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DWN Aktuell: Bundesregierung verbietet Hisbollah, Polizei durchsucht Moscheen

Bundesinnenminister Seehofer hat ein Betätigungsverbot für die Hisbollah ausgesprochen. Die Vereinigung muss ihre Aktivitäten in Deutschland nun einstellen. Polizisten durchsuchten Moscheen und Vereine, die der Bewegung zugerechnet werden.
30.04.2020 09:15
Aktualisiert: 30.04.2020 09:15
Lesezeit: 4 min
DWN Aktuell: Bundesregierung verbietet Hisbollah, Polizei durchsucht Moscheen
Einsatzkräfte stehen am Donnerstagmorgen vor der Moschee der Al-Mustafa-Gemeinschaft in Bremen. (Foto: dpa) Foto: Sina Schuldt

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat ein Betätigungsverbot für die Hisbollah verkündet. Das bedeutet, dass die schiitische Islamisten-Vereinigung ihre Aktivitäten in Deutschland jetzt einstellen muss. Die Verbotsverfügung richtet sich formal an Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah. Gegen das Verbot kann innerhalb eines Monats vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt werden - entweder aus dem Ausland oder durch jemanden in Deutschland, der sich selbst als Vertreter der Hisbollah zu erkennen gibt.

Um das Verbot durchzusetzen, durchsuchten Hunderte Polizisten am Donnerstag vier Moscheen und Vereine, die der Bewegung zugerechnet werden: die Al-Irschad-Moschee in Berlin, die Al-Mustafa-Gemeinschaft in Bremen, das Imam Mahdi Zentrum in Münster und die Vereinsräume der Gemeinschaft libanesischer Emigranten in Dortmund. In allen vier Städten sowie in Recklinghausen und in Niedersachsen wurden die Beamten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur auch in den Wohnungen führender Vereinsmitglieder und bei einem Steuerberater vorstellig. Über die Verbotsverfügung, die der dpa vorliegt, hatte zuerst «Bild» berichtet.

Insgesamt waren es mindestens 15 Durchsuchungsobjekte in vier Bundesländern. Die insgesamt 452 Beamten nahmen bei den Razzien zahlreiche Unterlagen und Computer mit. Scharfe Waffen wurden nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht gefunden.

Ganz überraschend dürfte die Razzia für die mutmaßlichen Hisbollah-Anhänger nicht gekommen sein: Der Bundestag hatte die Regierung bereits im vergangenen Dezember aufgefordert, ein Betätigungsverbot zu erlassen. Ein entsprechender Antrag wurde im Dezember mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP beschlossen. AfD, Linke und Grüne enthielten sich.

Die Hisbollah hat hierzulande offiziell keinen Ableger. Ihre Anhänger halten dennoch untereinander Kontakt. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden nutzt die vom Verfassungsschutz als «terroristische Vereinigung» eingestufte Gruppierung Deutschland vor allem als Rückzugsraum und zum Sammeln von Spenden.

Das Betätigungsverbot bedeutet aus Sicht des Ministeriums auch, dass Kennzeichen der Hisbollah nicht mehr gezeigt werden dürfen. Außerdem kann Vermögen eingezogen werden. Versammlungen von Hisbollah-Anhängern sind nunmehr verboten. Beim sogenannten Al-Kuds-Marsch, einer anti-israelischen Demonstration, die alljährlich in Berlin stattfindet, war das Zeigen von Hisbollah-Fahnen bereits in den vergangenen Jahren nicht erlaubt. Das Symbol der Gruppe ist ein grüner Schriftzug auf gelbem Grund mit einer Hand, die ein Sturmgewehr hält.

Mit Anschlägen in Deutschland oder Auswirkungen auf deutsche Interessen im Libanon als Folge der Verbotsverfügung rechnet die Bundesregierung nicht. Dass es keinerlei Protest geben wird, ist zwar nicht sicher. Allerdings gibt es auch im Libanon zur Zeit Schutzmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie.

Israel, Saudi-Arabien und die USA dringen seit Jahren darauf, dass Deutschland nicht nur den militärischen, sondern auch den politischen Arm der vom Iran unterstützten Bewegung wie eine Terrorgruppe behandelt. Die Hisbollah (arabisch für «Partei Gottes») erkennt das Existenzrecht Israels nicht an und ruft zum bewaffneten Kampf gegen den jüdischen Staat auf – auch mit terroristischen Mitteln. Im Libanon ist die Hisbollah an der Regierung beteiligt.

Die Sicherheitsbehörden rechnen in Deutschland bis zu 1050 Menschen dem «extremistischen Personenpotenzial» der Hisbollah zu. Die Angehörigen der Organisation und ihre Sympathisanten treffen sich in einzelnen Moscheen und Vereinen. Sie schotten sich nach Beobachtungen der Behörden dabei oft ab und verhalten sich konspirativ, um nicht aufzufallen. In der Verbotsverfügung heißt es: «Zum Teil bekunden die Anhänger der Organisation jedoch auch offen ihre Anhängerschaft auf Internetseiten und in sozialen Medien.» Die Ideologie der Hisbollah richtet sich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes gegen den Gedanken der Völkerverständigung.

Die 1982 im Libanon gegründete Bewegung wird für zahlreiche Anschläge gegen Israel verantwortlich gemacht. Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah zeigt sich, weil er ein Attentat des israelischen Geheimdienstes befürchtet, kaum noch öffentlich. In der Frühphase des Syrien-Krieges trug die Hisbollah-Miliz wesentlich dazu bei, eine Entmachtung von Präsident Baschar al-Assad zu verhindern.

In Deutschland war bislang wie in den meisten anderen EU-Staaten nur der militärische Arm der Hisbollah verboten, der politische Arm dagegen erlaubt. Die EU hatte den militärischen Teil 2013 auf die Terrorliste gesetzt. Großbritannien stufte die Organisation im März 2019 aber in ihrer Gesamtheit als terroristisch ein und folgte damit unter anderem den Niederlanden, den USA und Kanada. Israel dringt seit langem auf einen solchen Schritt auch in Deutschland.

Die pro-iranische Bewegung aus dem Libanon stelle das Existenzrecht Israels infrage und rufe offen zu dessen gewaltsamer Vernichtung auf, sagte Seehofer der «Bild»-Zeitung. «Ihre strafbaren Aktivitäten und Anschlagsplanungen finden auch auf deutschem Boden statt.» Er betonte: «Es gehört auch zu unserer historischen Verantwortung, dass wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln dagegen vorgehen. Das ist deutsche Staatsräson.»

Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser erklärte: «Deutschland war zuletzt nicht nur Rückzugsort», sondern auch «der Hauptstandort für die kriminellen Aktivitäten der Hisbollah in Europa». Israels Außenminister Israel Katz sprach von einem «wertvollen und wichtigen Schritt im weltweiten Kampf gegen Terrorismus».

Das Innenministerium hatte 2008 bereits ein Betätigungsverbot für den Fernsehsender der Hisbollah, Al-Manar TV, ausgesprochen. 2014 wurde ein der Hisbollah zugerechneter Spendensammelverein verboten, der in Deutschland unter dem Namen «Waisenkinder Libanon Projekt» firmierte.

Der Zentralrat der Juden hat das Betätigungsverbot für die schiitische Islamisten-Vereinigung Hisbollah in Deutschland als überfälligen Schritt bewertet. «Es wurde höchste Zeit, dass Deutschland anderen Staaten nachgefolgt ist und die Hisbollah verboten hat. Deutschland durfte und darf nicht länger einen Rückzugsraum für die Anhänger einer islamistischen Organisation bieten, die - getrieben von einem tiefen Hass auf Juden - Menschen zu Gewalt anstacheln und Terror finanzieren», sagte der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, am Donnerstag laut einer Mitteilung. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte das Betätigungsverbot ausgesprochen.

Deutschland, das in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, solle sich für ein Verbot durch die EU einsetzen, forderte Schuster. Er sagte, ein Verbot des Al-Kuds-Marsches wäre zudem der nächste notwendige und konsequente Schritt. Beim sogenannten Al-Kuds-Marsch, einer anti-israelischen Demonstration, die alljährlich in Berlin stattfindet, war das Zeigen von Hisbollah-Fahnen bereits in den vergangenen Jahren verboten gewesen.

Das American Jewish Committee (AJC) hat das Betätigungsverbot für die schiitische Islamisten-Vereinigung Hisbollah in Deutschland begrüßt. Dies sei «eine sehr wichtige, lang erwartete und bedeutsame Entscheidung», sagte der Vorsitzende der amerikanisch-jüdischen Organisation, David Harris, laut einer am Donnerstag in Berlin verbreiteten Erklärung. «Wir haben die Hoffnung, dass sich andere EU-Staaten die Entscheidung Deutschlands genau anschauen und zu dem gleichen Schluss gelangen werden», so Harris.

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