Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Ukraine wird in Deutschland oft nur im Zusammenhang mit Russland gesehen. Ihr Land ist wirtschaftlich nach wie vor eng mit dem großen Nachbarn verzahnt. Wie können Sie sich von Russland weniger abhängig machen?
Wladyslaw Kryklij: Die Regierung der Ukraine hat deutlich definiert, dass die Priorität für die Ukraine die Integration in die EU bleibt. Wir arbeiten im Moment intensiv an der Umsetzung der Bestimmungen des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In den USA läuft gerade eine politische Schlammschlacht in der sogenannten Ukraine-Affäre, die für Außenstehende nicht so ganz leicht zu durchschauen ist. Die Gegner von US-Präsident Donald Trump werfen ihm vor, er habe den ukrainischen Staatspräsidenten unter Druck gesetzt, gegen seinen Herausforderer im US-Wahlkampf Joe Biden ein Verfahren einzuleiten. Angeblich habe dessen Sohn in der Ukraine illegale Geschäfte gemacht. Die Demokraten wollen ein Amtsenthebungsverfahren mit Erfolg zu Ende bringen. Befürchten Sie dadurch einen Imageschaden für die Ukraine?
Wladyslaw Kryklij: Ich glaube, dass die Arbeit unserer Regierung und ihre schnellen Reformen die Dinge sind, die das positive Bild der Ukraine fördern werden. Wir haben im Moment eine einzigartige politische Situation, wenn es um die Aufteilung der Macht geht: Der Präsident, das Parlament und die Regierung arbeiten alle im Einklang. So was passiert zum ersten Mal in der ukrainischen Geschichte. Und das sollte man nicht nur in der Ukraine, sondern auch woanders einsehen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Bedeutung hat China für die Ukraine – politisch und wirtschaftlich?
Wladyslaw Kryklij: Das Projekt Chinas „One belt, one road“ schreitet voran, wo neue Handelswege errichtet werden, die Zentralasien mit Europa verbinden. Im Moment haben sich rund 70 Länder dieser Initiative angeschlossen, die ein Potenzial hat, das 40 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes entspricht.
Die Große Seidenstraße, die das Alte China mit den europäischen Ländern verband, soll nun auch wieder die Handelsbeziehungen von Asien, Europa und dem Nahen Osten aktivieren. Zur Realisierung dieser Strategie hat China im Jahr 2015 den Spezial-Fonds „Der seidener Weg“ ins Leben gerufen, der über ein Budget von 40 Milliarden Dollar verfügt.
Im Dezember 2016 haben die Ukraine und China einen Plan für die Initiativen „Wirtschaftsgürtel des Großen Seidenen Weges“ und „der maritimen Seidenstraße “ unterzeichnet, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Europa und Asien zu stärken. Hier werden unter anderem Fähren über die Häfen des Schwarzen und des Kaspischen Meeres geschickt. Das wird der Beitrag der Ukraine daran sein. Dabei handelt es sich um die „Transkaspische Internationale Transportroute“, die von der Wirtschaftsvereinigung für die Schwarzmeer-Region, BSEC, und der regionalen Sicherheitsallianz GUAM unterstützt wird. Sie ist Bestandteil des TRACECA – eines Verkehrskorridors, der Europa mit Mittelasien verbinden soll.
Um dem Transport von Containern aus den EU-Ländern nach China und umgekehrt zu organisieren, konzentriert sich die Ukrainische Eisenbahn auf die transkaspischen Transportrouten. Diese führen von Europa über die Ukraine, Georgien, Aserbaidschan, Kasachstan bis in die Volksrepublik China.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Paris fand am 9. Dezember ein Ukraine-Gipfel statt. Welche Rolle spielt das Ereignis für die weitere Entwicklung Ihres Landes?
Wladyslaw Kryklij: Wir sind für die politische Unterstützung Deutschlands, Frankreichs und der USA dankbar. Den Willen des Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu verteidigen, haben alle ukrainischen Bürger. Wir müssen möglichst schnell alle besetzten Territorien zurückbekommen und damit auch alle Bürger, die dort leben, wieder in unser Land integrieren.
Wir müssen die volle Kontrolle über die Staatsgrenzen zurückbekommen. Als zuständige Minister habe ich mehrmals deutlich gemacht, dass wir am Wiederaufbau der Infrastruktur im Donbass [Gebiet in der Ukraine, das umkämpft ist] arbeiten werden. Dort, wo die ukrainische Regierung die Kontrolle wiedererlangt hat, werden wir den Menschen, die als Geiseln gehalten wurden, wieder eine bessere Lebensqualität bieten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie wird sich die Ukraine in den kommenden drei bis fünf Jahren wohl politisch und wirtschaftlich entwickeln?
Wladyslaw Kryklij: Wir haben ein ambitioniertes Arbeitsprogramm der Regierung für die kommenden fünf Jahre, das das Parlament abgesegnet hat. Was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, werden wir uns auf seine Realisierung konzentrieren. Was die Infrastruktur angeht, sieht das Arbeitsprogramm der Regierung vor, dass in den kommenden fünf Jahren 24 000 Kilometer Straße repariert werden.
Darüber hinaus soll das Fluggast-Aufkommen verdreifacht werden. Es werden neue Flughäfen gebaut. Die volle Kapazität der 15 Regionalflughäfen soll ausgelastet sowie Wettbewerb und Transparenz auf dem Markt der Transportdienstleistungen in allen Bereichen gewährleistet werden. Eine wichtige Aufmerksamkeit widmen wir der Verkehrssicherheit. Wir müssen die Umfallrate um 30 Prozent senken. Dafür werden wir die Sicherheitsinfrastruktur ausbauen und die Erfahrung Deutschlands und anderer Länder der EU umsetzen.
Darüber hinaus soll die Reform der Eisenbahn- und Binnenwasserstraßen umgesetzt werden, die eine Liberalisierung dieser Märkte vorsieht. Eine wichtige Bedeutung haben Projekte, die auf der Grundlage von Konzessionen organisiert werden (Public-private-Partnership – PPP). Wir glauben, dass eine solche Form der öffentlich-privaten Partnerschaft nicht nur dem Staat Einnahmen bringt, sondern auch die Entwicklung der Infrastrukturobjekte fördern wird.
Wir führen die ersten Pilotprojekte in den Häfen von Olvia und Cherson [am Schwarzen Meer] durch. Wir bereiten uns mit unseren internationalen Partnern auf die Konzessionsprojekte in den Häfen von Tschornomorsk, Odessa, Berdjansk und Mariupol vor. Darüber hinaus konzentrieren wir uns auf Vorhaben an den Bahnhöfen in den Städten Dnipro, Charkiw, Winnyzja, Chmelnyzkyj, Mykolajiw und Tschop. Alle diese Projekte gehen 2020 über die Bühne. Zudem schreiben wir Konzessionen für die regionalen Flughäfen in Zaporizhja, in Czernowitz und in Cherson sowie für Autostraßen aus. Wir würden gerne die deutschen Unternehmen unter den Konzessionären begrüßen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie sollte sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine in den kommenden drei bis fünf Jahren entwickeln?
Wladyslaw Kryklij: Da eine Tendenz zur Vergrößerung des Handels zwischen der Ukraine und Deutschland zu beobachten ist, liegt die Hauptaufgabe des Ministeriums für Infrastruktur der Ukraine darin, die Bedürfnisse der Menschen und der Unternehmen zufriedenzustellen. Wir ermöglichen qualitativ hochwertige Dienstleistungen.
Effektive Transport- und Logistiksysteme sind die Schlüsselvoraussetzungen für das wirtschaftliche Wachstum und den Wettbewerb. Das ist deswegen sehr wichtig, weil unser Land über ein enormes Transportpotenzial verfügt. Das Ministerium für Infrastruktur der Ukraine intensiviert die Beteiligung der Unternehmen an Verkehrsprojekten. Das betrifft sowohl die unmittelbare Durchführung von Transporten als auch die Realisierung von Infrastrukturprojekten. Dies erfolgt insbesondere durch öffentlich-private Partnerschaften und Konzessionen.
Die Ukraine ist für Investitionen offen, und das Ministerium für Infrastruktur der Ukraine wird seinerseits seine umfassende Unterstützung anbieten. Das Ressort stellt ein sehr wichtiges Bindeglied bei der Umsetzung von Investitionsprojekten dar.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Minister, herzlichen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Der 33jährige Wladyslaw Kryklij ist Ökonom und seit Ende August 2019 Infrastrukturminister des Landes. Sein Ressort gilt aufgrund der großen logistischen Bedeutung der Ukraine als Schlüsselressort. Zwischen 2002 und 2013 arbeitete er auf leitenden Positionen in der Privatwirtschaft. Danach war in unterschiedlichen Funktionen im Innenministerium aktiv. 2019 zog der Wirtschaftswissenschaftler auf einem Listenplatz der Partei "Diener Volkes" in das Parlament ein, die später die Regierung stellte.