Politik

Nach dem Ölpreis-Schock: Bestimmt Saudi-Arabien die zukünftige Weltordnung?

Lesezeit: 4 min
22.03.2020 10:00
Der Ölpreis-Schock hat eines auf beeindruckende Weise gezeigt: Saudi-Arabien ist nach wie vor der mächtigste Akteur auf dem weltweiten Ölmarkt. Wem sich das Herrscherhaus von Saud jetzt zuwendet, könnte entscheidend dafür sein, wer in den nächsten Jahrzehnten die Welt dominiert.
Nach dem Ölpreis-Schock: Bestimmt Saudi-Arabien die zukünftige Weltordnung?
Eine Kabinetts-Sitzung in Riad. (Foto: Saudi Press Agency/dpa)

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US-Präsident Donald Trump hat seit seiner Amtsübernahme der amerikanischen Finanz-Elite Steuergeschenke gemacht, die Deregulierung vorangetrieben, Handelsbarrieren für ausländische Konkurrenten errichtet und nie einen Zweifel daran gelassen, dass sein politisches Leitmotiv auch „Make Wall Street great again“ heißen könnte.

Seit Mitte der zweiten Märzwoche dürften Amerikas Top-Banker allerdings ziemlich verärgert sein. Nachdem die OPEC-Konferenz in Wien geplatzt war, Saudi-Arabien sich offen gegen die USA gestellt und der Ölpreis einen historischen Absturz erlebt hatte, reagierte Trump nämlich, indem er die Mainstream-Medien für das Desaster verantwortlich machte und das Ereignis per Twitter mit den Worten „Gut für Konsumenten, Benzinpreise sinken!“ kommentierte.

Sowohl die völlig aus der Luft gegriffene Schuldzuweisung als auch die übertriebene Leichtigkeit, mit der er das Geschehen herunterzuspielen versuchte, standen in keinem Verhältnis zu dessen dramatischen Auswirkungen auf die US-Wirtschaft und die US-Finanzindustrie.

Der Preisschock bedeutete für beide nämlich einen der schwersten Schläge der jüngeren Geschichte: Er markierte nicht nur den Anfang vom Ende des seit elf Jahren andauernden Höhenflugs an den Finanzmärkten, sondern gab auch noch einen Vorgeschmack auf eine veränderte Weltordnung, in der den USA nicht mehr die Rolle der unumstrittenen Supermacht zufällt.

Was war geschehen?

Die Vertreter der dreizehn gegenwärtig in der OPEC zusammengeschlossenen Länder (Katar ist seit Anfang 2019 nicht mehr dabei) hatten sich in Wien getroffen, um angesichts der schwächelnden Weltwirtschaft und der rückläufigen Nachfrage nach Öl gemeinsam über eine Kürzung der Produktion und damit über eine Stabilisierung des Ölpreises zu verhandeln.

Zu dem Treffen wurden auch die Vertreter der zehn sogenannten OPEC-Plus-Länder eingeladen, zu denen als wichtigstes Mitglied Russland zählt. Da beide Organisationen die Ölförderung bereits seit drei Jahren gemeinsam gedrosselt und erst Anfang Dezember 2019 einvernehmlich eine Kürzung beschlossen hatten, war man optimistisch, auch diesmal eine Einigung erzielen zu können.

Das aber war ein Irrtum. Nachdem die OPEC-Mitglieder sich am 5. März darauf geeinigt hatten, die Produktion um 1,5 Millionen Barrel (1 Barrel = 159 Liter) pro Tag zu kürzen, wurde Russland hinzugezogen. Die Verhandlungen endeten in einem Fiasko – nicht nur, dass keine Einigung über eine Drosselung der Produktion erzielt wurde, im Abschlussprotokoll fehlte sogar eine Bestätigung der Verlängerung der bestehenden Förderbeschränkung.

Die Ölpreise brachen um sechs bis acht Prozent ein und gaben zu Beginn der folgenden Woche weiter nach. Am Mittwochmorgen platzte dann die sprichwörtliche Bombe: Saudi-Arabien kündigte an, seine Ölproduktion schnellstmöglich um eine Million Barrel pro Tag steigern und sich an keine weitere Begrenzung der Fördermenge mehr halten zu wollen. Der Ölpreis, der noch zu Jahresbeginn bei 65 US-Dollar pro Barrel gelegen hatte, fiel nun um über fünfzig Prozent auf knapp dreißig Dollar.

Kronprinz Mohammed Bin Salman spielte damit eine Trumpfkarte aus, die nur er in der Hand hält: Saudi-Arabien ist einer der wenigen Ölexporteure, die ihre Produktion bei Bedarf beträchtlich steigern können. Fast alle anderen Nationen fördern stets am Limit oder haben nur unbedeutende Spielräume nach oben.

Der wahre Sieger heißt China

Auch wenn der Ölpreissturz durch den Konflikt zwischen Russland und Saudi-Arabien ausgelöst wurde und für beide weitreichende Folgen hat, sind es doch zwei andere Länder, die dadurch am stärksten betroffen sind – die USA und China.

Die USA haben sich in den vergangenen Jahren vom jahrzehntelangen Ölimporteur zum Ölexporteur gewandelt. Im Zuge dieses Umbruches sind dreistellige Milliardenbeträge in die Fracking-Industrie geflossen, die in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Boom erlebt hat.

Das Problem der Fracking-Industrie aber sind noch immer die hohen Kosten, die das umweltschädliche Förderverfahren mit sich bringt. Zwar wurde der Preis durch technische Neuerungen und Rationalisierungen immer weiter gedrückt, aber bei einem Weltmarktpreis von unter 60 US-Dollar ist die Förderung bis heute unrentabel.

Da viele Investoren darauf gesetzt hatten, dass man die Förderkosten noch weiter reduzieren könnte und der Weltmarktpreis in der Region von 50 bis 60 Dollar bleiben oder möglicherweise wieder steigen würde, floss in den vergangenen Jahren immer mehr spekulatives Geld in die Industrie – in der Hoffnung, dass der Zeitpunkt der Gewinnerwirtschaftung bald erreicht sein würde.

Dieser Traum ist nun ausgeträumt. Die weltweite Rezession und der Einbruch des Ölpreises haben den gefürchteten „Margin Call“ ausgelöst: Die Kreditgeber verlangen von den Investoren, die mit geliehenem Geld in den Fracking-Markt eingestiegen sind, ihr Geld zurück und treiben sie dadurch reihenweise in die Insolvenz. Zudem löst die Entwicklung eine riesige Pleitewelle in den Bundestaaten Texas und Louisiana und damit eine Welle von Massenentlassungen aus, die Trumps Ruf als Arbeitsplatzbeschaffer nachhaltig schädigen.

Ganz anders sieht die Lage in China aus. Dort steht man vor einem Neustart der Industrieproduktion und wird dafür in den kommenden Monaten viel Öl benötigen. Die Freude in Beijing über einen Ölpreis unter 30 Dollar pro Barrel dürfte demzufolge groß sein. Noch mehr aber dürften sich die Chefs der Kommunistischen Partei Chinas darüber freuen, dass Saudi-Arabien seinem bisher wichtigsten Verbündeten, den USA, einen so empfindlichen Schlag versetzt und damit möglicherweise einen weiteren Ansatz für einen historischen Frontenwechsel gezeigt hat.

Wechselt Saudi-Arabien die Fronten?

Das Herrscherhaus von Saud hat sein Schicksal seit den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem dem Weißen Haus zu verdanken und galt bis vor kurzem neben Israel als der verlässlichste Verbündete der USA im Nahen Osten.

Doch zwei Entwicklungen trüben seit Längerem das Verhältnis der beiden Staaten. Zum einen steht das saudische Regime vor großen Problemen, da es sich zunehmendem Widerstand im eigenen Land gegenübersieht. Bisher hat es diesen durch immer neue Geldgeschenke an die Bevölkerung in Schach halten können, aber der überaus aufwändige Lebensstil der Herrscherfamilie und die schwache Marktentwicklung der erst vor kurzem an die Börse gegangenen Erdölfördergesellschaft Saudi-Aramco machen der Führung des Landes schwer zu schaffen.

Zum anderen hat sich Saudi-Arabien 2018 ganz offen China zugewandt, das im gleichen Jahr an der Shanghaier Börse Öl-Futures in Yuan eingeführt und sich damit zum ersten Mal ganz offen gegen den Petrodollar gestellt hat. Der Petrodollar aber ist seit Mitte der Siebziger Jahre die wichtigste Grundlage der finanziellen Übermacht der USA. Ihn herauszufordern, gilt in den Augen der Wall Street als Todsünde, wie das Schicksal von Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein, die sich von ihm abwenden wollten, eindrucksvoll belegt.

Dass Saudi-Arabien nun ohne Vorankündigung zu einem solch drastischen Schritt greift, bringt nicht nur das bisher enge Verhältnis zwischen dem Königreich und den USA ins Wanken, es könnte möglicherweise die Tür zu einem weltweiten geostrategischen Machtwechsel öffnen und die Ablösung der USA als Weltmacht Nr. 1 durch China einleiten.

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Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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