Weltwirtschaft

Der Bergbau des nächsten Jahrhunderts

Lesezeit: 7 min
01.11.2019 11:40
Bislang dominierte der Abbau von Rohstoffen auf den Kontinenten. Staaten und Unternehmen haben inzwischen aber auch die Ozeanböden im Blick.

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Die Weltmeere sind seit Jahrzehnten aufgrund ihres Rohstoffreichtums in den Fokus von Unternehmen geraten. Bislang verhinderte die im Vergleich zum Bergbau an Land deutlich schwierigere Erschließung der Bodenschätze, dass die Ozeane großflächig und auch in sehr tiefen Gewässern ausgebeutet wurden – mit fortschreitender Technik und der Erschöpfung von Ressourcen auf den Landmassen könnte sich dies aber bald ändern.

Schon seit Jahren beuten große Energiekonzerne die unter Wasser liegenden Lagerstätten von Rohöl und Erdgas aus. Rund ein Drittel der weltweiten Erdgas- und Erdölmengen wird inzwischen im Meer gewonnen. Dieser Anteil wird sich in den kommenden Jahrzehnten noch erhöhen, denn die ozeanischen Lagerstätten bergen noch enorme Vorräte. Allerdings müssen die Konzerne in immer größere Meerestiefen vordringen, weil viele Gas- und Ölfelder im Flachwasser bereits weitgehend ausgebeutet sind, heißt es in dem 2014 erschienenen dritten World Ocean Review.

Die Expansion der Konzerne in immer tiefere Gewässer hat zur Aufstellung von Hochsee-Bohrinseln geführt, deren Zahl derzeit weltweit bei über 900 liegen dürfte. Da der Ölpreis in den Jahren bis 2014 auf deutlich über 100 Dollar pro Barrel (159 Liter) Rohöl stieg und parallel dazu auch die Einnahmen der Unternehmen stiegen, konnten es sich diese leisten, teure Investitionen in Erkundungen und Probebohrungen auf dem Meer zu tätigen. Auch die Weiterentwicklung der Bohr- und Fördertechnik trug zu dieser Entwicklung bei. Inzwischen erreichen die leistungsstärksten Öl- und Gasbohrinseln Tiefen von etwa 3000 Metern. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass alle tieferen Meeresgegenden noch potenziell unerreichbar sind.

Nach dem Einbruch der Preise für Rohöl ab 2014 stoppten viele Firmen ihre Erkundungen und die Expansion in tiefere Gewässer. In Zukunft dürften diese aber wieder aufgenommen werden: Viele Beobachter stimmen darin überein, dass die Tief- und Tiefstwasserbereiche die letzten Bastionen der Ölgewinnung sind, da viele ehemals ertragreiche Felder an Land und im Flachwasser bereits weitgehend ausgebeutet sind, heißt es in dem World Ocean Review.

Dank neuer geophysikalischer Erkundungsverfahren sind Wissenschaftler heute in der Lage, den Meeresboden und andere Bodenschichten bis in eine Tiefe von 12 Kilometern abzusuchen. Dabei wurden in den vergangenen Jahren immer wieder neue große Lagerstätten entdeckt oder neu vermessen. Interessant ist, dass neu entdeckte Öl- oder Gas-Felder in der Tiefsee etwa zehn Mal größer als neu entdeckte Felder an Land sind, was die Tief- und Tiefstwasserförderung trotz höherer Kosten attraktiv macht. Wann sich die Förderung im Meer lohnt, hängt aber letzten Endes davon ab, wie hoch der Ölpreis und wie gut daraus folgend die Einnahmesituation der Unternehmen ist. Grundsätzlich gilt: Je tiefer das Wasser ist, desto höher sind die Kosten der Förderung.

Längst wird aber nicht nur nach Erdöl- und Erdgasvorkommen im Meer gesucht, sondern auch der Abbau von Industrie-Rohstoffen wie Nickel oder Kupfer rückt verstärkt in das Blickfeld von Staaten und Unternehmen.

So will die Bundesregierung beispielsweise den Abbau von Metallen und Mineralien in der Tiefsee prüfen. Man habe sich zwei Explorationslizenzen im Indischen Ozean gesichert, teilte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums vor einigen Wochen mit. Die Berechtigungen seien von der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority – ISA) mit Sitz in Jamaika vergeben worden. Der Bergbau im Bereich der Hohen See wird generell von der ISA überwacht; nur ihr steht es zu, entsprechende Genehmigungen zu erteilen. Lediglich innerhalb ihrer „Ausschließlichen Wirtschaftszone“, das heißt 200 Seemeilen (370 Kilometer) von ihrer Küste entfernt, steht es Staaten zu, uneingeschränkt den Meeresboden zu nutzen. Noch hat sich kein Staat gegen diese Regelung aufgelehnt – täte er es, würde der Fall vor dem „Internationalen Seegerichtshof“ in Hamburg landen. Allerdings ist dieser – so wie alle globalen Judikativ-Einrichtungen – eine Macht ohne Schwert; das heißt, er verfügt über keine Mittel, seine Anordnungen durchzusetzen. Es seien bisher weltweit aber nur Lizenzen zur Erkundung, nicht zum Abbau vergeben worden, so die Sprecherin. „Es findet derzeit also kein Tiefseebergbau statt“, wird die Sprecherin von den Finanznachrichten zitiert.

Schon seit 2006 untersucht die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe auf einer Fläche von rund 75.000 Quadratkilometern im Ostpazifik, ob und wie sich Manganknollen wirtschaftlich fördern lassen. „Das Bundeswirtschaftsministerium will die Metallversorgung der deutschen Industrie langfristig sicherstellen. Eine Möglichkeit sind die Rohstoffe aus der Tiefsee“, sagt Carsten Rühlemann, Leiter des Arbeitsbereichs Meeresgeologie. Erste Untersuchungen des Testgeländes seien vielversprechend, berichtet die Zeit. Allein auf fünf Prozent der Fläche dürften der Bundesanstalt zufolge Kobalt, Nickel und Kupfer im Wert von 18 Milliarden Dollar liegen. „Rechnet man noch Mangan hinzu, dann kommt man auf etwa das Doppelte“, sagt Rühlemann. Die Wirtschaftlichkeit sei bislang trotzdem nur schwer einzuschätzen, auch weil die Metallgewinnung aus den Knollen im industriellen Maßstab noch nicht erprobt sei. „Manganknollen sind kompliziert in der Verarbeitung“, sagt Rühlemann. „Die Kosten für die metallurgische Aufbereitung machen etwa die Hälfte bis zwei Drittel der gesamten Kosten von der Förderung am Meeresboden bis zum verkaufsfertigen Metall aus.“

Kritiker sagen, dass der Abbau industriell verwertbarer Rohstoffe wie Kobalt, Kupfer, Nickel oder etwa seltenen Erden einzigartige marine Ökosysteme zu zerstören und ganze Arten auszulöschen drohe. „Setzt Deutschland seine Pläne um, sind wir für die massive und langfristige Zerstörung des Meeresbodens mitverantwortlich“, sagt beispielsweise der Meeresbiologe und Mitglied von Greenpeace, Christian Bussau. „Im Moment haben wir 29 Explorationslizenzen, die von der Internationalen Meeresbodenbehörde vergeben sind an zwanzig Länder“, wird Bussau vom Deutschlandfunk zitiert. „Sie müssen sich vorstellen, dass diese Abbaumaschinen, die aussehen wie riesige Staubsauger oder wie riesige Pflüge tatsächlich dann große Gebiete hier umpflügen, die Manganknollen, die Kobaltkrusten oder die Massivsulfide zerkleinern und alles Leben, das sich dort aufhält, wird dann zerstört.“

Bei den angesprochenen Manganknollen handelt es sich um Gebilde, welche über Jahrmillionen entstehen, weil sich im Meerwasser gelöste Teilchen an festen Strukturen wie etwa Muschelschalen oder Korallen ablagern. Manganknollen liegen auf dem Meeresgrund, können die Größe eines Blumenkohls erreichen und enthalten viele begehrte Stoffe – etwa bis zu drei Prozent Kupfer, Nickel und Kobalt, schrieb die Zeit kürzlich in einem Artikel.

Insbesondere die Nachfrage nach Kobalt – welches die Grundlage für Lithium-Ionen-Batterien liefert und deshalb in der Wertschöpfungskette von Elektrogeräten und Elektroautos einen wichtigen Platz einnimmt – hatte in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Zwischen 2001 und 2017 soll die weltweite Nachfrage pro Jahr um 6,6 Prozent geklettert sein. Die EU betrachtet Kobalt wegen seiner strategischen Bedeutung als kritischen Rohstoff. Im Bergbau an Land dominiert der Kongo mit einer Jahresförderung von rund 90.000 Tonnen den Weltmarkt für Kobalt, danach rangieren abgeschlagen mit jeweils etwa 5.000 Tonnen Russland, Kuba, die Philippinen und Australien.

Noch hat die ISA in Jamaika keinem Staat Genehmigungen für den kommerziellen Abbau erteilt. Dazu fehlt bislang der nötige Rechtsrahmen, welcher den Umfang und die Art und Weise des Abbaus festlegt sowie die Folgen für die Natur abschätzt. Dieser sogenannte „Mining Code“ ist jedoch in Planung wird derzeit von der EU und den übrigen 167 Mitgliedsländern der Behörde verhandelt – er soll 2020 in Gesetzesform gegossen werden. Schon kommendes Jahr könnte der Abbau theoretisch also beginnen.

Die Wissenschaftlerin Andrea Koschinsky von der Jacobs Universität in Bremen hat zusammen mit einem Team die Wirtschaftlichkeit und die Folgen des Tiefseebergbaus für die Bundesregierung untersucht. Klare Aussagen darüber, ob es lohnt, viele Milliarden Euro in neue Explorationstechnik und weiterverarbeitende Betriebe zu investieren, könnten demnach heute noch nicht getroffen werden. Auch die Auswirkungen des marinen Bergbaus auf die Meeresumwelt seien kaum vorhersehbar. „Was sicherlich richtig ist, ist, dass auch wenn wir noch fünf oder zehn Jahre intensive Forschung betreiben, nicht mit Sicherheit vorhersagen können, wie sich das auf das Ökosystem in der Tiefsee auswirken wird.“

Mit Blick auf den Abbau von Rohstoffen auf dem Meeresboden gibt es noch ein anderes Problem: Von der Politik erlassene Vorschriften und Verbote sind unter Wasser weit schwerer zu kontrollieren als auf dem Land.


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