Weltwirtschaft

Das Perlflussdelta – Chinas Megastadt für das 21. Jahrhundert

Lesezeit: 7 min
25.12.2019 10:12  Aktualisiert: 25.12.2019 10:12
Die chinesische Führung will die Städte im Perlflussdelta zu einer integrierten Megametropole von Weltrang ausbauen. Für andere Regionen existieren ähnliche Pläne.
Das Perlflussdelta – Chinas Megastadt für das 21. Jahrhundert
Die Hongkong-Macau-Zhuhai-Brücke ist über 30km lang, wovon etwa 7km unterirdisch verlaufen. (Foto: dpa)
Foto: Liang Xu

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Das Delta des Perlflusses im Süden Chinas soll nach den Wünschen der Regierung in Peking in den kommenden Jahren zu einer integrierten Megastadt von globaler Bedeutung ausgebaut werden. Den Plänen zufolge, welche der Öffentlichkeit erstmals im Jahr 2011 bekannt wurden, sollen neun Millionenstädte in Festlandchina (Guangzhou, Zhongshan, Zhaoqing, Foshan, Dongguan, Zhuhai, Shenzhen, Huizhou und Jiangmen) mit den beiden Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau zu einer vernetzten Metropolregion mit rund 60 Millionen Einwohnern verwachsen.

Das Projekt ist ambitioniert, die wichtigsten Grundlagen zur Erreichung dieses Ziels wurden allerdings schon in den vergangenen 40 Jahren geleistet – mit der teilweisen wirtschaftlichen Öffnungspolitik durch den damaligen Präsidenten Deng Xiaoping und der Etablierung von sieben Sonderwirtschaftszonen – welche insbesondere den Süden zur bis heute dominierenden wirtschaftlichen Herzkammer des Landes machten. Der Aufstieg des Deltas, welcher der Reformpolitik folgte, war atemberaubend und wird wahrscheinlich am besten Anhand des Beispiels der Millionenstadt Shenzhen veranschaulicht.

Hongkongs Nachbarstadt erhielt erst im Jahr 1979 den Status einer Stadt – bis dahin handelte es sich buchstäblich um ein Fischerdorf mit einigen tausend Einwohnern. Der Ausrufung einer Sonderwirtschaftszone im Jahr 1980 (die andere Sonderwirtschaftszone im Perlflussdelta war Zhuhai) folgte ein beispielloser Zustrom ungelernter Arbeitskräfte aus den umliegenden Regionen und aus ganz China und von Unternehmen, welche die Chancen der gelockerten Wirtschaftsrestriktionen und der scheinbar unbegrenzt verfügbaren billigen Arbeitskräfte erkannten. Heute beherbergt Shenzhen nicht nur etwa 13 Millionen Einwohner, sondern ist auch Sitz zahlreicher Großkonzerne, des weltweit drittgrößten Hafens und einer der beiden großen Börsen Chinas. Erstaunlich ist, dass es Shenzhen geschafft hat, innerhalb weniger Jahrzehnte nicht nur von der Kleinstadt zur Millionenstadt aufzusteigen, sondern dass auch die Transformation vom Industriezentrum zur Technologiehauptstadt des Landes geglückt ist – Shenzhen ist heute das Zentrum der aufstrebenden Technologiebranche sowie Innovationen generell.

Die wirtschaftliche Öffnung Shenzhens und Zhuhais hatte auf das gesamte Delta des Perlflusses eine belebende Wirkung und so sind heute infolge des wirtschaftlichen Aufstiegs die Millionenstädte wie Perlen auf einer Kette aufgereiht. Hongkong mit 7 Millionen Einwohnern folgen Shenzhen mit 13 Millionen, Dongguan mit 8 Millionen, Huizhou mit 5 Millionen, Guangzhou mit 12 Millionen, Foshan mit 7 Millionen, Zhaoqing mit 4 Millionen, Zhuhai mit 1,5 Millionen und Macau mit 700.000 Einwohnern.

Urbanisierung im Schnelldurchlauf

Der rapide Anstieg der Bevölkerung im Perlflussdelta, das Entstehen riesiger Städte innerhalb weniger Jahrzehnte und die damit verbundenen Herausforderungen wie Umweltprobleme, sozialer Zusammenhalt und Infrastruktur und Logistik machen das Perlflussdelta zu einem Paradebeispiel des weltweiten Trends hin zu Verstädterung und Landflucht.

„Denn im Perlflussdelta vollzieht sich, wie im Zeitraffer, der wichtigste Siedlungstrend unserer Zeit: Die millionenfache Wanderung der Menschen in die Ballungsräume, in denen, global betrachtet, seit 2010 mehr Menschen leben als auf dem Land. 2050 werden nach Hochrechnungen der Vereinten Nationen 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten wohnen. In China ist es wohl schon 2030 so weit. In China begann der Umbruch in den Achtzigerjahren. 1980 lebten weniger als 30 Prozent der Menschen in Städten. Dann siedelte die Regierung mehr als 300 Millionen von ihnen um. Heute haben Peking und Schanghai je mehr als 20 Millionen Einwohner. Landesweit gibt es 171 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern“, schrieb die Wirtschaftswoche bereits im Jahr 2014.

Der rapiden Urbanisierung folgten Probleme, welche schrittweise gelöst werden mussten. Dazu zählte eine immense Umweltverschmutzung, weil dem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum erst mit großer Verzögerung entsprechende Vorschriften folgten. Neben dem Smog besonders hervorzuheben war die Verschmutzung des Perlflusses, weil Abwässer von Industrie und Haushalten oft ungeklärt darin entsorgt wurden. Schätzungen zufolge sollen es jährlich bis zu zehn Milliarden Tonnen gewesen sein. Erstaunlicherweise kam es trotz der massiven Zuwanderung aus anderen Teilen der Provinz Guangdong und des ganzen Landes in der Vergangenheit kaum zu offenen Zusammenstößen mit den traditionell Kantonesisch sprechenden Einheimischen.

Ein großer Verdienst der Behörden vor Ort und der Zentralregierung ist zudem der Umstand, dass die Entstehung von Armutssiedlungen und unregulierten Ghettos mithilfe des sogenannten Hukou-Systems verhindert werden konnte. Dabei handelt es sich um das chinesische Meldesystem, demzufolge ein Wanderarbeiter aus einem Dorf auch dann als Bürger dieses Dorfes zählt, wenn er in einer anderen Stadt oder Provinz arbeitet und lebt. Dies hat zur Folge, dass er in sein Dorf zurückkehren muss, wenn er seiner Arbeit nicht mehr nachgeht und nicht in der bleiben darf, was die Bildung informeller Siedlungen und von Schwarzarbeit fördert.

Stand der Entwicklung

Die deutlichsten Anzeichen für die von der Zentralregierung angepeilte Vernetzung der Städte des Perlflussdeltas sind Stand heute die Hongkong-Macau-Zhuhai-Brücke sowie die Anbindung Hongkongs an Shenzhen und Guangdong per Hochgeschwindigkeitszug und der Ausbau der Bahn- und U-Bahnverbindungen zwischen den restlichen Städten.

Die besagte Brücke verbindet seit vergangenem Jahr die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau mit dem Festland in Zhuhai. Bei einer Gesamtlänge von fast 30 Kilometern entfallen rund 23 Kilometer auf oberirdische Brückenabschnitte, welche mithilfe von Pfeilern in der Mündung des Perlflusses verankert wurden. Etwa 6,5 Kilometer verlaufen zudem unterirdisch, um der Schifffahrt Platz einzuräumen. Sie werden von zwei künstlichen Inseln mit dem oberirdischen Brückenteil verbunden.

Während das Bauwerk in den Staatsmedien der Volksrepublik China als technisches Meisterwerk gepriesen wird, war in Hongkong auch Kritik zu hören. Diese entstand vor allem aus den Kosten von umgerechnet mehreren Milliarden US-Dollar, welche aus Sicht vieler Hongkonger besser zur Linderung der extremen Wohnungsknappheit und der exorbitanten Preise auf dem heimischen Immobilienmarkt hätten verwendet werden sollen. Zudem sollen auf den beiden künstlichen Inseln Wohnanlagen für Chinesen aus dem Süden des Landes entstehen, worin manche Bewohner der Sonderverwaltungszone einen weiteren Schritt zu einer faktischen schrittweisen Vereinnahmung Hongkongs durch China sehen, welche bis zum Jahr 2047 gesetzlich untersagt ist.

Die Brücke besitzt neben der sozialen Komponente des einfacheren Reisens noch eine wirtschaftliche Dimension – sie verknüpft die hochentwickelten Regionen des Deltas um Hongkong und Shenzhen mit weniger entwickelten Gegenden, in denen sich noch die Ansiedlung von Industriebetrieben lohnt, wie Christopher Balding von der Peking University HSBC Business School vom chinesischen Magazin Caixin zitiert wird. „Es gibt in der Region noch Gegenden in denen billig produziert werden kann, doch sie dürfen nicht zu nahe an Shenzhen liegen.“ Balding zufolge sei die wirtschaftliche und finanzielle Verknüpfung von Hongkong und Festlandchina eine Realität, die man akzeptieren müsse. Nicht zu vergessen sei bei all dem, dass die geplante Perlfluss-Megacity sozialpolitisch auch das Ziel habe, Hongkong in den kulturellen Einflussbereich des Festlandes zu bringen.

Repräsentativ für die zunehmende Vernetzung ist zudem die ebenfalls erst seit kurzem bestehende Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Hongkong und den Städten im Hinterland, welche im September 2018 nach mehrjähriger Bauzeit eröffnet wurde. Sie halbiert nicht nur die Reisezeit zwischen Hongkong und Shenzhen sowie Guangzhou, sondern bindet Hongkong zudem an das System der chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge an.

Bemerkenswert ist, wie die elf Städte auf die schrittweise Verschmelzung reagieren – sie spezialisieren sich zunehmend, wodurch es zu einer Arbeitsteilung kommt. So stellt Shenzhen als Sitz großer Elektronikkonzerne wie Huawei und ZTE und auch Banken und Versicherungen das Technologie- und Innovationszentrum dar, Hongkong hingegen das Finanzzentrum und Tor zur Welt. Guangzhou – die Hauptstadt der Provinz, ist das politische und Veraltungszentrum. In Huizhou dominiert die Fertigung und Industrieproduktion, ebenso in Foshan, wo beispielsweise ein großes Volkswagen-Werk steht. In den Casinos von Macao wird inzwischen ein Vielfaches jenes Geldes umgesetzt, was das weltberühmte US-Pendant Las Vegas erwirtschaftet. Zhuhai scheint sich hingegen zunehmend auf den Tourismus zu besinnen, etwa als günstiger Alterssitz für Hongkonger.

Teil einer nationalen Strategie

Der Ausbau des Perlflussdeltas zu einer Megacity stellt kein singuläres Unterfangen dar, sondern ist in eine nationale Entwicklungsstrategie eingebettet. So sollen im Norden die Hauptstadt Peking zusammen mit der wichtigen Industriemetropole Tianjin ebenfalls als Kerne einer künftigen, großräumigen, Clusterregion mit rund 110 Millionen Menschen fungieren. Auch für die Mündung des Jangtsekiang mit der Weltstadt Schanghai existieren ähnliche Pläne – hier soll eine integrierte Metropolregion mit rund 50 Millionen Einwohnern entstehen.


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