Die Chefin der EZB, Christine Lagarde, zeigt nur wenig Interesse an den Sorgen der Sparer. Sie meint, dass die Menschen “glücklicher” sein sollten, wenn sie einen Arbeitsplatz haben, anstatt höhere Zinsen zu erwarten, berichtet die Financial Times. Die Kommentare der ehemaligen französischen Finanzministerin bestätigen die Markterwartungen, dass sie wahrscheinlich eine ähnliche geldpolitische Strategie verfolgen wird wie Mario Draghi. Draghi überflutete das Finanzsystem mit billigem Geld, um die Verlangsamung von Wachstum und Inflation zu bekämpfen, und forderte die Regierungen der Eurozone auf, mehr fiskalpolitische Maßnahmen zu ergreifen, um die Zentralbank zu entlasten.
Auf die Frage nach den Auswirkungen von Negativzinsen auf die Sparer sagte Lagarde, sie (die Sparer, Anm. d. Red.) sollten darüber nachdenken, um wie viel schlimmer die Situation wäre, wenn die EZB die Zinssätze nicht so stark gesenkt hätte. “Würden wir uns heute nicht in einer Situation mit viel höherer Arbeitslosigkeit und einer weitaus geringeren Wachstumsrate befinden, und ist es nicht wahr, dass wir letztendlich das Richtige getan haben, um für Arbeitsplätze und Wachstum zu sorgen, anstatt Sparer zu schützen?”, fragt Lagarde.
Die Arbeitslosenquote lag Statista zufolge im September 2019 in der Eurozone bei 7,5 Prozent. Spitzenreiter bei den Arbeitslosenquoten waren Griechenland mit 16,9 Prozent, Spanien mit 14,2 Prozent und Italien mit 9,9 Prozent, während die Arbeitslosenquote in Tschechien bei 2,1 Prozent, in Deutschland bei 3,1 Prozent und in Polen bei 3,3 Prozent lag.
Doch die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland liegt bei 33,2 Prozent, in Spanien bei 32,8 Prozent und in Italien bei 28,7 Prozent, während sie in Tschechien bei 4,4 Prozent, in Deutschland bei 5,9 Prozent und in den Niederlanden bei 7,2 Prozent liegt. In weiteren 19 EU-Staaten liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 10,0 Prozent.
Lagardes Aussage im Zusammenhang mit den Negativzinsen dürfte nur wenige Sparer beruhigen. Die Ergebnisse der Negativzinsen in Deutschland vermitteln ein besorgniserregendes Bild der tatsächlichen Bedeutung dieser Politik für Sparer und für Banken, die auf Zinseinnahmen angewiesen sind.
Die Bundesbank berichtet, dass die persönliche Sparquote - das Verhältnis von gespartem persönlichem Einkommen zu verfügbarem persönlichem Nettoeinkommen - im Oktober 2019 auf 10,8 Prozent gesunken ist, nach einem Höchststand von 11,2 Prozent wenige Monate zuvor. Dies liegt zwar nur geringfügig unter dem historischen Durchschnitt und viel höher als in den USA, aber es könnte bedeuten, dass die Deutschen es satt haben, nur wenig Geld von der örtlichen Bank zurückzuerhalten.
Negativ verzinsliche Sparkonten sind in Deutschland mittlerweile üblich, und einige der größten Banken des Landes geben die von der EZB erhaltenen Negativsätze weiter. Derzeit sind zwar nur Konten mit über 100.000 Euro betroffen. Aber auch Sparer, die weit unter dieser Grenze liegen, erhalten zum größten Teil weniger als ein Prozent Zinsen auf ein traditionelles Sparkonto. Einige Banken zahlen nur 0,05 Prozent. Diese Werte liegen deutlich unter der offiziellen Inflationsrate und sorgen dadurch für eine Entwertung der Guthaben bei noch positiven Zinsraten.
“Je länger die Niedrigzinsphase andauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass Banken belastet werden, die (...) vor allem ihre Einnahmen aus traditionellen Einlagengeschäften erzielen”, hatte Bundesbank-Chef Jens Weidmann im Mai 2019 gesagt. “Negative Zinsen ruinieren langfristig das Finanzsystem”, sagte Deutsche Bank-Chef Christian Sewing im September 2019 auf der Handelsblatt-Konferenz. Er warnte vor “schwerwiegenden Nebenwirkungen” für die gesamte Eurozone. “Wenn den Banken die Erhebung von Negativzinsen untersagt wird, würde ihnen ein mögliches Instrument fehlen, um rentabel zu sein”, sagte Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling gegenüber dem englischsprachigen Dienst von Reuters.
Hinzu kommt, dass die Inflationsrate bei etwa 1,5 Prozent liegt und nach Angaben der Bundesbank bis 2021 auf 1,7 Prozent steigen könnte, was wiederum die Gewinne aus dieser mageren Rendite von 0,05 Prozent auf einem Sparkonto zunichte macht. Dem Finanzportal Biallo zufolge kassieren mittlerweile über 140 Banken und Sparkassen Negativzinsen von Kunden. Bei den meisten Banken gibt es einen Freibetrag von 100.000 Euro.
Doch es gibt theoretische Möglichkeiten, sich gegen Negativzinsen zu wehren. Die Verbraucherzentrale Sachsen ist im vergangenen Jahr vor das Landgericht Tübingen gezogen, um gegen die Volksbank Reutlingen, die Negativzinsen in Höhe von 0,5 Prozent auf Girokonten erhoben hatte, vorzugehen. Das Gericht gab dem Kläger Recht. “Die Erhebung von Negativzinsen im Wege eines Preisaushangs bei Einlagen auf einem Girokonto, für welches Kontoführungsgebühren erhoben werden, führt zu einer unangemessenen Benachteiligung von Bankkunden”, argumentierte das Landgericht Tübingen im Urteil Az.: 4 O 225/17).
Trotz des Urteils bleiben die meisten Banken bei ihrer Vorgehensweise und missachten somit geltendes Recht, berichtet die FAZ. Die FAZ wörtlich: “Die meisten Banken, die in Deutschland Negativzinsen eingeführt haben, bleiben hart. Weder Abmahnungen der Verbraucherzentralen noch zwei von ihnen erstrittene Gerichtsurteile scheinen die Banken bislang großartig zu beeindrucken.” Die Verbraucherzentralen fordern die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) auf, gegen die Banken vorzugehen. Doch die ist bisher untätig geblieben.