Politik

Ehemaliger Top-General Kujat: Europa ist schwach, weil Deutschland schwach ist

Welche Rolle spielt Deutschland im Mittleren Osten nach dem Tod von Ghassem Soleimani? Darüber sprach Bernd Brümmel, freiberuflicher außenpolitischer Korrespondent der Deutschen Wirtschaftsnachrichten, mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr a. D. Harald Kujat.
29.01.2020 06:28
Aktualisiert: 29.01.2020 06:28
Lesezeit: 4 min
Ehemaliger Top-General Kujat: Europa ist schwach, weil Deutschland schwach ist
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Flughafen von Djidda (Saudi-Arabien) mit einem Kaffee begrüßt. (Foto: dpa)

Bernd Brümmel: Am 3. Januar hat US-Präsident Trump den iranischen General Ghassem Soleimani, der sich auf einer diplomatischen Mission im Irak befand, ermorden lassen. Erkennen Sie hinter der Tat eine Strategie?

Harald Kujat: Nein, inzwischen ist bekannt, dass Präsident Trump diesen Anschlag befahl, weil er „glaubte“, Angriffe auf amerikanische Einrichtungen stünden unmittelbar bevor. Diese Entscheidung hat gravierende Folgen für die Region: Iran hat angekündigt, die Anreicherung von Uran zu verstärken und der Irak hat den Abzug aller ausländischen Truppen gefordert. Die Vereinigten Staaten haben daraufhin ihren Wirtschaftskrieg gegen den Iran mit weiteren Sanktionen verstärkt. Möglicherweise wird jetzt aber Trumps Versprechen wahr, alle „endlosen“ Kriege zu beenden. Nach einer fast 17-jährigen militärischen Intervention sind die Vereinigten Staaten mit der Drohung von Sanktionen wieder am Ausgangspunkt angekommen. Das Ergebnis ist eine Region in politischer Unordnung, die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen sind durch Krieg und Gewalt zerstört worden, andere haben sich auf die Flucht nach Europa begeben oder leben seit Jahren in Flüchtlingslagern.

Bernd Brümmel: Die iranische Seite hat - trotz aller Rhetorik - besonnen reagiert und nur ein paar Raketen auf Militärcamps gefeuert. Offensichtlich hatten die Iraner die Amerikaner vorher gewarnt, und es sind keine Menschen ums Leben gekommen. Konnte dadurch ein Krieg zwischen dem Iran und den USA abgewendet werden?

Harald Kujat: Die iranische Reaktion ist in der Tat besonnen und als Angebot zu Gesprächen zu verstehen. Trump drohte dagegen, alles zu unternehmen, um dem Iran die Verfügung über Nuklearwaffen zu verwehren.

Die Vereinigten Staaten könnten die iranischen Anlagen zur Anreicherung von Uran in einem „pre-emptiven“ Angriff zerstören. Sie verfügen über militärische Fähigkeiten, mit denen sie dem Iran unermesslichen Schaden zufügen können. Andererseits hat auch der Iran eine Reihe von Optionen in der Region, die für die Vereinigten Staaten höchst schmerzhaft wären und denen die Amerikaner nichts entgegensetzen könnten. Dagegen könnten die Vereinigten Staaten einen konventionellen Krieg auf iranischem Boden nicht gewinnen. Der frühere Oberbefehlshaber des Central Command, General Zinni, hat seine Warnung vor einem Krieg mit dem Iran einmal für die Clinton-Administration auf eine kurze Formel gebracht: „Don`t provoke a Bay of Goats!“ Damals hat jeder die Analogie zum Desaster in der Schweinebucht verstanden. Ich hoffe, die amerikanischen Militärs haben das inzwischen auch Präsident Trump klargemacht.

Bernd Brümmel: Gibt es Kräfte in den USA, die einen Krieg gegen den Iran forcieren wollen? Aus welchen Gründen?

Harald Kujat: Jedenfalls ist das in diesem Fall nicht erkennbar. Präsident Trumps innenpolitische Lage ist schwierig

und die amerikanische Bevölkerung ist kriegsmüde. Aber wenn er Führungsstärke demonstriert, kommt das gut an. Für Europäer ist dagegen völlig unverständlich, dass ein amerikanischer Präsident damit droht, die Kulturgüter der 3000-jährigen iranischen Geschichte zu zerstören. Ein Kriegsverbrechen, nur vergleichbar mit dem Vandalismus der Taliban in Afghanistan und der Dschihadisten im Irak. Die Frage ist wohl berechtigt, ob Trump glaubt, er verfügt über unbegrenzte Macht und das Völkerrecht setzt seinem Handeln keine Grenzen.

Bernd Brümmel: Spielt der Aufstieg Chinas und das Projekt der „Neuen Seidenstraße“ eine Rolle bei dem Versuch der USA, den Iran zu schwächen und zu isolieren?

Harald Kujat: Der Iran verfolgt drei Ziele: Die Vereinigten Staaten als Ordnungsmacht im Nahen und Mittleren Osten zu verdrängen, die Sanktionen aufzuheben und den eigenen Einfluss als dominante Regionalmacht zu stärken.

Letzteres bedeutet, Saudi-Arabien zurückzudrängen oder einen Modus Vivendi mit diesem Verbündeten der Vereinigten Staaten zu finden. Der Rückzug der Vereinigten Staaten würde dies erleichtern. Bisher zeichnet sich jedoch nicht ab, wie Russland seine Rolle als neue Ordnungsmacht ausfüllen wird. Dass China sich zunächst wirtschaftlich stärker in der Region engagieren wird, ist bereits erkennbar.

Bernd Brümmel: Wird die Ermordung Soleimanis die Position der USA in Nahen und Mittleren Osten langfristig schwächen?

Harald Kujat: Ich denke, es wird den Rückzug der Vereinigten Staaten aus der Region beschleunigen.

Bernd Brümmel: Gibt es eine Strategie Deutschlands beziehungsweise der EU für den Nahen und Mittleren Osten?

Harald Kujat: Europa ist im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, Russland und China politisch und militärisch schwach, weil Deutschland schwach ist und weil es keine tragfähige Grundlage für ein gemeinsames Handeln mit Frankreich gibt. Deshalb gibt es auch nur punktuelle Ansätze für ein Krisenmanagement, wie gegenwärtig in Libyen, aber keine Strategie, um die Risiken zu verringern, die aus den Konflikten in dieser Region für Europa entstehen. Einfluss auf die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten zu nehmen, ist jedoch eine Frage der Selbstbehauptung Europas.

Bend Brümmel: Welche Risiken könnten sich für Deutschland und die EU ergeben, sollte der Nahe und Mittlere Osten durch Unruhen, Kriege und Bürgerkriege weiter destabilisiert werden?

Harald Kujat: Die Folgen wären neue Migrationswellen. Aber auch die wirtschaftlichen Konsequenzen können erheblich sein.

Für Deutschland stellt sich in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, wie wir gegebenenfalls unserer besonderen Verantwortung für die Sicherheit Israels gerecht werden wollen. Die Auswirkungen auf die innere Sicherheit sind wohl nach den Erfahrungen der letzten Jahre offenkundig.

Bernd Brümmel: Ließen sich die traditionell guten Beziehungen Deutschlands zum Iran zur Entspannung nutzen? Oder ist dieser Weg aufgrund der bedingungslos transatlantischen Ausrichtung Deutschlands inzwischen versperrt?

Harald Kujat: Deutschland tut viel zu wenig, um durch konstruktive Beiträge zur internationalen Stabilität die eigene Sicherheit zu stärken. Natürlich ist dies schwierig, wenn ein wirtschaftlich starker Verbündeter Sanktionen in den internationalen Beziehungen als Waffe einsetzt. Andererseits zeigt beispielsweise die Ignoranz gegenüber der Missachtung unserer elementaren Sicherheitsinteressen durch die Kündigung von Rüstungskontrollvereinbarungen wie den INF-Vertrag ein Defizit an außen- und sicherheitspolitischem Weitblick und strategischem Urteilsvermögen. Dass wir uns bisher nicht genügend um eine deeskalierende Vermittlung im Iran-USA-Konflikt bemüht haben, ist ein weiteres Beispiel für dieses Versagen.

Info zur Person: General a.D. Harald Kujat war persönlicher Mitarbeiter der Verteidigungsminister Helmut Schmidt und Georg Leber, von 1980 bis 1984 sicherheitspolitischer Referent unter den Bundeskanzlern Helmut Schmidt und Helmut Kohl, 1985 Kommandeur eines Ausbildungsverbandes. In einer längeren Phase des Wechsels zwischen NATO und nationalen Verwendungen Stabsabteilungsleiter Militärpolitik im Führungsstab der Streitkräfte und Stellvertretender Direktor/Abteilungsleiter Planung und Politik des Internationalen Militärstabes im NATO-Hauptquartier.

1998 Leiter des Planungsstabes des Verteidigungsministeriums und ab 1. Juli 2000 Generalinspekteur der Bundeswehr. In dieser Funktion von den Generalstabs-Chefs der NATO-Mitgliedstaaten in geheimer Wahl zum Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses gewählt. Er leitete das höchste militärische Amt der NATO von Juli 2002 bis Juni 2005.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EZB senkt Zinsen: Was das für Sparer und Hausbauer bedeutet
30.01.2025

Bereits zum fünften Mal in Folge hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen für den Euroraum gesenkt. Grund sind schlechte...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Moderna-Impfstoff: EU-Kommission unterzeichnet Vertrag über Coronavirus-Impfstoffe
30.01.2025

Die Covid-19-Pandemie beschäftigt weiterhin die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen: Die EU-Kommission hat...

DWN
Politik
Politik CDU: Umfrage zur Bundestagswahl sieht die Union mit leichtem Verlust
30.01.2025

Die CDU hat laut INSA-Umfrage mit ihrem Vorstoß zu einer restriktiveren Migrationspolitik die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite -...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Wirtschaft schrumpft weiter: Keine Entspannung trotz steigendem Privatkonsum
30.01.2025

Die deutsche Wirtschaft verliert weiter im internationalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit. Auch im vierten Quartal 2024 sank das...

DWN
Politik
Politik Ex-Kanzlerin Merkel kritisiert Friedrich Merz: "Halte ich für falsch"
30.01.2025

Friedrich Merz und die CDU bringen zum ersten Mal einen Antrag mit Hilfe der AfD durch den Bundestag. Nun meldet sich Ex-Kanzlerin Angela...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnimmobilie kaufen: So geht es am Immobilienmarkt 2025 weiter
30.01.2025

Sie wollen eine Wohnimmobilie kaufen? Dann sollten Sie den Kaufmarkt genau im Blick behalten. Nach einem soliden Jahresauftakt herrscht...

DWN
Politik
Politik Chrupalla: AfD unter dieser Bedingung offen für Koalition mit der CDU
30.01.2025

AfD-Co-Chef Tino Chrupalla signalisiert Kooperationsbereitschaft mit der CDU über die Zustimmung von Anträgen im Bundestag hinaus -...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Bank-Aktie: Postbank-Klagen trüben Geschäftsergebnis - Aktie fällt
30.01.2025

Die Deutsche Bank machte 2024 weniger Gewinn als von Analysten erwartet. Ein Streit um Entschädigungen für frühere Postbank-Aktionäre...