Unbeachtet von der europäischen Öffentlichkeit, gibt es seit mehreren Monaten ernsthafte Spannungen zwischen Indien und China in Ost-Ladakh und an der insgesamt 3.488 Kilometer langen „Line of Actual Control“ (LAC) zwischen beiden Ländern. In der ersten Maiwoche versuchten chinesische Truppen, tiefer in die Region Galwan Nala einzurücken. Doch die indische Armee reagierte unverzüglich und mobilisierte Truppen an der LAC, so Times Now News.
„Als die chinesische Armee in der ersten Maiwoche begann, ihre Truppen entlang der Linie der LAC in der Region Galwan Nala aufzustellen, wollten sie tiefere Einfälle in das indische Territorium bis zu ihren Anspruchslinien durchführen. Doch aufgrund der schnellen Verstärkung der indischen Truppen wurde das verhindert“, sagten indische Militärquellen gegenüber der "Asian News International" (ANI).
China weist die Vorwürfe zurück. In der offiziellen Erklärung des chinesischen Außenministeriums vom 19. Mai 2020 heißt es: „Die indische Armee hat die Grenze zwischen dem westlichen Teil der chinesisch-indischen Grenze und dem Sikkim-Abschnitt überschritten, um in chinesisches Gebiet einzudringen.“
China hat bereits etwa 5.000 Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge auf seiner Seite der umstrittenen Grenze in der Region Ladakh platziert. Indien verfügt über eine ähnlich hohe Anzahl von Truppen sowie Artilleriegeschützen entlang der Grenze, so Bloomberg. Die Pattsituation begann am 5. Mai 2020, als Truppen an den Ufern des Pangong Tso - eines Gletschersees auf 14.000 Fuß Höhe auf dem tibetischen Plateau - zusammenstießen und zahlreiche Soldaten auf beiden Seiten verletzt wurden. Seitdem hat sich ein stetiger Truppenaufbau ergeben.
Die beiden benachbarten Nuklearmächte mit den größten Bevölkerungen der Welt hatten um die gemeinsame Grenze im Himalaya 1962 einen kurzen Krieg geführt, den China gewonnen hatte. Seither gibt es immer wieder Zwischenfälle. Der Grenzverlauf ist nach wie vor nicht geklärt.
In dem Abkommen von 1993 über die Wahrung von Frieden und Ruhe entlang der Linie der LAC heißt es : „Bei Bedarf prüfen und bestimmen die beiden Seiten gemeinsam die Segmente des LAC, in denen sie unterschiedliche Ansichten hinsichtlich ihrer Ausrichtung haben.“
Weiterhin heißt es: „Jede Seite wird ihre Streitkräfte in den Gebieten entlang der LAC auf einem Mindestniveau halten, das mit den freundschaftlichen und gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern vereinbar ist. Der Abbau der Streitkräfte erfolgt schrittweise an einvernehmlich festgelegten geografischen Orten.“ Doch das Gegenteil ist aktuell der Fall. China und Indien mobilisieren Truppen und schwere Geräte entlang der LAC.
In einem Beitrag der Zeitung The Print schreibt der indische Generalleutnant Prakash Menon: "Die Rolle der indischen Streitkräfte beschränkt sich darauf, die Ausweitung der territorialen Kontrolle Chinas in den Konfrontationsgebieten einzudämmen. Diese Rolle ist relativ einfach zu übernehmen, da China nicht beabsichtigt, zu expandieren. Aber es wird behalten wollen, was es bereits eingenommen hat, und die Zeit nutzen, um militärische Befestigungen und Straßen in den umstrittenen Territorien zu bauen (…) Der Test für die Modi-Regierung lautet: Welche Maßnahmen muss sie ergreifen, um Indiens Verhandlungsmacht gegenüber China zu stärken? Diese können sowohl nuanciert als auch explizit sein und reichen von einer militärischen Begegnung geringer Intensität, bis hin zu einer Änderung der Haltung in unseren Beziehungen zu anderen Mächten, zu denen unter anderem Tibet, Taiwan und die USA gehören könnten."