Politik

Afghanistan entwickelt sich zur neuen Hochburg des IS

Afghanistan entwickelt sich mittlerweile zur neuen Hochburg des IS. Die Terror-Miliz stellt eine direkte Gefahr für Chinas Infrastruktur-Projekt der Neuen Seidenstraße und die von Russland beeinflussten Staaten in Zentralasien dar.
17.11.2019 14:50
Lesezeit: 3 min
Afghanistan entwickelt sich zur neuen Hochburg des IS
Mitglieder des Islamischen Staats Khorasan. (Foto: Site Intelligence Group)

Berichten zufolge haben afghanische Geheimdienstler im September 2019 einen stellvertretenden Vorsitzenden des Islamischen Staates Khorasan (ISK), welcher der afghanische Ableger des IS ist, in der Nähe der Stadt Herat festgenommen. Herat liegt mehr als 1.000 Kilometer westlich von der Hochburg des ISK in der Provinz Nangarhar, berichtet das US-Verteidigungsministerium. Der ISK hat seit 2015 dem mittlerweile getöteten Führer des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, seine Treue geschworen.

Der Einfluss und die Größe des ISK sind trotz intensiver Kämpfe mit ihren Taliban-Rivalen und der Bemühungen der USA und ihrer afghanischen und Nato-Partner, die Gruppe in ganz Afghanistan und Pakistan zu zerschlagen, gewachsen. Die Widerstandsfähigkeit der Gruppe beruht zum Teil auf der Fähigkeit, Allianzen mit lokalen und anderen militanten Gruppen zu schmieden.

Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass die Truppenstärke des ISK zwischen 3.000 und 5.000 Kämpfern liegt, was eines der größten Kontingente für eine Terroristengruppe in der Region darstellt. In einem kürzlich veröffentlichten UN-Bericht heißt es, dass sich in Afghanistan zwischen 2.500 und 4.000 IS-Kämpfer befinden würden. In einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums über Afghanistan aus dem Jahr 2019 wird die Größe der Terror-Miliz auf weniger als 2.000 Kämpfer geschätzt.

Der ISK stellt insbesondere für Chinas Neue Seidenstraße eine Gefahr dar, da von Afghanistan aus Angriffe auf die Landroute der Neuen Seidenstraße ausgeführt werden können. Afghanische Regierungstruppen und Verbände der chinesischen Armee führen mittlerweile Patrouillen am Wakhan-Korridor durch. Zuvor bestand Pekings umfangreichstes Engagement in Afghanistan in Grenzkontrollbemühungen, die Terroristen daran hindern sollen, nach China einzureisen.

Peking erachtet das Land inzwischen als zunehmend wichtig. Dies ist sowohl auf die von Afghanistan ausgehenden Sicherheitsbedrohungen als auch auf die Nähe zur von China seit 1949 angeschlossenen Provinz Xinjiang zurückzuführen, wo Spannungen zwischen der angesiedelten Han-Mehrheit und der muslimischen Minderheit der Uiguren in den vergangenen Jahren zu mehreren Gewaltwellen geführt hatten. Peking hat “islamistische Kämpfer” für die Unruhen verantwortlich gemacht und eine Reihe neuer Sicherheitsmaßnahmen eingeführt, um die Kontrolle über die Uiguren weiter zu verschärfen - eine Anstrengung, die teilweise zu noch mehr Widerstand und Gewalt geführt hat. Die chinesische Regierung betrachtet terroristische Gruppen - insbesondere die ostturkestanische Islamische Bewegung (ETIM), die die Unabhängigkeit von Xinjiang anstrebt - als die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit. Die ETIM ist auch unter dem Namen Islamische Partei Turkestan (TIP) bekannt, die auch in Syrien operiert.

China hat sein Engagement in Afghanistan nach dem Nato-Rückzug moderat ausgeweitet. Eine wesentliche Änderung der Haltung Pekings zu Sicherheitsfragen in Afghanistan erfolgte jedoch erst, nachdem der IS seinen Ableger ISK in der Provinz Khorasan gegründet hatte. Die chinesische Staatsspitze war besonders besorgt, als der IS im Februar 2018 seine erste direkte Bedrohung gegen China per Video veröffentlichte.

Peking sieht den IS als viel größere Bedrohung an als die Taliban, da die ersteren global agieren, während die letzteren ihre Aktivitäten auf Afghanistan beschränken. Die chinesische Regierung befürchtet, dass der IS in der afghanischen Provinz Badakhschan an der chinesischen Grenze Fuß gefasst hat. Die Terror-Miliz versucht, eine wachsende Anzahl von ETIM-Anhängern davon zu überzeugen, sich dort zu versammeln. Es ist nicht auszuschließen, dass ETIM-Kämpfer, die in der syrischen Provinz Idlib operieren, sich auf dem Weg nach Afghanistan befinden.

China befürchtet auch, dass terroristische Gewalt in Afghanistan nicht nur nach Xinjiang, sondern auch nach Pakistan übergreift, was möglicherweise den China-Pakistan Economic Corridor (CPEC), der entscheidend ist für die Neue Seidenstraße, bedrohen könnte, so das European Council on Foreign Relations (ECFR).

Die Military Times berichtet, dass der IS und sein afghanischer Ableger ISK das Potenzial hätten, in Afghanistan Tausende von Kämpfern zu mobilisieren. Doch das US-Verteidigungsministerium gibt sich selbstbewusst. Oberstleutnant Earl Brown, Sprecher des U.S. Central Command (CENTCOM), sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten: "Die USA und unsere Partner und Verbündeten in der Region verfügen über ein breites Spektrum an Truppen im Zuständigkeitsbereich des US Central Command (CENTCOM). CENTCOM verfügt über die Truppen, die wir brauchen, um den anhaltenden Kampf gegen den IS zu verfolgen, um die Regierung der Islamischen Republik Afghanistan in ihrem Kampf gegen die Taliban zu unterstützen, gewalttätige Extremisten zu verfolgen, potentielle Gegner abzuschrecken und auf jegliche Zufälle zu reagieren.”

Antonio Giustozzi, Autor des Buches ,Taliban im Krieg’, sagte der Financial Times, dass der ISK durch “reiche Spender aus den Golfstaaten” finanziert werde. “Das IS-Kalifat ist verschwunden, aber es hat sich nach einer Phase der Störung in Afghanistan neu organisiert. Jeden Monat werden zehn Mitglieder des Kalifats aus dem Nahen Osten Afghanistan und Pakistan erreichen”, meint er. Dem Blatt zufolge wurden die Taliban durch den raschen Aufstieg des IS in Afghanistan regelrecht “erschüttert”.

Auch Russland hat ein Auge auf die Entwicklungen in Afghanistan. Der Vorsitzende des russischen Nachrichtendienstes FSB, Alexander Bortnikow, warnte am vergangenen Donnerstag davor, dass der IS einen Stützpunkt in Afghanistan aufbauen würde, um Ex-Sowjetrepubliken zu attackieren. “Wir sehen verstärkte Aktivitäten von IS-Niederlassungen in Afghanistan. Ihr Ziel ist es, einen Stützpunkt zu schaffen, um in das Gebiet der GUS zu expandieren”, zitiert die Nachrichtenagentur Tass Bortnikow. Er fügte hinzu, dass der IS mit den beiden Terrorgruppen Jamaat Ansarullah und der ETIM kollaboriere.

Die Warnung von Bortnikow erfolgte, nachdem am Mittwoch IS-Kämpfer einen tadschikischen Grenzposten angegriffen hatten. Nach Angaben der tadschikischen Behörden wurden 15 Angreifer getötet und vier inhaftiert. Ein Soldat und ein Polizist wurden demnach ebenfalls getötet.

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