Weltwirtschaft

Erholung nächstes Jahr scheint ausgeschlossen: Wirtschafts-Indikatoren teilweise schlechter als 1929

Lesezeit: 9 min
13.04.2020 10:22  Aktualisiert: 13.04.2020 10:22
Die Produktion bricht ein, die Nachfrage geht zurück, und die Schulden sind höher als jemals zuvor: Corona bringt die Weltwirtschaft an den Abgrund. DWN-Kolumnist Michael Bernegger, Ökonom und Analyst, zeigt auf, warum die Lage in vielerlei Hinsicht an die Krise von 1929 erinnert.
Erholung nächstes Jahr scheint ausgeschlossen: Wirtschafts-Indikatoren teilweise schlechter als 1929
Leere herrscht auf einem Mitarbeiterparkplatz am VW-Stammwerk in Wolfsburg. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Corona-Pandemie schafft eine unglaubliche Dynamik: Eine rasend schnelle Talfahrt der Produktion – ausgelöst durch notwendige, aber oft zu spät erfolgte behördliche Anstrengungen zur Bekämpfung der Seuche – kombiniert mit gewaltigen Nachfrage-Einbrüchen. Eine historische Parallele gibt es für diese Ereignisse nicht. Dazu kommt noch eine weltweite Schuldenkrise ebenfalls präzedenzlosen Ausmaßes. Deutschlands Hauptindustrien sind von dieser ökonomischen Krise direkt betroffen.

Deutschland dürfte – wie alle anderen Länder und Wirtschaftsräume auch – am Beginn eines schweren Konjunktur-Einbruchs ungewisser Dauer stehen. Der IFO-Test für den März 2020 sowie die Markit-Einkaufsmanager-Indizes als Frühindikatoren für verschiedene Länder haben dafür erste Anzeichen geliefert.

Der Einbruch findet weltweit statt. Mit den beschlossenen Quarantäne-Maßnahmen, Ausgangssperren und Notstandsgesetzen verschiedensten Zuschnitts in Europa und praktisch in der ganzen Welt ist für das zweite Quartal eine weitere, unter Umständen steile Talfahrt vorprogrammiert. Es dürfte einen massiven Einbruch des Bruttoinlandsprodukts wie noch nie in der Nachkriegszeit geben. Zwei Faktoren sind für die Misere primär verantwortlich: Eine Angebotskrise und eine von der Geldpolitik geschaffene Schuldenkrise:

1. Angebotskrise

  • Die Coronavirus-Pandemie schafft eine gesamtwirtschaftliche Angebotskrise gewaltigen Ausmaßes. Es kommt zu einem riesigen Produktionsrückgang, zu Betriebs-Schließungen beziehungsweise Arbeits-Unterbrechungen, und zwar weltweit
  • Die Produktions-Rückgänge werden verzögert branchenspezifische, regionale und globale Einbrüche in den Lieferketten zur Folge haben, welche selbst nach Aufhebung der Quarantäne und anderer Notstands-Maßnahmen eine rasche Rückkehr zum Produktionsalltag verhindern dürften.
  • Die Pandemie ist präzedenzlos und heimtückisch, weil sie eine hohe Ansteckungsrate selbst durch Virusträger ohne Symptome und eine potentiell hohe Sterberate kombiniert. Da bis zu 15 Prozent der Covid-19-Patienten Spitalaufenthalte und bis zu fünf Prozent mehrtätige oder sogar mehrwöchige Behandlungen in Intensivstationen mit spezialisierten Apparaturen und Personal benötigen, dürfte die Sterbefallquote einfach mangels Behandlungskapazität ab einer gewissen Ausdehnung der Pandemie massiv ansteigen. Bereits jetzt, bei noch wenig erfassten Personen, bringt dies die Gesundheitssysteme in wichtigen Industrieländern an den Rand ihrer Kapazität.
  • Betroffen sind im Übrigen nicht nur alte Menschen. Auch Personen mit Vorerkrankungen wie hohem Blutdruck, Atemwegs-Schwächen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Übergewicht sowie Krebs sind potentielle Opfer. In fortgeschrittenen Industrieländern ist das eine Prädisposition, die bereits bei Personen im besten Erwerbsalter weit verbreitet und teilweise bei Jungen anzutreffen ist. Unter diesen Ländern stechen insbesondere die Vereinigten Staaten und Großbritannien sowie weitere angelsächsische Länder wie Kanada oder Australien mit hohen Anteilen dieser jüngeren Risikogruppen hervor. In Kontinentaleuropa ist Deutschland im oberen Segment dieser Risikofaktoren angesiedelt. Schließlich ist hinzuzufügen, dass die praktische Erfahrung in Europa und in den USA auch schwere Erkrankungen und selbst Todesfälle für junge gesunde Menschen ohne Vorerkrankungen zeigt – was aus China übrigens so nicht gemeldet worden ist.
  • Die Pandemie trifft über den direkten Angebotseffekt hinaus nachfrageseitig spezifische Wirtschaftszweige ganz besonders. Die Nachfrage bricht panikartig zusammen, dies nur teilweise behördlich auferlegt. Dort geht die Aktivität auf fast Null zurück. Es betrifft dies Aktivitäten mit hoher sozialer Interaktion im öffentlichen oder im öffentlich zugänglichen privaten Raum: Tourismus, Gaststätten, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Massentransport in Flugzeugen, Eisenbahnen, Autobussen, U-Bahnen oder Taxis sowie der Einzelhandel – außer der für die Lebensmittelversorgung – sind praktisch weltweit stillgelegt.
  • Finanzeffekt: Die Betriebs-Schließungen und Nachfrage-Einbrüche führen einen im Ausmaß präzedenzlosen Zusammenbruch des „cash-flow“ bei Unternehmen herbei. Die Unternehmen haben Fixkosten und zum Teil kurzfristig fixe variable Kosten wie Löhne. Aber sie haben keine oder nur geringe Einnahmen. Das reduziert ihre Liquidität. Und es reduziert ihr Eigenkapital. Sie haben in kurzer Zeit eine dünne Eigenkapital- und vor allem Liquiditätsdecke. Das „working-capital“, das heißt die Differenz zwischen Umlaufvermögen und kurzfristigen Schulden, schmilzt schnell dahin und kann rasch negativ werden.

2. Schuldenkrise

  • In einer längerfristigen Perspektive ist die Coronavirus-Pandemie auch der Auslöser einer viel größeren, tiefer reichenden Schuldenkrise. Die Pandemie spielt dabei allerdings eine Doppelrolle. Sie ist nicht nur Auslöser, sondern auch ein massiver Verstärker-Mechanismus.
  • Die Schuldenkrise ist ein Produkt der komplett missglückten Geldpolitik der vergangenen Dekade, dies auf nationaler, kontinentaler wie auf globaler Ebene. Die Geldpolitik hat mit ihren präzedenzlos niedrigen nominellen und realen Zinsen Investitionen in Realkapital verhindert beziehungsweise entmutigt, und stattdessen eine globale Blase in den Preisen für Vermögensgüter induziert. Unternehmen nahmen Kredite auf und finanzierten dadurch möglichst hohe Dividenden-Ausschüttungen und Aktienrückkäufe. Das hat die Bilanzen der Unternehmen verschlechtert. Darüber hinaus wurden Aktien von hoch verschuldeten Unternehmen ohne positiven „cash-flow“ als Anlage-Alternative zu den nicht mehr rentierenden Obligationen attraktiv. Für die Unternehmens-Leitungen zahlte sich dies insofern aus, als dadurch die Aktienkurse und über Aktien-Options-Programme die Boni des Spitzen-Personals maximiert wurden. Auf breiter Front haben institutionelle und private Investoren in Branchen und Unternehmen ohne positiven Cash-Flow und mit schiefen Bilanzen investiert, um höhere laufende Renditen ausweisen zu können. Kredite mit schlechtem Rating hatten so immense Zuflüsse, vor allem im spekulativen Junk-Bond Bereich und im untersten Bereich der anlagewürdigen Kategorie. Auch Branchen mit kreditfinanzierten Verkäufen haben enorm davon profitiert, darunter speziell die Autoindustrie und der Immobiliensektor, spezifischer der Immobilien-Handel. Die Autoindustrie hat global über niedrige Leasing-Raten und die starke Zunahme des Leasings bei Verkäufen den Absatz von teuren, sehr gut ausgestatteten Modellen wie SUVs, Crossovers und Pick-ups mit leistungsstarken Motoren finanzieren können. Dies alles, obwohl die Realeinkommen der Bevölkerung stagniert haben, teilweise sogar gesunken sind. Besonders davon profitiert haben die deutschen Premium-Hersteller. Sie haben einerseits im Wachstumsmarkt China eine sehr starke Position aufgebaut. Andrerseits haben sie erfolgreich die Premium-Palette ins Mittelklasse- und Kleinwagen-Segment ausgedehnt, während der umgekehrte Weg kaum einem Massenhersteller gelungen ist.

Die Folge dieser Niedrigzinspolitik ist ein strukturelles Überangebot in vielen Bereichen der Weltwirtschaft. Hier nur eine kurze Auswahl:

  • Der Energiesektor (Erdöl- und Erdgas) aufgrund der explosionsartigangestiegenen US-Fracking-Förderung.
  • Allgemein der Rohstoff-Sektor mit seinen langen Reifungszeiten der Investitionen aufgrund der bis 2014 während eines Jahrzehnts sehr hohen Preise.
  • Luftfahrt, Hochsee-Schifffahrt inklusive Kreuzfahrt-Schiffen, Autoindustrie aufgrund der viel zu niedrigen Energiekosten und Zinsen.
  • Der Groß- und Einzelhandel durch das Vordringen des Online-Handels. Letzterer ebenfalls durch niedrige Zinsen subventioniert.
  • Land- und Immobilienpreise sind überteuert und übersteigen die finanziellen Möglichkeiten normaler Käufer oder Mieter
  • Sekundär induzierte Infrastruktur- und Wohnungsbauten in Schwellenländern und Wachstumszentren der Globalisierung
Umgekehrt haben die Notenbanken mit ihrer Orientierung an Inflationszielen mit Inflations-Indikatoren, welche die Inflation krass unterzeichnen, eine massive Verarmung der breiten Bevölkerung hervorgerufen. Es ist kein Zufall, dass in den USA die Mittelklasse ausgedünnt ist. Und dass rund die Hälfte der Haushalte keine finanziellen Reserven hat und weitere 30 Prozent nur für einen kurzfristigen Horizont von 2 bis 3 Monaten. Ein ähnliches, wenn auch in verschiedenen Industrieländern weniger extremes Bild, zeigt sich global. Das ist das Ergebnis am Ende eines langen Booms. In den USA und einigen anderen, vor allem angelsächsischen Ländern, ist dieses Bild noch verbunden mit einer sehr hohen privaten Verschuldung der Haushalte. Vor allem über Hypotheken, Auto-, Ausbildungs- und Kreditkarten-Kredite. Mit einer Konzentration von Einkommen und Vermögen bei einem Prozent der Bevölkerung, welche man mit immer neuen Steuersenkungen und Schlupflöchern von der Steuerbasis ausgenommen hat.
  • Nicht nur die einfache Bevölkerung, auch die Geschäftsbanken haben in Europa unter einer katastrophal fehlgeleiteten Geldpolitik mit den viel zu niedrigen Zinsen gelitten. Sie haben durch die komprimierte Zinsmarge keine nachhaltige Erholung erlebt. Sie sind schon im Boom unfähig gewesen, die Realwirtschaft wirksam zu mit Krediten zu versorgen. Der zweite schwere Fehler war, dass die Banken nach der Großen Finanzkrise und der Eurokrise von 2011/12 nie adäquat rekapitalisiert wurden. Und dass stattdessen in weiten Teilen EuropasStress-Tests mit zu wenig harten Annahmen die viel zu dünne Kapitaldecke zudeckten. Beide Fehler kombiniert wirken sich jetzt in der Coronavirus-Krise fatal aus: Für die Banken werden sich aus verschiedenen Richtungen hohe Kreditverluste ergeben – aus Schwellenländer-Krediten, aus Krediten an kleine und mittlere Unternehmen sowie wie 2008 aus Engagements in illiquiden Aktiven. Diese werden Eigenmittel und die Kreditvergabefähigkeit des Bankensystems zusätzlich torpedieren.
Der aktuelle Konjunktureinbruch in historischer Perspektive

Um es pointiert auszudrücken: Typisch für den klassischen Konjunkturzyklus ist, dass die Unternehmen am Ende der Expansionsphase in einer beneidenswerten finanziellen Verfassung sind: Hohe Liquidität, hohe Profitabilität und sehr solide Bilanzen mit einem dicken Eigenkapital-Polster, mit stillen Reserven und einer geringen Verschuldung kennzeichnen dann die Unternehmen, die vor Kraft strotzen. Das erlaubt ihnen, den konjunkturellen Einbruch zu verkraften und typischerweise im Aufschwung relativ rasch wieder die langfristigen Investitionspläne aufzunehmen.

Genau das Gleiche gilt üblicherweise auch für die Geschäftsbanken. Sie haben üblicherweise am Ende des Aufschwungs starke Bilanzen, eine deutliche Ausweitung und verbesserte Margen im Kreditgeschäft sowie sehr gute Volumen im indifferenten Geschäft gehabt. Das gilt heute für die amerikanischen, aber nicht für die europäischen Banken. Letztere sind durch die viel zu niedrigen Zinsen in Europa mit einer Margenkontraktion und mit schwachen Finanzmärkten konfrontiert. Und sie sind unfähig, eine schwere Wirtschaftskrise zu meistern.

Im Gegenstück sind heute viele auch sehr renommierte Unternehmen aus einem breiten Spektrum von Geschäftsaktivitäten am Ende des längsten Aufschwungs der Geschichte finanziell ausgezehrt. Sie haben keine oder wenig operative Gewinne erzielt, sich durch zusätzliche Verschuldung zur Finanzierung von Aktienrückkäufen, überhöhten Firmenübernahmen und Dividendenzahlungen in einer massiven Blase finanziell überhoben. Es ist keineswegs nur ein amerikanisches, es ist ein teilweise globales Phänomen.

Hinzu kommt nun der Effekt der Coronavirus-Krise, die als zusätzlicher Verstärker wirkt: Die Produktionseinbrüche, Ausgangsbeschränkungen und temporäre Unternehmens-Schließungen reduzieren den „cash-flow“ während einer Periode von wenigen Wochen bis möglicherweise Monaten erheblich oder sogar massiv. Dadurch wird als erstes die Liquidität vieler Unternehmen drastisch eingeschränkt. Und zwar auch derjenigen, welche vorher solide gewirtschaftet haben. Vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen und der Selbständigen. Das ist nach wenigen Wochen der Coronavirus-Krise die Ausgangslage. Und dies vor dem Hintergrund des quantitativ größten und schärfsten Konjunktureinbruchs seit Ende 1929. Alles noch weltweit synchronisiert und praktisch in jedem Land mit ähnlicher Geschwindigkeit. Und überlagert von einer angeschlagenen (USA) beziehungsweise kaum vorhandenen Kreditschöpfungs-Kapazität (Eurozone) der Geschäftsbanken. Der große Unterschied zu damals: 1930 und in den Folgejahren konzentrierte sich der ganz große Einbruch auf zwei damals führende Länder, auf die USA und auf Deutschland. Heute sind alle Länder betroffen. Und die Integration über Produkt-, Dienstleistungs- und Finanzmärkte ist viel enger als damals.

Die Konsequenz dieser Ausgangslage ist dreierlei:

  • Weltweit wird es erstens einen massiven präzedenzlosen Rückgang der Unternehmens-Investitionen geben. Die Unternehmen jedweder Größenordnung werden alles daransetzen müssen, liquide zu bleiben. Außerdem wirkt jetzt verzögert der enorme Aufbau von Überkapazitäten aus der Blasenperiode, insbesondere in den besonders hohen Kapitaleinsatz erforderlichen Industrien wie Erdöl / Erdgas, andere Rohstoffe, Luft- und Seefahrt, Autoindustrie. Wie im Tourismus ist in diesen Sektoren auch noch der Nachfrageeinbruch durch die Corona-Krise konzentriert.
  • Zweitens einen nie gekannten Arbeitsplatz-Abbau innerhalb kürzester Frist. Das sind die beiden einfachsten Sofort-Maßnahmen für Unternehmen: Investitionen streichen und Beschäftigte abbauen. Hierzu zwei Zahlen: In den USA sind innerhalb von zwei Wochen die Erstanträge auf Arbeitslosenversicherung um kombiniert 10 Millionen gestiegen. Zehn Millionen neue Arbeitslose innerhalb von zwei Wochen!! Dies bei einer Beschäftigtenzahl von rund 150 Millionen. Das höchste je erreichte wöchentliche Niveau während der Krise von 1982 lag bei rund 680.000 Erstanträgen. Ende März 2020 gab es dagegen in zwei aufeinanderfolgenden Wochen 3,3 und 6,6 Millionen Erstanträge – das heißtfünf beziehungsweise zehnmal mehr als der bisherige Rekordwert. Zudem berichten Analysten, dass Erstanträge aufgrund der schieren Menge von den Arbeitsämtern gar nicht erfasst und damit für die Statistik weiterverarbeitet werden konnten. Sie dürften, zusammen mit zusätzlichen Stellenverlusten, in den nächsten Wochen in der Statistik erscheinen.
  • Und in Spanien hat die Arbeitslosigkeit innerhalb dreier Wochen um 900.000 Personen zugenommen (bei rund 20 Millionen Beschäftigten). Diese beiden Beispiele zeigen, was für einen Schlag die Arbeitsmärkte weltweit bekommen dürften. Vor allem in den Ländern mit geringem Kündigungsschutz, schlecht ausgebautem Arbeitsmarkt-Instrumentarium und vielen prekären Stellen, auch im informellen Sektor. In Schwellenländern dürfte der Arbeitsplatz-Abbau noch brutaler zuschlagen.
  • Eine dritte Konsequenz der schwachen und sich rasch verschlechternden Finanzlage der Unternehmen dürfte eine rasche Insolvenzwelle sein. Viele Unternehmen dürften wegen der Liquiditätskrise schließen müssen. Weil sie keinen Kredit kriegen und / oder weil ihr Geschäftsmodell dadurch obsolet ist. Typischerweise erfolgen Insolvenzen immer stark verzögert und die Spitze wird eigentlich erst im Anfang der Aufschwungsphase erreicht.
  • Was für den Unternehmenssektor gilt, trifft – bei sehr bedeutenden länderspezifischen Differenzen - auch auf die privaten Haushalte zu. Nach wenigen Wochen der Quarantäne sind viele zusätzliche Haushalte ohne finanzielle Reserven. Dazu zählen diejenigen, die arbeitslos geworden sind oder –bei verschiedenen Teilzeitstellen – einen Teil ihrer Arbeitstätigkeit verloren haben. Neben den Arbeitslosen sind es vor allem die Selbständigen, welche die größten Einkommensrückschläge hinnehmen müssen. Die in der Statistik als Selbständige bezeichnete Gruppe ist alles andere als homogen. Sie umfasst erfolgreiche Unternehmer mit Privatvermögen wie auch Scheinselbständige, welche in einem Arbeitsverhältnis ohne oder ohne genügende Sozialversicherungen mit einem oder sehr wenigen Arbeitgebern stehen. Die Unterschiede beziehen sich auch auf die physische Interaktion mit Klienten. Viele freiberufliche Tätigkeiten (wie etwa Physiotherapeuten, Bar- und Restaurantbetreiber) sind suspendiert oder auf Notfälle begrenzt (Mediziner). Andere können vom Heimbüro aus mit digitaler Technologie reibungslos fortgesetzt werden (Anwälte / Steuerberater / Vermögensverwalter). Es sind substantielle Gruppen, die sofort in einen finanziellen Engpass und in eine sehr ungewisse Zukunft geworfen werden.
  • Ein derart explosiver Anstieg der Arbeitslosigkeit ist unweigerlich mit einer stark reduzierten Konsumneigung verbunden. Angst vor zukünftigen Jobverlusten und die Haushalt-Verschuldung zwingen auch Haushalte mit guten laufenden Einkommen zum Vorsichts-Sparen. Denn das Risiko besteht auch für gute Einkommen, persönlich bankrott zu gehen, wenn Schulden vorhanden sind. Vor allem die Nachfrage nach Lifestyle-Produkten und-Dienstleistungen, Prestige- und Luxus-Konsumgütern wird sich schlagartig verringern, ebenso nach überteuerten Immobilien.
Für Deutschland dürfte dies bedeuten, dass seine Hauptindustrien insbesondere auch im Export - die Autoindustrie mit der der Fokussierung auf Premium-Fahrzeuge sowie der Maschinen- und Anlagenbau – weltweit massive Absatzeinbrüche erleiden dürften. Und es ist nicht einsichtig, dass dies rasch enden wird – im Gegenteil. Die Kreditkrise - die Verengung des Kreditangebots - die es praktisch weltweit gibt, wird auch verzögert in der zweiten Jahreshälfte voll auf diese Nachfragesegmente durchschlagen.

Die Aktionen der Wirtschaftspolitik sind extrem rasch und in präzedenzlosen Dimensionen erfolgt. Im Ansatz sind sie richtig und geeignet, eine sofortige Bankrottwelle und Liquiditätskrise in der Realwirtschaft zu vermeiden oder deutlich zu reduzieren. Auch haben sie einen Zusammenbruch der Kreditmärkte verhindert oder stark gemindert.Aber es sind keine Stimulus-Programme traditioneller Art. Sie sichern pünktliche Zahlungen und verhindern sofortige Liquiditätskrisen im Bankensektor, aber sie lösen keine oder nur wenig neue Nachfrage aus. Im Charakter sind es vielmehr Transferzahlungen, welche die Wirtschaft – Großunternehmen, Klein- und Mittelbetriebe, Selbständige und abhängig Beschäftigte, aber auch klassisch politisch stark vertretene Sektoren - für die negativen Effekte der Angebotskrise teilweise entschädigen und allenfalls große Firmenpleiten, vor allem in Schlüsselsektoren, verhindern. Sie dämpfen den Effekt der Angebotskrise, aber nur solange diese zeitlich limitiert und quantitativ begrenzt ist.

Nicht zu vergessen ist außerdem, dass solche Maßnahmenpakete keineswegs überall so großzügig dotiert sind wie in Deutschland. In vielen Ländern, vor allem Schwellenländern, wird es sogar nichts oder sehr wenig Entschädigung geben. Und selbst, wo solche gewährt wird: Meist erfolgt sie in Form von Krediten, welche die finanziellen Kennziffern der Unternehmen zusätzlich verschlechtern.

Der neu formierte Sachverständigenrat der Bundesregierung geht in seinem gerade veröffentlichten Frühjahrs-Gutachten von einem tiefen Einbruch aus – allerdings weniger tief als 2009 – und sieht eine V-förmige scharfe Erholung in der zweiten Jahreshälfte 2020 und im Folgejahr 2021. Davon kann bisher keine Rede sein. Da müssten weltweit, in Europa und in Deutschland, die Weichen ganz anders gestellt werden, als dies bis heute geplant ist. Selbst dann gilt: Man sollte den mittel- und langfristigen Effekt einer globalen Schuldenkrise nie unterschätzen.


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Erholung der deutschen Wirtschaft verzögert sich
29.03.2024

Europas größte Volkswirtschaft kommt nicht richtig in Fahrt. Die Aussichten für die nächsten Monate sind nach Experteneinschätzung...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Reiseziele: So manch Überraschung im Sommerflugplan
29.03.2024

Ab Ostern tritt an den deutschen Flughäfen der neue Sommerflugplan in Kraft. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben für Sie als Leser...

DWN
Politik
Politik Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung
29.03.2024

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische...

DWN
Technologie
Technologie Viele Studierende rechnen mit KI-Erleichterungen im Joballtag
29.03.2024

Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst, zum Beispiel weil KI Arbeitsplätze bedrohen könnte. In einer Umfrage stellte sich...

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...