Finanzen

Solvecon: Die Federal Reserve und das „Pfeifen im Walde“

Die Federal Reserve stellt ihre jüngsten Zinssenkungen als Versicherung gegen mögliche künftige Konjunkturschwächen dar. Man müsse sich keine Sorgen machen. Doch in den nächsten Monaten werden noch weitere Zinssenkungen kommen, weil die US-Wirtschaft fundamental schwach sei, schreibt der Finanzdienstleister Solvecon.
15.11.2019 09:23
Aktualisiert: 15.11.2019 09:23
Lesezeit: 2 min
Solvecon: Die Federal Reserve und das „Pfeifen im Walde“
Der Präsident des Federal Reserve Systems, Jerome Powell. (Foto: dpa) Foto: Ting Shen

Die Anlageberatung Solvecon Invest schreibt in ihrem aktuellen Forex-Report:

Bevor wir uns heute mit Fakten befassen, ist eine Frage zu erörtern: Die Eurozone wächst im laufenden Jahr voraussichtlich mit 1,2% (aktuelle IWF-Prognose). Das entspricht in etwa dem Potentialwachstumspfad laut EZB. Das Potentialwachstum ist das Wachstum, das ein Wirtschaftsraum langfristig ohne Verwerfungen erreichen kann. Laut dem IWF (Fiscal Monitor Oktober 2019) wird die Eurozone ein Haushaltsdefizit in Höhe von 0,9% des BIP in diesem Jahr ausweisen.

Das BIP-Wachstum soll sich laut IWF in den USA 2019 auf 2,4% (IWF WEO 10/2019) stellen. Wo stünde wohl das Wachstum der Eurozone, wenn es hier wie in den USA ein Haushaltsdefizit in Höhe von 5,6% des BIP (IWF FM 10/2019) gäbe? Damit will ich deutlich machen, dass der qualitative Aspekt in einer komplexen Betrachtung massiv gegen die USA und für die Eurozone spricht. Das gilt noch mehr, wenn man die Konsum- und Unternehmensverschuldungsdynamiken in den USA mit in Betrachtung zieht.

Fakt ist bei einer realistischen Betrachtung, dass die selbsttragenden Kräfte in der US-Wirtschaft unausgeprägt sind. Die sind in der Eurozone ungleich stärker. Das Ausblenden dieses Aspekts in Politik und an Märkten lindert dieses Problem nicht ansatzweise. Das Ausblenden ist aber fraglos unsere unprofessionelle Realität. Im Gegenteil wird durch die asymmetrische politische Wahrnehmung und mangelnde Diskontierung an Märkten das Problem und die Form der Anpassung durch Neubewertungen im Zeitverlauf verschärft, denn es wird kein Handlungsdruck aufgebaut, dieses strukturelle Problem in den USA auszuräumen.

Warum thematisieren wir das heute? Es ist erforderlich, da wir von der Federal Reserve das „Pfeifen im Walde“ vernehmen. Bekanntlich ist diese Übung nicht notwendig Ausdruck einer souveränen Position der Stärke, sondern im Gegenteil ein Ausdruck von Schwäche. Wir kennen das aus der jüngeren Geschichte der Federal Reserve mit dem Missbrauch des Themas neuer Paradigmen oder der steilen These vor 2007/2008 „The crisis is contained“.

Fakt ist, dass die Märkte aus den Erfahrungen mit der Federal Reserve im neuen Jahrtausend nicht gelernt haben oder nicht lernen wollen oder gar nicht lernen sollen. Gestern gab es Gerüchte, dass die Handelsgespräche zwischen Peking und Washington stocken sollen. Dieser Handelskonflikt tut allen Beteiligten weh. Hinsichtlich der qualitativen Lage der US-Wirtschaft sind die perspektivischen Risiken für die USA nach unserer Analyse ungleich größer als die für China.

Trotz des anhaltenden Konflikts zwischen den USA und China blickt US-Notenbankchef Powell optimistisch auf die Konjunktur und signalisierte gestern Ruhe an der Zinsfront bei seiner Anhörung vor dem Kongressausschuss. Die Aussichten für die Wirtschaft seien grundsätzlich günstig, schallt es uns entgegen. Er betonte in der Erklärung vor dem Ausschuss, dass die Fed trotz beachtenswerter Risiken davon ausgehe, dass sich das Wachstum der US-Wirtschaft sehr wahrscheinlich nachhaltig fortsetzen werde. Er implizierte, dass weitere Zinssenkungen derzeit nicht anstünden. Falls die Notenbank jedoch ihre Beurteilung der Konjunkturperspektiven nachhaltig überdenken müsse, gebe es Handlungsbedarf. Die bisherigen Senkungen seien ohnehin als Versicherung gegen Risiken zu sehen. Powell bekräftigte, die geldpolitische Haltung werde wahrscheinlich angemessen bleiben. Daraus zog der Markt die Erkenntnis, dass die Federal Reserve vorerst keine weiteren Zinssenkungen auf kurze Sicht umsetzen werde.

Die Fed-Äußerungen entsprechen dem „Pfeifen im Walde“. Anfangs des Jahres waren definitiv keine Zinssenkungen auf der Agenda. In unserem Jahresausblick 2019 hatten wir ein Alleinstellungsmerkmal, als wir ob der qualitativen Analyse formulierten, dass wir im zweiten Halbjahr 2019 mindestens über US-Zinssenkungen reden werden. Drei Zinssenkungen per 2019 haben überhaupt gar nichts mit Versicherung zu tun, sondern mit eklatanten qualitativen US-Strukturschwächen, die im Jahresverlauf eine quantitative Wirkung entfalteten.

Die Historie lehrt, dass die Ignoranz des Faktischen nur vermeintliche Siege offeriert! Wir werden als Folge bis Ende 2020 mehr US-Zinssenkungen sehen, als jetzt unterstellt wird. Lediglich eine ernst zu nehmende Entspannung in den Handelskonflikten, die von den USA losgelöst von internationalen Vertragswerken vom Zaun gebrochen wurden, und geopolitische Entspannung könnten an der Prognose Veränderungen erzwingen, da das globale Wachstumskräfte (Investitionsgüterzyklus) freisetzen würde.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Euro-Kurs wird zur Gefahr: Europas Exporte brechen ein
06.07.2025

Ein starker Euro, schwaches Wachstum, neue US-Zölle – Europas Wirtschaft gerät unter Druck. Die EZB warnt, doch die Lage droht zu...

DWN
Politik
Politik Neuregelung der Vaterschaft: Mehr Rechte für leibliche Väter
06.07.2025

Die Bundesregierung plant eine Reform, die leiblichen Vätern zu mehr rechtlicher Anerkennung verhelfen soll. Der Entwurf aus dem...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnungstausch: Wie Sie Ihre Ferienwohnung herzaubern und worauf Sie achten müssen
06.07.2025

Der Wohnungstausch boomt – günstig, persönlich und spannend. Doch wie funktioniert das Ganze wirklich, und worauf muss man achten,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Jungmakler mit TikTok: Wie eine Generation den Versicherungsmarkt neu denkt
06.07.2025

TikTok-Reichweite, neue Rollenbilder, klare Erwartungen: Junge Makler treiben die Disruption im unabhängigen Versicherungsvertrieb voran....

DWN
Technologie
Technologie Wäschetrockner: Neues Energie-Label einfach erklärt
06.07.2025

Seit dem 1. Juli gelten für Wäschetrockner strengere Energiekennzeichnungen. Verbraucher sollen Geräte nun besser vergleichen können....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Praktika und Probearbeiten: Rechte, Pflichten und Fallstricke für Berufseinsteiger
06.07.2025

Viele Praktikanten kennen ihre Rechte nicht – und riskieren, ausgenutzt zu werden. Was wirklich erlaubt ist, wann Praktika bezahlt werden...

DWN
Technologie
Technologie Lithium: Schlüssel zur technologischen Unabhängigkeit – doch der Rohstoff ist knapp
06.07.2025

Lithium ist der Treibstoff moderner Technologien – von E-Autos bis Energiewende. Doch was passiert, wenn die Nachfrage explodiert und das...

DWN
Politik
Politik Rückkehr der Wehrplicht trotz Wirtschaftsflaute? Nato-Ziele nur mit Pflicht zum Wehrdienst möglich
05.07.2025

Die Nato drängt: „Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen“, hat die Nato ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie...