Deutschland

„Erbärmliche“ Zustände in deutschen Notaufnahmen

Lesezeit: 2 min
02.11.2019 16:02
Auf einem Symposium in Berlin wurde ein besorgniserregendes Bild der Notaufnahmen in Deutschland gezeichnet.
„Erbärmliche“ Zustände in deutschen Notaufnahmen
Schwerin: Der erleuchtete Schriftzug «Notaufnahme» ist auf einem Gebäude der Helios Klinik zu sehen. (Foto: dpa)
Foto: Jens B

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Notsituation in den Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser hält an. Das machte Thomas Fleischmann, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme an der Imland Klinik Rendsburg, deutlich, der von „erbärmlichen“ Zuständen sprach. „Die Mehrzahl der Notauf­nahmen in Deutschland ist völlig überfüllt. Viele Patienten können wir nicht so versor­gen, wie wir es wollen“, sagte er auf einem wissenschaftlichen Symposium des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Berlin, berichtet das Ärzteblatt.

„Wir sind heute noch nicht einmal in der Lage, einen Norovirus unter Kontrolle zu be­kommen.“ Und wenn, wie vor zwei Jahren, eine große Grippewelle über das Land ziehe, werde das zu „einer Handlungsunfähigkeit“ in den Notaufnahmen führen. „Bei uns lagen damals Patienten 30 bis 40 Stunden in der Notaufnahme“, sagte er. „Manche Patienten mussten wir über zwei Bundesländer hinweg verlegen.“ Für ein Land wie Deutschland seien solche Zustände unwürdig.

Zudem gebe es einen „massiven Braindrain“ in den Notaufnahmen. „Wir haben eine Gene­ration von Ärzten in den Notaufnahmen verloren, die sagen: So wollen wir nicht mehr ar­beiten“, berichtete Fleischmann. Heute arbeiteten in den Notaufnahmen nur noch ältere Ärzte sowie junge Ärzte in Weiterbildung, „die in die Notaufnahmen gezwungen wurden“. Einen Facharztstandard gebe es in den Notaufnahmen nicht mehr. Und auch viele Stellen im pflegerischen Dienst seien unbesetzt.

Rückzug der Politik ist hochgefährlich

Fleischmann kritisierte, dass sich die Situation in den Notaufnahmen seit zehn Jahren ver­schlechtere. Und zehn Jahre sei dieser Entwicklung zugesehen worden. Im Dezember vergange­nen Jahres habe er allerdings Hoffnung geschöpft, als Bundesgesundheitsmi­nis­ter Jens Spahn (CDU) gesagt habe: „Die Güte eines Gesundheitssystems zeigt sich vor allem und besonders im Notfall.“ „Das fand ich toll“, sagte Fleischmann. Doch seit der Veröffentlichung eines Eckpunktepa­piers im Dezember 2018 sowie eines „Diskussionsentwurfs“ im Juli 2019 sei nichts mehr geschehen. In den vergangenen Wochen sei die Politik sogar „massiv zurückgerudert“, so Fleischmann. „Das ist hochgefährlich.“

Gesetzentwurf kommt noch dieses Jahr

Der Leiter der Abteilung „Gesundheitsversorgung, Kran­ken­ver­siche­rung“ im Bundesge­sund­heitsministerium (BMG), Joachim Becker, kündigte an, dass das BMG noch in diesem Jahr einen „überarbeiteten Entwurf“ präsentieren werde. Dem Ministerium sei es dabei wichtig, in der Notfallversorgung keine gut laufenden regionalen Strukturen zu zerstören.

„Uns geht es auch nicht darum, alles über einen Kamm zu scheren“, sagte Becker. „Im Ge­genteil: Wir wollen Strukturen, die gut laufen, nicht unterbinden, sondern wir wollen die Beteiligten in einen Prozess der gemeinsamen, vernetzten, koordinierten Entscheidungs­fin­dung bringen.“

Derzeit sehen die Pläne aus dem BMG unter anderem die Zusammenführung der ambu­lanten, stationären und rettungsdienstlichen Notfallversorgung vor. Dafür sollen gemein­sa­me Notfallleitstellen geschaffen werden, die rund um die Uhr sowohl über die Nummer 112 als auch über die 116117 des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes erreichbar sind.

An bestimmten Krankenhäusern soll es zudem Integrierte Notfallzentren (INZ) geben, in denen sowohl Klinik- als auch Vertragsärzte die Patienten im Nachgang einer qualifizier­ten Ersteinschätzung versorgen. Diese sollen von Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gemeinsam errichtet und betrieben werden.

600 Integrierte Notfallzentren reichen aus

„Wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung halten auch wir es für sinnvoll, dass es nicht in jedem Krankenhaus ein INZ gibt“, sagte Fleischmann. Er wünscht sich etwa 600 INZ in Deutschland, die eine Größenordnung haben, die auch medizinisch sinnvoll sei. „Es ist sowohl medizinisch als auch finanziell sinnvoll, weniger Notaufnahmen zu haben, die dafür größer sind“, betonte Fleischmann. „Denn wenn die Ressourcen auf weniger Zentren verteilt werden, wird das System effek­­tiver.“ In den Notaufnahmen gebe es so hohe Vorhaltekosten, dass die Versorgung von 2.000 Patienten genauso teuer sei wie die Versorgung von 12.000 Patienten.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...

DWN
Panorama
Panorama Vollgas in die Hölle: Arzt gab sich als Islamkritiker und Musk-Fan - wirr, widersprüchlich!
21.12.2024

Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...

DWN
Immobilien
Immobilien Grundsteuer 2025: Alles rund um die Neuerung
21.12.2024

Ab Januar 2025 kommt die neue Grundsteuer in Deutschland zum Einsatz. Viele Hausbesitzer und künftige Käufer sind besorgt. Und das...

DWN
Immobilien
Immobilien Förderung jetzt auch für Kauf denkmalgeschützter Häuser
21.12.2024

Wer ein altes Haus kauft und klimafreundlich saniert, bekommt oft Hilfe vom Staat. Das gilt künftig auch für Denkmäler.

DWN
Politik
Politik So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten
21.12.2024

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Eine Erinnerung an ausreichend Risikokontrolle
21.12.2024

Die vergangene Woche brachte einen deutlichen Ausverkauf an den Aktienmärkten, der von Experten als gesunde Entwicklung gewertet wird....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kampf gegen Monopole: Europas Schlüsselrolle im Kampf gegen Big Tech und für den Klimaschutz
21.12.2024

Teresa Ribera steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Die sozialistische Vizepremierministerin Spaniens wurde im September von der...