deshalb ist auch wichtig, welche Unternehmensgruppen vor allem betroffen und wer die Kreditgeber sind. In China sind es häufig Großunternehmen, und die Gläubiger sind staatliche Banken.

  • In Kontinentaleuropa sind es typischerweise Klein- und Mittelbetriebe, und die Gläubiger sind private Kommerzbanken.

  • Anders im angelsächsischen Raum: Dort sind es weniger Bankkredite, sondern vor allem verbriefte Kredite: Obligationen, häufig in der Form von Junk Bonds, dann Leveraged Loans und private Schulden. Sie werden von institutionellen Asset Managers wie Pensionskassen und Versicherungen, von Privaten häufig in der Form von Exchange Traded Funds (ETF’s) und von Private Equity Gruppen gehalten.

  • Im angelsächsischen Raum sind die Schuldner häufig Unternehmen, welche Schulden aufnehmen für Übernahmen und für Dividendenzahlungen und für Aktienrückkäufe. Dort ist das Risiko im Rezessionsfall konzentriert, wenn die Unternehmenswerte sinken und gleichzeitig neue Schuldenaufnahmen erschwert sind.

Geldpolitik hat systemische Ungewissheit geschaffen

Trumps Handelskrieg und der Brexit haben ohne Zweifel Unsicherheit geschaffen. Aber sie sind nur Auslöser einer viel grundlegenderen Unsicherheit.

Die Kreditblase hat eine Wirtschaft mit völlig asymmetrischem Risiko-Profil geschaffen. Neben den Unternehmensschulden sind es die Schulden privater Haushalte und die Staatsverschuldung, welche zusätzlich noch hinzukommen, hier aber nicht behandelt werden. Sie würden ähnliche Wirkungen auslösen im Rezessionsfall. Die Remedur des vergangenen Jahrzehnts - noch und noch niedrigere Zinsen - hat in der Gesamtwirkung nur noch viel größere Unsicherheit geschaffen:

  • Wieso soll ein Unternehmer nach einem langen, im historischen Vergleich aber schmalbrüstigen Konjunkturaufschwung, in die Kapazitätserweiterung investieren, wenn die Verschuldung der Wirtschaft – Staat, private nicht-finanzielle Unternehmen, private Haushalte - historisch gesehen sehr hohe oder präzedenzlose Niveaus erreicht hat. Mit allen Anzeichen von Blasen in Vermögensgütern und exzessiver Verschuldung von ganzen Marktsegmenten und großer Gruppen von Marktteilnehmern. Das Risiko einer Rezession nur schon aufgrund eines Handelskrieges ist erheblich. Es gibt auch andere Risiken.

  • Und wenn zweitens der traditionelle Mechanismus, wie eine Rezession bekämpft werden kann, ausfallen wird – nämlich drastisch reduzierte Zinssätze.

Investitionen in Gebäude, Anlagen, Maschinen, d.h. in Realkapital, sind Entscheidungen, bei denen Ressourcen irreversibel festgelegt werden. Niemand will mit erheblichen Überkapazitäten in eine Phase gehen, bei der es keinen Stopp eines konjunkturellen Abschwunges geben wird. Und wo die hohe und teilweise exzessive Verschuldung dafür sorgen kann, dass es während langer Zeit keinen Aufschwung geben dürfte – schon gar keinen V-förmigen. Die Erfahrung der letzten 10 Jahre sitzt Unternehmern in den Knochen, wie auch die Erkenntnis, dass die Verschuldung nicht nur regional oder sektoral, sondern global und umfassend hoch oder exzessiv ist.

Das Kennzeichen der aktuellen Wirtschaftslage ist, dass alle Wirtschaftsräume gleichzeitig im Abschwung sind. Das ist ein großer Unterschied zur Situation nach der Grossen Finanzkrise 2008/09, als China und allgemeiner die BRiCs oder generell die Schwellenländer mit ihrem beschleunigten binnenwirtschaftlichen Wirtschaftswachstum die Weltwirtschaft aus dem Sumpf zogen. Überall war es eine massiv expansive Geldpolitik, welche die Erholung eingeleitet hatte.

Ein zentrales Element der globalen Unsicherheit betrifft also die tonnenschwereren Lasten der Tiefzinspolitik und der largen Kreditpolitik der grossen Notenbanken inklusive Chinas oder auch Indiens.

Es lässt sich also argumentieren, dass die Wirkung des Handelskrieges so deutlich ausgefallen ist, weil die zugrunde liegende Qualität des Wirtschaftswachstums zusehends prekärer geworden ist. Ob man diese als Risiko oder als Ungewissheit bezeichnet, ist eine berechtigte Frage. Es lässt sich immerhin argumentieren, dass es keine Erfahrung und damit keine präzise Risiko-Quantifizierung mit Wahrscheinlichkeiten finden lässt. Das würde bedeuten, dass der gewaltige Aufbau der Verschuldung eine Ungewissheit darstellt.

Eines lässt sich mit Sicherheit sagen. Das Allheilmittel immer niedrigerer Zinsen der Zentralbanken birgt in sich einen exzessiven Risikoaufbau. Warum eine Wirtschaft bei Vollbeschäftigung und durchaus vorhandener Inflationsgefahr bei rekordhohen Aktienmärkten wie die USA ausgerechnet eine Serie von Zinssenkungen benötigt, ist absolut nicht einsichtig oder vielleicht eher kurzsichtig.


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch nahe 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
22.11.2024

Ein Bitcoin-Rekordhoch nach dem anderen - am Freitagmorgen kletterte der Bitcoin-Kurs erstmals über 99.000 US-Dollar. Seit dem Sieg von...

DWN
Politik
Politik Krankenhausreform: Entscheidung über Lauterbachs hoch umstrittenes Projekt heute im Bundesrat
22.11.2024

Krankenhausreform: Kommt sie jetzt doch noch? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht mit seinem hochumstrittenen Projekt vor...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
22.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen
22.11.2024

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren...

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...