Die Geduld der griechischen Inselbewohner ist erschöpft. «Wir wollen unsere Inseln zurück, wir wollen unser Leben zurück!», skandierten Einwohner von Lesbos, Leros, Kos, Chios und Samos am Mittwoch. Geschäfte bleiben geschlossen, die Menschen finden sich zum Protest in den Ortschaften der Ägäis-Inseln ein. «Wir sind keine Rassisten, aber wir können nicht mehr», so der Tenor. Neben den rund 210 000 Bewohnern der Inseln leben dort aktuell mehr als 42 000 Flüchtlinge und Migranten. Schlafplätze, Toiletten und Duschen gibt es aber nur für 6200 Menschen.
«Die Proteste und der heutige Streik waren angekündigt», sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage. Er verweist auf das Vorhaben der griechischen Regierung, zur Entlastung der Inseln in diesem Jahr rund 20 000 Schutzsuchende, die potenziell Anspruch auf Asyl haben, aufs Festland zu bringen. Außerdem sollten rund 10 000 ausreisepflichtige Migranten von den Inseln zurückgeführt werden.
Was die Bundesregierung so deutlich nicht sagt: In Berlin befürchtet man, dass die Umsiedlung einer größeren Zahl von Migranten ohne Chancen auf Asyl von den Inseln auf das Festland noch mehr Menschen motivieren könnte, sich als irreguläre Migranten nach Griechenland aufzumachen. Denn vom Festland aus findet sich manchmal dann eben doch ein Weg, um nach Deutschland zu kommen.
Die EU-Türkei-Vereinbarung vom März 2016 gilt zwar immer noch. Sie funktioniert aber nicht gut, weil sich die türkische Regierung offenbar nicht mehr daran gebunden fühlt. Die Asylverfahren in Griechenland dauern zu lange. Von der türkischen Küste legen seit einigen Monaten wieder deutlich mehr Boote mit Migranten in Richtung griechische Inseln ab.
Anders als in den Jahren 2015 und 2016 stellen die Syrer unter den neu Angekommenen auf den Inseln heute nicht mehr die größte Gruppe. 40 Prozent der Flüchtlinge und Migranten, die 2019 über das Meer nach Griechenland kamen, stammen aus Afghanistan, 27 Prozent aus Syrien.
«Ich schäme mich, gegen die Flüchtlinge zu sein», sagt eine junge Griechin, die auf Lesbos gemeinsam mit anderen für die sofortige Entlastung der Inseln demonstriert. «Ich sehe, dass es ihnen schlecht geht.» Aber: Die Insulaner litten nun schon seit Jahren. «Wenn ich mit meiner Großmutter zu Untersuchungen ins Insel-Krankenhaus muss, stehen vor uns 50 Migranten und ihre Familien Schlange. An den völlig überfüllten Lagern stapelt sich der Müll. Unserer Kinder sehen das Elend jeden Tag. Wir haben Angst, dass sich Krankheiten entwickeln. Unsere Infrastruktur gibt das einfach nicht her», sagt sie.
Der Protest der Inselbewohner richtet sich vor allem gegen die griechische Regierung. Während der konservative Premier Kyriakos Mitsotakis seit seinem Amtsantritt im vergangenen Juli in den Bereichen Wirtschaft, Investitionen und Organisation punktet, hat er die Flüchtlingskrise auf den Inseln bisher nicht im Griff. Auch ein Masterplan und ein neues Migrationsministerium ändern daran nichts. Mitsotakis hat versprochen, im Rahmen des EU-türkischen Flüchtlingspakts all jene Migranten sofort in die Türkei zurückzuschicken, die keine Aussicht auf Asyl haben. Diejenigen, deren Chancen besser stehen, sollen aufs Festland geholt werden.
Doch das ist noch nicht geschehen. Und es wäre eigentlich auch nicht im Sinne der Vereinbarung. Denn der Flüchtlingspakt, den die EU 2016 mit der Türkei geschlossen hat, sieht vor, dass alle Migranten, die illegal von der Türkei nach Griechenland übersetzen, auf den Inseln festgehalten werden. Nur wer dort keinen Anspruch auf Asyl hat, kann zurück in die Türkei geschickt werden. Das schließt alle aus, deren Antrag auf dem Festland abgelehnt wird.
Auf den Inseln ist es den Griechen derweil unmöglich, die Anträge zu bewältigen. Es fehlt an Personal und Übersetzern. Mitsotakis hat angekündigt, die bestehenden, großteils unorganisierten Lager zu schließen und dafür neue, geschlossene Lager zu errichten. Doch auch das wollen die Inselbewohner nicht - sie haben Angst, dass solche Lager die Inseln für immer zu Flüchtlingsinseln machen. Schon lange leidet der Tourismus unter der Situation und damit die Haupteinnahmequelle vieler Bewohner. Von ihrer Regierung fühlen sie sich ebenso allein gelassen wie von der EU, die sich nicht auf eine Verteilungsquote für Flüchtlinge einigen kann.