Es ist bekannt und zu erwarten, dass Menschen in Zeiten einer sich verschärfenden Krise damit beginnen, Bargeld zu horten. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Chinesen anlässlich der immer rascheren Verbreitung des Corona-Virus in Scharen zu Bankschaltern und Geldautomaten strömen. Die chinesische Zentralbank hat bereits darauf reagiert und versorgt Banken und Sparkassen verstärkt mit Bargeld, um dem Ausbruch einer Panik zuvorzukommen, die eine Bargeld-Knappheit auslösen könnte.
Aber auch in einer anderen Weltregion wird Bargeld gehortet – und zwar im Wert von Milliarden Euro, von Dutzenden Milliarden. Viren haben damit übrigens überhaupt nichts zu tun. Wie die Region heißt? So gut wie alle unsere Leser dürften sie gut kennen – sie nennt sich Europa. Wie sich der Bargeld-Bestand deutscher Banken in den letzten Jahren entwickelt hat, lässt sich an folgendem Schaubild erkennen.
Schaubild: Bargeld-Bestand der Banken in Deutschland
Bis 2016 bewegten sich die Bargeld-Bestände deutscher Banken mehrere Jahre lang in einem Bereich zwischen 14 und 18 Milliarden Euro, die für Abhebungen an Schaltern und Geldautomaten benötigt wurden, sowie für „Fälle höherer Gewalt“. Weder die Einführung des jährlichen Negativzinses der EZB für überschüssige flüssige Mittel im Juni 2014 in Höhe von 0,1 Prozent, noch die Erhöhung dieses Negativzinses auf 0,2 Prozent drei Monate später, führte zu einer Erhöhung der Barmittel. Erst als der Negativzins der EZB im Jahr 2016 erst auf 0,3 Prozent und wenige Monate später auf 0,4 Prozent anstieg, begannen auch die Bargeld-Bestände in den Tresoren der deutschen Banken zu wachsen. Und als im September vergangenen Jahr die EZB den Negativzins nochmals erhöhte, und zwar auf 0,5 Prozent ... was geschah dann? Richtig! Die deutschen Banken begannen noch mehr Bargeld zu horten.
Reuters berichtete im Juni 2016 als erstes Medium darüber, dass deutsche Banken nach der Verdoppelung des Negativzinses von 0,2 Prozent auf 0,4 Prozent damit begannen, die Installation neuer Tresore zu erwägen. „Die Pläne der Commerzbank deuten darauf hin, dass die Finanzmärkte vor dem Zusammenbruch stehen,“ kommentierte der stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses beim Bundestag, Gerhard Schick (Grüne). Und weiter: „Es ist besser, dass die Bank Geld im Tresor hat, als dass sie es, sei es für schlechte Kredite, sei es für Strafzinsen der EZB, wegschmeißt.“ Nur einige Stunden später veröffentlichte die Financial Times, dass auch mehrere Sparkassen in Bayern die Möglichkeit der Bargeldaufbewahrung prüften und dass die Münchener Rückversicherung „bereits damit begonnen hat, zu experimentieren – zunächst mit der Aufbewahrung von Banknoten im Wert von zehn Millionen Euro – wie sich die Aufbewahrung von größeren Mengen Bargeld in der Praxis bewährt“.
Die Verkündigung der EZB, sie habe eine Prüfung der Stückelung von Euro-Bargeld durchgeführt und beschlossen, die Herstellung und Herausgabe von 500-Euro- Scheinen dauerhaft einzustellen (aufgrund von Hinweisen, die Scheine könnten eine Rolle bei illegalen Machenschaften spielen) fällt genau in die Phase, in der die Banken begonnen hatten, vermehrt Bargeld zu horten. Aber das ist natürlich reiner Zufall …
Sowohl das aktuelle Wachstum des Bargeldbestands als auch der sinkende Vorrat an 500-Euro-Scheinen (von Dezember 2015 bis September 2019 ging die sich im Umlauf befindliche Anzahl von 613 Millionen auf 464 Millionen zurück) erfordert zusätzliche Tresore, weshalb sich in den vergangenen Wochen mehrere deutsche Banken an den Edelmetallhändler „Pro Aurum“ wandten. Ihre Bitte: Pro Aurum möge doch einen Teil ihrer Kundengelder aufbewahren. Doch sie erhielten eine abschlägige Antwort: „Unsere Kapazitäten reichen dafür nicht aus.“
Wie diese „Folterbank“ (ja, so nenne ich die EZB) den europäischen Banken dabei helfen soll, den wachsenden Rückstand – sowohl hinsichtlich Profitabilität als auch Marktkapitalisierung – auf die amerikanischen Banken aufzuholen, hat bislang noch niemand erklärt. Es zeigt sich jedoch immer deutlicher, dass die Entschlossenheit der Banken stark wächst, die ihnen von der „Stimulationspolitik“ der EZB auferlegte Bürde in immer größerem Maße auf die Sparer umzuwälzen.
Über die Einführung des Negativzinses auch für die Ersparnisse von Sparern habe ich im vergangenen Jahr zweimal berichtet: Im September, als die drittgrößte Bank Dänemarks dazu den Mut fasste, und erneut im Oktober, als diese Idee auch in Deutschland immer ernsthafter diskutiert wurde.
Damals, im Oktober 2019, entschlossen sich „nur“ 24 Banken dazu, ihre Kunden mit Negativzinsen zu belasteten. Drei Monate später, im Januar 2019, waren es bereits 190 Banken, darunter die beiden größten, die Deutsche Bank und die Commerzbank. Wenn auch nur bei Kunden, die „sehr reich“ sind, und jedes Mal nur „aufgrund einer individuellen Absprache“.
Daher verwundert es nicht, dass in Deutschland jetzt auch Sparer – vermutlich vor allem die „sehr reichen“ – begonnen haben, ihre Ersparnisse vom Konto abzuheben. „Wir beobachten in den vergangenen Monaten eine steigende Nachfrage nach der Anmietung unserer Safes, oft zum Aufbewahren von Bargeld, daher haben wir begonnen, unsere Kapazitäten zu erweitern“, sagte der Geschäftsführer von Degussa Goldhandel kürzlich dem Newsportal Bloomberg.
Und wenn es so weitergeht, sollten wir uns langsam auf eine neue „Prüfung der Stückelung des Euro-Bargelds“ vorbereiten. Vielleicht wird die EZB dann feststellen, dass auch 200-Euro-Scheine „eine Rolle bei illegalen Machenschaften spielen könnten“, und – angeblich nur deshalb – sich dazu entschließen, die Herstellung und Ausgabe der Scheine dauerhaft einzustellen …