Deutschland

Über die Sehnsucht nach der guten alten Zeit vor dem Euro

Viele in Europa wünschen sich die Nationalstaatlichkeit und nationale Währungen zurück. Doch eine Rückkehr zur Nationalstaatlichkeit würde Deutschland und andere zur leichten Beute für die Hegemone aus Amerika, Russland und China machen. Europa ist dazu verdammt, zusammenzuhalten.
15.05.2020 16:56
Aktualisiert: 15.05.2020 16:56
Lesezeit: 4 min
Über die Sehnsucht nach der guten alten Zeit vor dem Euro
Deutschland muss den Euro behalten - meint Robert Halver. (Foto: dpa)

„Früher war alles besser!“ lautet ein bekanntes deutsches Sprichwort. Tatsächlich schauen viele von uns nostalgisch auf die 80er und 90er zurück. Was interessierte uns damals die „knubbelige“ europäische Verwandtschaft mit ihren Wirtschafts- und Finanzproblemen? Wir hatten doch unsere Industriekultur und unbestrittenen Stabilitäts-Helden, die Deutsche Mark und Bundesbank.

Ja, die Hoffnung, dass der deutsche Stabilitätsglaube zur eurozonalen Religion wird, hat sich nicht erfüllt. Mit vielen Atheisten aus dem Süden hat Frankreich schon immer versucht, den Nord-Staaten die Stabilitätsheiligenfiguren wegzunehmen. Mit Erfolg: Die Verweltlichung nahm stetig zu.

Jetzt in der Corona-Krise und zur sicher gerechtfertigten Verhinderung eines konjunktur- und sozialpolitischen GAUs säkularisieren sich die einst so heiligen Stabilitätsbekenntnisse weiter. Die Verschuldung der Eurozone insgesamt im Vergleich zu ihrer Wirtschaftsleistung wird in diesem Jahr auf über 100 Prozent steigen. Italien erreicht 160 Prozent. Und 2021 geht es munter weiter. Das sind Kriegsniveaus.

Insbesondere Italien bräuchte langjährige Wirtschaftswunder, um diese Schuldenstände jemals wieder zurückzuzahlen. Zwar singt Katja Ebstein in einem ihrer Schlager „Wunder gibt es immer wieder“. Nicht aber in Volkswirtschaften, deren Standorte ohne Reformdünger auskommen müssen.

Zweifeln Finanzmärkte jedoch an der Schuldentragfähigkeit, schießen normalerweise die Risikoaufschläge raketenhaft nach oben. Das wäre fatal. Früher oder später drohte Italien eine nicht mehr zu beherrschende Schuldenkrise, die weit über das Niveau der griechischen hinausgeht.

Der Griff in die Schulden-Trickkiste…

Um der Schulden-Falle zu entkommen, wird die bereits vorhandene Instabilität mit noch mehr Instabilität bekämpft. Ökonomen spielen bereits einen italienischen Schuldenschnitt durch, der von den Gläubigern u.a. durch Stundungen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag geschultert werden müsste. Na, die würden sich freuen wie bei einer Zahnwurzelbehandlung.

Auch die Vergemeinschaftung von Schulden hängt weiter wie ein Damoklesschwert über Deutschland. Hier wird massiver Druck aufgebaut. Bei Ablehnung wären wir keine guten solidarischen Europäer. Deutschland hat in Italien bereits deutlich an Ansehen verloren. Dabei hat Berlin gerade für Italien schon viel Schulden-Gnade vor Stabilitäts-Recht walten lassen. Die Hand, die gibt, ist die erst, die gebissen wird.

…oder Voodoo-Geldpolitik

Wenn man das alles nicht will, bleibt zur Schuldenlösung nur die EZB. Die gleichzeitige Schwemme von Staatsverschuldung und Anleihekäufen ist ja kein Zufall, sondern Absicht, um die Euro-Staaten über Wasser zu halten. Kürzlich hat Standard & Poor’s das Italien-Rating nur mit Verweis auf die zinsdrückende Liquiditätsflut im Investment-Grade-Bereich belassen. Mittlerweile wird sogar gefordert, die EZB möge bei Staatsanleihenerwerb auf Tilgung und Zinszahlungen verzichten. Wundert man sich da noch, dass jede Finanz- und Schuldendisziplin, jede Reformbewegung der Euro-Staaten, zur unbeweglichen Eisenbahnschwelle wird?

Übrigens sollte man nicht zu viel Hoffnung auf die stabilitätsheilende Kraft des Bundesverfassungsgerichts setzen. Denn es hat Anleihekäufe de jure nicht als Staatsfinanzierung eingestuft, was dieses Instrument de facto zumindest als pandemische Notmaßnahme erlaubt.

Überhaupt muss die Gefahr einer geldpolitisch betriebenen Inflationsbeschleunigung betrachtet werden, die wegen Schuldentragfähigkeit nicht mehr durch höhere Anleiherenditen ausgeglichen werden kann. Grämen wird sich darüber kein Politiker. Denn so werden, wie von Geisterhand, Schulden aufgefressen.

Auch die Schuldenlösung über die EZB hat mit Stabilität so wenig zu tun wie ein Mercedes mit einem verrosteten Fahrrad.

Zurück in die nationalstaatliche Zukunft?

Wer vor diesem Hintergrund noch von Europäischer Stabilitätsunion spricht, kann eigentlich nur Pinocchio heißen. Wir haben die Romanische Schuldenunion. Ist da nicht der Wunsch nach Wiedergeburt der deutschen Stabilitätskultur verständlich? Ist also die Abkehr von der Eurozone und die Rückkehr zu einer Bundesrepublik mit eigener Finanz- und Geldpolitik der letzte Notausgang?

Der Rückbau der Eurozone wäre eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit. Deutschland würde dramatisch auf-, die anderen Länder radikal abwerten. Der Export in die Nachbarländer käme wegen ihrer einbrechenden Kaufkraft und Wirtschaftsdepressionen zum Erliegen. Die mangelnden Abwertungsmöglichkeiten in der Eurozone haben Deutschland noch exportstärker als ohnehin schon gemacht. Das verschaffte uns Wohlstandsgewinne. Bei Auflösung des Währungsverbunds würden Anleihen aus Euro-Süd übrigens aus Bonitätsgründen so stark abwerten, dass sie deutsche Banken und Kapitalsammelstellen in den Ruin trieben. Und dann müsste eine neue Bundesbank stützend eingreifen wie jetzt die EZB für Italien & Co.

Selbst wenn Deutschland bereit wäre, diesen extrem hohen Preis zu zahlen, stellt sich dennoch die Frage, wie ein Europa anschließend aussähe. Das frühere Europa der Nationalstaaten vor Einführung des Euros bis 1999 entwickelte sich doch nur so prächtig, weil der amerikanische Hütehund den europäischen Hühnerhof vor den Füchsen draußen beschützte. Und hatten die europäischen Staaten Streit untereinander - z.B. deutsche Wiedervereinigung oder Jugoslawien-Krieg - schlug der jeweilige US-Präsident auf den Tisch und sorgte wieder für Ruhe im europäischen Karton. Das hat Amerika sicher nicht aus Liebe zu uns, sondern aus Eigennutz getan. Europa sollte eine starke Frontregion zum Warschauer Pakt sein.

Nicht zuletzt konnte Deutschland unter dieser Vollkaskoversicherung unbekümmert zum einzigartigen Beherrscher der Industriewelt werden und Wohlstand für alle schaffen. China war noch keine Konkurrenz.

Nostalgie muss man sich leisten können

Doch hat sich seit Ende der 90er Jahre die weltpolitische und -wirtschaftliche Lage radikal verändert. Für die USA ist die Pazifikregion das neue Nonplusultra, auch weil da der neue Erzfeind sitzt. Das transatlantische Bündnis wird dagegen mehr und mehr zum Lippenbekenntnis. Mittlerweile ist der US-Präsident selbst zum reißenden Fuchs in Europa geworden. Wie soll denn da eine kleine Bundesrepublik allein gegen Amerika anstinken, den steigenden Druck aus Russland parieren und auch noch die wiederaufflammenden europäischen Urkonflikte aushalten? Und unsere Wirtschaftskraft? Industriell hat China uns teilweise ein-, technologisch vielfach sogar überholt. Als neuer Single in Europa wären wir nicht mehr einzig, sondern müssten artig immer mehr das hohe Lied Pekings singen, das den handelspolitischen Taktstock schwingt und mit 20 Mal mehr Menschen ohnehin viel mehr auf die geostrategische Waage bringt.

Deutschland als völlig unabhängiger Nationalstaat wäre heute leichte Beute für die Hegemone aus Amerika, Russland und dem Land des Lächelns. Uns in Deutschland verginge das Lachen. Die gute alte Zeit vor dem Euro kommt nicht mehr zurück.

Auch wenn es Europa verdammt schwerfällt: Es ist dazu verdammt, zusammenzuhalten. Hierbei darf man es und seine Fehlentwicklungen selbstverständlich heftig kritisieren. Das tue auch ich weiter regelmäßig.

Wer weiß, vielleicht ist jetzt die Zeit, die wir uns in 10 Jahren als gute alte Zeit zurückwünschen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

avtor1
Robert Halver

                                                                            ***

Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse-Abteilung der Baader Bank. Er ist einer der bekanntesten Finanzanalysten im DACH-Raum.

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs rutscht zeitweise unter 90.000 US-Dollar: Kryptomarkt in extremer Angst
18.11.2025

Der Bitcoin-Kurs ist am Dienstag zeitweise tief gefallen und hat weltweit Unruhe unter Anlegern ausgelöst. Der Fear-and-Greed-Index warnt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Flixtrain bereit zum harten Wettbewerb um Bahn-Kunden
18.11.2025

Im Fernverkehr auf deutschen Schienen herrscht bislang wenig Wettbewerb. Das könnte sich in den kommenden Jahren ändern. Ein kleiner...

DWN
Technologie
Technologie Fliegende Autos: XPeng eröffnet erste Produktionsstätte für Flugfahrzeuge in China
18.11.2025

China eröffnet erstmals industrielle Strukturen für Fahrzeuge, die sowohl am Boden als auch in der Luft nutzbar sein sollen. Wird damit...

DWN
Technologie
Technologie Cloudflare down: Internetdienste X und ChatGPT massiv von Cloudflare-Störung betroffen
18.11.2025

Die Cloudflare-Dienste sind seit Dienstagmittag weltweit massiv gestört, betroffen sind darunter große Plattformen wie X und ChatGPT. Das...

DWN
Finanzen
Finanzen Nokia-Aktie und Nvidia-Aktie im Fokus: Wie die Partnerschaft 5G-Wachstum antreibt
18.11.2025

Die einst vor allem für Handys bekannte Nokia hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt und rückt nun wieder in den Fokus von...

DWN
Finanzen
Finanzen Vestas-Aktie im Minus: So sollen 900 gezielte Entlassungen die Ertragsziele stützen
18.11.2025

Die Vestas-Aktie steht derzeit unter Druck. Dass das Unternehmen weltweit 900 Bürostellen abbaut, scheint den Anlegern auch Sorgen zu...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Erfolg im Job: Warum Diplome nicht mehr über Karrierechancen entscheiden
18.11.2025

Die Anforderungen an Fachkräfte haben sich deutlich verändert, und Arbeitgeber legen zunehmend Wert auf Fähigkeiten, Persönlichkeit und...

DWN
Technologie
Technologie Digitale Souveränität in Europa: Beckedahl kritisiert Bundesregierung
18.11.2025

Deutschland feiert neue Google- und Microsoft-Rechenzentren, während die digitale Abhängigkeit von US-Konzernen wächst. Der...