Politik

Die Türkei ist die dominante Macht in Libyen

Tarek Megerisi, Analyst am European Council on Foreign Relations, sagt, dass die Türkei von nun an die dominante Macht in Libyen ist. Die Ambitionen Russlands betrachtet er mit Sorge. Er fordert Europa auf, sich als Vermittler einzubringen.
29.05.2020 19:25
Aktualisiert: 29.05.2020 19:25
Lesezeit: 3 min
Die Türkei ist die dominante Macht in Libyen
Der türkische Präsident Erdogan und sein russischer Amtskollege Putin. (Foto: dpa) Foto: Tolga Bozoglu

Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations (ECFR) sagt in einem Interview mit dem türkischsprachigen Dienst der Deutschen Welle (DW), dass sich die Türkei im Stellvertreter-Krieg Libyens als dominante Macht durchgesetzt habe. Eine entscheidene Rolle haben dabei türkische Drohnen gespielt. Die libysche Regierung werde von der Türkei unterstützt.

Russland und die Türkei werden offenbar nach dem Vorbild des „Astana-Abkommens in Syrien“ Verhandlungen führen. „Doch diesmal wird nicht Russland, sondern die Türkei der führende Akteur sein. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten können es aus ideologischen und geopolitischen Gründen nicht akzeptieren, dass die Türkei die dominante Macht ist. Sie akzeptieren den türkischen Einfluss über Tripolis nicht. Die Türkei wird und kann aber keinen Schritt zurückweichen. Denn sie hat gegen die Manöver Griechenlands, Ägyptens und Zyperns im östlichen Mittelmeer das Projekt ,Blaue Heimat‘ ins Leben gerufen, um ihre Interessen durchzusetzen. Libyen nimmt hier eine Schlüsselrolle ein“, so Megerisi.

Auf Nachfrage der DW, welche Auswirkungen die Lieferungen von russischen Kampfjets an den Söldner-General Chalifa Haftar auf den Libyen-Konflikt haben könnten, sagt der ECFR-Analyst, dass Haftar den Vorstoß der libyschen Truppen in den von ihm kontrollierten Gebieten ausbremsen könnte. Die VAE fahren mit ihren Waffenlieferungen fort, um die Ölquellen zu schützen. „Doch Haftar hat im Moment andere Probleme. Wir sehen, dass es erstmals seit Beginn des Konflikts Spaltungen in seinem Lager gibt. Die sogenannte libysche Nationalarmee Haftars ist eigentlich keine Armee. Sie besteht aus verschiedenen Gruppierungen. Da die Eroberung von Tripolis aussichtslos ist, muss sich Haftar sehr darum bemühen, diese Gruppierungen zusammenzuhalten. Denn bereits jetzt gibt es Spannungen zwischen ihnen“, sagt Megerisi.

Das United States Africa Command (AFRICOM) hatte kürzlich davor gewarnt, dass Russland Kampfflugzeuge nach Libyen entsendet.

Der Analyst wörtlich: „Der wichtigste Teil dieser Mitteilung war die Tatsache, dass US-General Townsend auf die Verlagerung von russischen Luftabwehrsystemen hingewiesen hat. Wenn Russland ein A2AD-System (Anti Access Area Denial) auf dem Luftwaffenstützpunkt Cufra installieren sollte, das die gesamte Region für die Truppen anderer Länder sperren würde, würde dies eine große strategische Bedrohung für die Nato darstellen.“

Im Zusammenhang mit der Berliner Libyen-Konferenz, die am 19. Januar 2020 stattfand, sagt Megerisi: „Die Türkei hatte sich durch ihre Ankündigung, in Libyen zu intervenieren, eine Kompromissbereitschaft von den VAE und Ägypten erhofft. Als Haftar dem deutschen Außenminister klar gemacht hat, dass er die Beschlüsse der Berliner Konferenz nicht akzeptieren wird, wurde die Türkei sehr stutzig. Nachdem die VAE nur 24 Stunden nachdem sie versprochen hatten, keine Waffen an Haftar zu liefern, genau das Gegenteil taten, hatte die Türkei den Glauben an eine diplomatische Lösung weitgehend verloren. Nun möchte die Türkei erneut den Weg der Diplomatie einschlagen. Die Verhandlungsposition der Türkei ist nun stärker.“

Zur Rolle der EU im Libyen-Konflikt sagt der Analyst: „Europa muss zwischen den Ländern, die in den Konflikt involviert sind, als Vermittler agieren. Russland versucht aktuell, die Türkei, Ägypten und die VAE auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Doch das sollte eigentlich Europa machen. Die Europäer verfügen schließlich über die Beschlüsse der Berliner Libyen-Konferenz. Die Türkei ist offen für einen Kompromiss und die VAE und Ägypten haben Angst, alles zu verlieren. Dieses Momentum sollte durch Europa genutzt werden, um alle Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen.“

Mehr zum Thema:

Überfälle auf türkische Schiffe geplant: UN enttarnen Söldner im Libyen-Konflikt

Libyen: Russische Söldner ziehen sich zurück

Wegen Libyen: Geheimtreffen zwischen USA, Russland und der Türkei auf Malta

Türkei führt Wende im Libyen-Konflikt herbei

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Rentenstreit spitzt sich zu: Spahn pocht auf Handlungsfähigkeit der Koalition
24.11.2025

Der Konflikt über die Rentenreform ist weiterhin ungelöst. Unionsfraktionschef Jens Spahn mahnt die Regierung zur Geschlossenheit – und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Klimagipfel im Stillstand: Welche Beschlüsse Belém wirklich brachte
24.11.2025

Bei der Klimaanpassung und dem Schutz des Regenwaldes wurden zwar frische Finanzzusagen gemacht – doch bei den eigentlichen...

DWN
Finanzen
Finanzen Frankreichs Schulden bedrohen Europa: Kommt jetzt die Eurokrise zurück?
23.11.2025

Steigende Zinsen, explodierende Schulden, nervöse Märkte: Europa erlebt ein gefährliches Déjà-vu. Immer mehr Experten warnen vor einer...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft 645 Millionen Euro Verlust: Cannabis-Betrug und Geldwäsche-Netzwerk erschüttern Europa
23.11.2025

Europa ist von einem der größten Cannabis-Investmentbetrugsfälle der letzten Jahre erschüttert worden, der Anleger in mehreren Ländern...

DWN
Finanzen
Finanzen Ukraine-Friedensplan: Welche Aktien vom Ende des Ukraine-Krieges profitieren könnten – und welche nicht
23.11.2025

Frieden bedeutet nicht nur geopolitische Stabilität, es zieht auch ein gigantisches Investitionsprogramm nach sich. Wer auf die richtigen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kritische Rohstoffe: Ein Fund in Grönland sorgt für Streit
23.11.2025

In einer abgelegenen Mine in Westgrönland wurden gleich mehrere kritische Rohstoffe entdeckt, die für Mikrochipproduktion, Rüstung und...

DWN
Finanzen
Finanzen Europa-Aktien im Aufschwung: Welche Chancen Anleger jetzt nutzen können
23.11.2025

Die Kapitalmärkte befinden sich im Umbruch, Investoren suchen verstärkt nach stabilen Alternativen. Europa gewinnt dabei durch Reformen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autoindustrie in der Krise: Warum die Lage dramatisch ist
23.11.2025

Europas Autohersteller stecken in existenziellen Nöten und Beobachter sprechen schon von einem drohenden Niedergang. Neben den Problemen...