Politik

Bolivien: Morales flieht nach Mexiko, im Land brechen Unruhen aus

Der bolivianische Ex-Präsident Morales ist nach Mexiko ins Exil geflohen. Zuvor wurde er vom Militär unter dem Vorwand der Wahlfälschung gestürzt. Das Land könnte ins Chaos abdriften. Interessant wird zu beobachten sein, was mit der staatlichen Lithium-Industrie nach dem Machtwechsel geschieht.
12.11.2019 10:00
Lesezeit: 4 min
Bolivien: Morales flieht nach Mexiko, im Land brechen Unruhen aus
Boliviens gestürzter Präsident Evo Morales. (Foto: dpa) Foto: Enzo de Luca

Die bolivianische Luftwaffe hat den gestürzten Präsidenten Evo Morales in der Nacht von Montag auf Dienstag nach Mexiko ausgeflogen. Morales teilte über Twitter mit: “Schwestern und Brüder, ich breche nach Mexiko auf. Es schmerzt mich, das Land aus politischen Gründen zu verlassen, aber ich werde mich immer kümmern. Bald komme ich mit mehr Kraft und Energie zurück.” Die mexikanische Regierung hatte sich zuvor bereit erklärt, Morales Asyl zu gewähren.

Als Grund für den erzwungenen Rücktritt von Morales nannte das Militär Wahlfälschung. Doch das Center for Economic and Policy Research (CEPR) mit Sitz in Washington D.C. meldet in einer Mitteilung: “Die statistische Analyse der Wahlergebnisse und der Listen der Wahlen vom 20. Oktober in Bolivien zeigen keinen Hinweis darauf, dass Unregelmäßigkeiten oder Betrug das offizielle Ergebnis beeinflussten, das Präsident Evo Morales zum Sieg in der ersten Runde verhalf.”

Unterdessen hat auch Verteidigungsminister Javier Zavaleta López sein Amt niedergelegt. Zavaleta gab seinen Rücktritt in der Nacht zum Dienstag per Videobotschaft auf Twitter bekannt. Zur Begründung nannte Zavaleta die Ereignisse der vergangenen Tage. "Der Staat, den wir aufgebaut haben, ist ein Bolivien, in dem das Militär an der Seite des Volkes sein Heimatland verteidigen soll und nicht gegen sein Volk", sagte er. Er habe dem Militär niemals den Befehl gegeben, gegen das Volk vorzugehen und werde dies niemals tun. Zavaleta appellierte an den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Carlos Mesa und den Oppositionsführer Luis Fernando Camacho, eine friedliche Lösung für den Konflikt in Bolivien zu finden. "Geschosse sind weder die Antwort noch die Lösung", sagte der zurückgetretene Minister. Der 49 Jahre alte Zavaleta war seit Januar 2018 im Amt.

Seit dem Rücktritt treiben marodierende Banden in dem südamerikanischen Land ihr Unwesen - jetzt wollen die Militärs eingreifen. „Die Soldaten werden gemeinsam mit der Polizei Operationen durchführen, um Blutvergießen und Trauer zu verhindern“, sagte der Kommandeur der Streitkräfte, Williams Kaliman, am Montag. „Wir werden angemessene Gewalt anwenden gegen Vandalen-Gruppen, die Schrecken unter der Bevölkerung verbreiten.“

Aufgebrachte Anhänger des früheren Präsidenten plünderten nach Medienberichten Geschäfte, errichteten Barrikaden und legten Feuer. Im Regierungssitz La Paz und der Schwesternstadt El Alto wurden bei gewalttätigen Zusammenstößen mindestens 20 Menschen verletzt, wie die Zeitung La Razón berichtete. Der bei den jüngsten Wahlen unterlegene Präsidentschaftskandidat Carlos Mesa schrieb auf Twitter: „Viele Leute warnen mich, dass ein Mob zu meinem Haus zieht, um es zu zerstören. Ich bitte die Polizei, das zu unterbinden.“ Auch Morales beklagte, dass seine Häuser in La Paz und in Cochabamba von Anhängern der Opposition angegriffen worden seien.

Auf Twitter rief der Ex-Präsident seine Landsleute zur Mäßigung auf. „Mit viel Liebe und Respekt bitte ich mein Volk, sich nicht auf die Gewalt jener Gruppen einzulassen, die den Rechtsstaat zerstören wollen. Wir bolivianischen Brüder dürfen uns nicht bekämpfen. Ich rufe alle dringend dazu auf, die Differenzen mit Dialog und Einigung zu überwinden“, schrieb er.

Die erste Nacht nach seinem Rücktritt verbrachte Morales offenbar in einem einfachen Haus in seiner Hochburg Cochabamba. Er veröffentlichte auf Twitter ein Foto, das ihn auf einer Wolldecke auf dem Boden eines schmucklosen Zimmers zeigt. „Das erinnerte mich an meine Zeiten als Gewerkschaftsführer“, schrieb er dazu.

Der langjährige Präsident Morales dem Armenhaus Südamerikas eine lange Zeit der politischen Stabilität und der wirtschaftlichen Entwicklung beschert. Er sorgte dafür, dass die satten Gewinne aus der Gas- und Lithium-Förderung größtenteils im Land blieben und auch der indigenen Bevölkerungsmehrheit zugute kamen. Morales hatte Bolivien seit 2006 regiert. Der 60-Jährige frühere Koka-Bauer war der erste indigene Staatschef des Andenlandes und der dienstälteste Präsident Südamerikas. Er hatte sich zum dritten Mal zur Wiederwahl gestellt, obwohl die Verfassung höchstens eine Wiederwahl vorsieht. Morales überwand diese Hürde mit Hilfe der Justiz, die die Begrenzung der Amtszeiten als Verletzung seiner Menschenrechte bezeichnete.

Aus wirtschaftlicher Sicht stellt sich vor allem die Frage, wer künftig Konzessionen für den Abbau von Lithium erhalten wird. Bolivien verfügt über 50 bis 70 Prozent der weltweiten Lithiumreserven, weshalb das Land auch als das “Saudi-Arabien des Lithiums” beschrieben wird. Zuvor wurde bekannt, dass Morales mit einem deutschen Unternehmen ein Lithiumprojekt aufgekündigt hatte. Doch nach dem Sturz von Morales werden die Karten auf dem Lithiummarkt Boliviens neu gemischt, wobei es fraglich ist, ob sich Deutschland gegen seine Konkurrenten aus China, Russland und den USA durchsetzen wird. Morales hatte sich in der Vergangenheit nach Angaben von Open Democracy optimistisch über die wirtschaftliche Zukunft seines Landes geäußert. Morales wörtlich: “Mit der Ausbeutung von Lithium auf einer Fläche von 400 Quadratkilometern haben wir genug, um uns für ein Jahrhundert zu erhalten.”

Der Blog German Foreign Policy schreibt zu den wirtschaftlichen Hintergründen des politischen Umbruchs:

"Treibende Kräfte des Umsturzes sind vor allem weitgehend weiße, wohlhabende Kreise aus dem bolivianischen Tiefland - nicht zuletzt Großgrundbesitzer -, denen die Umverteilung zugunsten der verarmten indigenen Bevölkerung insbesondere im Hochland wie auch die Verstaatlichung wichtiger Bodenschätze seit je ein Dorn im Auge war; beides hatte Morales seit dem Beginn seiner ersten Amtszeit im Januar 2006 systematisch und mit Erfolg vorangetrieben. Dies hatte ihm zwar den - teilweise rassistisch verschärften - Hass der Eliten insbesondere aus der Tieflandmetropole Santa Cruz eingebracht, ihm aber lange Zeit bei Wahlen sichere absolute Mehrheiten dank der indigenen Bevölkerung garantiert. Dass sich beim jüngsten Urnengang gewisse Einbrüche zeigten, liegt auch daran, dass die steigende Ausbeutung der Rohstoffe zwecks Förderung der Wirtschaft zu Widerständen in wachsenden Teilen der indigenen Bewegungen führte, denen die Regierung von Präsident Morales ihre Macht verdankte. Dazu hat zuletzt auch ein deutsches Unternehmen beigetragen, das am Abbau der riesigen bolivianischen Lithiumvorräte beteiligt wurde, dann aber die Gemeinden in der Förderregion nicht - wie geplant - an den Erlösen beteiligte. Daraufhin regte sich Protest, der sich auch gegen den Präsidenten richtete. Die Regierung hat erst vor wenigen Tagen nachgegeben und der deutschen Firma die Fördererlaubnis entzogen - zu spät, um den Unmut zu mildern."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Hensoldt-Aktie auf Rekordjagd: Was Anleger jetzt wissen sollten
02.06.2025

Die Hensoldt-Aktie überrascht mit einem historischen Kursfeuerwerk – doch ist der Höhenflug gerechtfertigt? Anleger sollten genauer...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KfW-Analyse: Mittelstand zieht sich aus dem Ausland zurück
02.06.2025

Eine aktuelle KfW-Analyse zeigt: Immer mehr Mittelständler ziehen sich aus dem Auslandsgeschäft zurück. Was steckt hinter dem Rückzug...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Personalstrategie: Warum Top-Kandidaten oft scheitern – und was das über unser System verrät
02.06.2025

Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Bei der Personalauswahl geht es immer weniger um Kompetenz – und immer mehr um Bauchgefühl,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber kaufen: Was Sie über Silber als Geldanlage wissen sollten
02.06.2025

Als Sachwert ist Silber nicht beliebig vermehrbar, kann nicht entwertet werden und verfügt über einen realen Gegenwert. Warum Silber als...

DWN
Politik
Politik Ukraine: Drohnenoffensive gegen Putins Luftwaffe – bringt der Verlust strategischer Bomber Russland zu Zugeständnissen?
02.06.2025

Mitten in den Vorbereitungen für neue Friedensverhandlungen in Istanbul verpasst die Ukraine dem Kreml einen historischen Schlag: Mit...

DWN
Technologie
Technologie „KI wird Menschen nicht ersetzen – aber Menschen, die sie nutzen, werden jene verdrängen, die es nicht tun.“
02.06.2025

Was kommt nach dem digitalen Wandel? Die dänische Futuristin Anne Lise Kjaer über multipolare Macht, echte Nachhaltigkeit und warum die...

DWN
Politik
Politik Polen-Wahl: Rechtskonservativer Karol Nawrocki gewinnt Stichwahl in Polen
02.06.2025

Der rechtskonservative Bewerber Karol Nawrocki hat die Polen-Wahl knapp gewonnen. Führende Medien des Landes erklärten ihn am frühen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Litauer übernehmen das Kommando im deutschen Windkraftsektor
02.06.2025

Während Deutschland plant und diskutiert, baut INIKTI längst: Der litauische Mittelständler treibt die Energiewende voran – dort, wo...