Wirtschaft

Amerikas Öl-Industrie steht vor Pleitewelle: Jetzt schauen alle verzweifelt auf Trump und die Fed

Viele Fracking-Unternehmen schreiben hohe Verluste, der Branche droht ein Massensterben. Ein Trumpf aber bleibt: Die Regierung von Präsident Trump wird alles unternehmen, um die strategisch wichtige Branche zu retten.
29.06.2020 09:00
Lesezeit: 4 min
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Amerikas Öl-Industrie steht vor Pleitewelle: Jetzt schauen alle verzweifelt auf Trump und die Fed
US-Präsident Donald Trump mit Ölarbeitern nach Unterzeichnung einer Verfügung für Energie-Infrastrukturprojekte. Trump will den Genehmigungsprozess für Energie-Projekte beschleunigen. (Foto: dpa)

In der US-amerikanischen Ölindustrie bahnt sich eine ernste Insolvenzwelle an. Wie das Analyseunternehmen Deloitte berichtet, müssen Produzenten aus dem Fracking-Sektor alleine im zweiten Quartal des laufenden Jahres etwa 300 Milliarden Dollar aus ihren Bilanzen abschreiben. Dies entspreche etwa der Hälfte des Gesamtwertes an Sachanlagen (Grundstücke, Maschinen, Fabriken etc.), über die die Branche verfüge.

Der Verschuldungsgrad der Fracking- Unternehmen werde sich gemessen an ihren Bilanz-Aktiva dadurch im zweiten Quartal massiv von 40 Prozent auf etwa 54 Prozent erhöhen und eine Insolvenzwelle auslösen, schreiben die Analysten. „Durch den Einfluss der Corona-Pandemie wird der ohnehin bestehende Druck auf die Fracking-Firmen verstärkt und eine Welle an Zahlungsschwierigkeiten dürfte in den nächsten sechs bis zwölf Monaten zur schwersten Konsolidierung führen, welche die Branche je erlebt hat“, zitiert die Financial Times den Vizepräsidenten des für die amerikanische Öl- und Gaswirtschaft zuständigen Bereichs von Deloitte. Zuletzt hatte mit Chesapeake Energy eines der größten Unternehmen der Branche wegen hoher Schulden am Montag einen Antrag auf Gläubigerschutz gestellt. Während des Verfahrens soll der Betrieb fortgesetzt werden, teilt das Unternehmen mit. Mit Hilfe eines Restrukturierungsplans will Cheasapeake Schulden in Höhe von sieben Milliarden Dollar abbauen.

Im Gegensatz zur traditionellen Ölförderung – bei welcher vertikal gebohrt und auf diese Weise tief liegende Rohölreservoirs angezapft werden – bohren Fracking-Unternehmen ab einer gewissen Tiefe horizontal und leiten dann große Mengen Wasser und Chemikalien in die dort befindlichen Gesteinsschichten, um in der Erde gebundenes Öl und Gas mit großem Druck aus dem Gestein zu „sprengen“ und abzusaugen.

Insolvenzen mehren sich

Die Fracking-Ölunternehmen spielen für Amerikas Ölbranche – und für die energiepolitische Strategie der Regierung in Washington – eine herausragende Rolle. Sie steuern etwa 60 Prozent der gesamten jährlichen Produktionsmenge des Landes bei. Ihr nach 2008 beginnender Aufstieg hatte dazu geführt, dass das tägliche Produktionsvolumen der USA von etwa 5 Millionen Barrel (Faß zu 159 Litern) auf etwa 12 Millionen Barrel im Jahr 2019 ansteigen konnte. Dieser Anstieg – im Zuge dessen sich das Land von einem Netto-Importeur von Erdöl zu einem Netto-Exporteur wandeln konnte – geht alleine auf die Aktivität der Fracking-Produzenten zurück, wie die nachfolgende Grafik zeigt. Die täglichen Förderkapazitäten der konventionellen Ölförderung nämlich erreichten bereits im Jahr 1970 mit rund 10 Millionen Barrel ihren Höhepunkt und fielen dann bis 2008 auf rund 5 Millionen Barrel ab.

Zwei Faktoren sind es, welche diese strategisch wichtige Branche nun hauptsächlich bedrohen:

Zum einen fußte der Aufstieg der Fracking-Produzenten seit 2008 auf einer sehr großzügigen und preiswerten Finanzierung durch die Banken und Großinvestoren des Landes. „Der Fracking-Boom wurde größtenteils durch Schulden finanziert“, zitiert die FT einen Insolvenzexperten. Die von Beginn an hohen Schuldenstände machten die Branche zu einem Sklaven der Preisentwicklung an den Terminmärkten – je tiefer die Notierungen sanken und je geringer dadurch Einnahmen und Gewinne ausfielen, umso wackeliger wurde die finanzielle Struktur der Fracking-Unternehmen und desto größer wurde ihr Bedarf an Neuschulden.

Zum zweiten haben sich nun die Spielregeln im Zuge des jüngsten Einbruchs der Rohölpreise grundlegend geändert: Die Erwartung eines wirtschaftlichen Abschwungs und zuletzt der Corona-Schock hätten zu einem Umdenken an der Wallstreet geführt, man sei dort nicht länger gewillt, eine neue Umschuldungsrunde zu ermöglichen oder mit viel Geld einen neuen Aufschwung zu finanzieren. „Schon vor dem Einbruch der Ölpreise gab es Anzeichen dafür, dass die Kapitalmärkte austrocknen würden. Nun ist dieses Fenster komplett geschlossen worden“, sagt der Experte.

Folgerichtig äußert sich die Krise der Branche seit einiger Zeit verstärkt in Insolvenzen und Pleiten. Bis Ende Mai hatten bereits 18 Explorations- und Förderbetriebe im laufenden Jahr den Bankrott erklärt – darunter auch frühere Branchenstars wie der Fracking-Pionier Chesapeake Energy, EQT und Extraction Oil & Gas. Deloitte schätzt, dass bei einem durchschnittlichen Ölpreis von 35 Dollar pro Barrel etwa ein Drittel aller Frackingfirmen faktisch pleite sind, weil sie längerfristige Verbindlichkeiten nicht mehr aus dem freien Cashflow bedienen können. Zwar liegt der Preis für ein Barrel WTI-Rohöl derzeit immerhin bei rund 40 Dollar, doch der Durchschnittspreis im zweiten Quartal beläuft sich bislang auf unter 27 Dollar.

Verschärft wird die wirtschaftliche Lage durch die für die Branche typische schnelle Erschöpfung der Bohrlöcher, welche eine zügige Bereitstellung neuer Löcher erfordert, um weiterhin ein gewisses Förderniveau zu halten. „Sie befinden sich da auf einer Kapital-Tretmühle, nur um ihr Produktionsniveau zu halten – und diese Tretmühle bewegt sich sehr schnell“, heißt es von Deloitte. Wie der Branchendienst oilprice.com berichtet, sackte die Anzahl aktiver Bohrlöcher denn auch in den vergangenen Wochen rapide ab: Waren Mitte März noch 539 Förderpunkte landesweit in Betrieb, so sollen es derzeit nur noch 165 sein. Da sich die Wirtschaft in der Rezession befindet, dürften zugleich nur wenig neue Bohrlöcher enstehen. Der Oilprice-Analyst schätzt deshalb, dass das Fördervolumen von Fracking-Öl im kommenden Jahr etwa 50 Prozent unter dem Niveau von 2020 liegen werde.

Die Politik der Energie-Dominanz bröckelt – aber die Fed wird intervenieren

Die Signifikanz der derzeit zu beobachtenden, negativen, Entwicklung besteht nun darin, dass den Fracking-Unternehmen eine hohe strategische Bedeutung für die energiepolitische Gesamtstrategie des Landes zukommt. Ziel dieser Politik der „Energie-Dominanz“ ist es, die USA vollkommen unabhängig von anderen Staaten zu machen, was die Versorgung der Volkswirtschaft mit den lebenswichtigen Triebmitteln Öl und Gas betrifft. Diese Strategie verfügt neben der wirtschaftlichen Dimension der Autarkie und Angebotssicherung darüber hinaus auch über eine politische Dimension: Bestehende Abhängigkeiten der extrem energiehungrigen US-Wirtschaft vom Ausland sollen abgebaut und durch den Export von Rohöl und Gas neue Einkommensquellen generiert werden.

Die Krise des Sektors ist deshalb auch eine Krise für die angestrebte Energie-Autonomie der USA. Für die US-Regierung unter Präsident Donald Trump kann die Losung deshalb nur darin bestehe, entweder einen Zusammenbruch einer großen Anzahl von Produzenten von vorneherein zu verhindern, oder aber den Betrieb nach einer Insolvenzanmeldung unter staatlicher Kontrolle weiterzuführen, bis ein erneuter Aufschwung der Weltwirtschaft für ein vorteilhaftes Geschäftsklima sorgt.

Auf die Hilfe der großen Ölmultis kann Washington dabei nicht wirklich zählen. Deloitte zufolge sind nur rund 27 Prozent der Fracking-Unternehmen attraktiv genug, um durch einen Großkonzern des Landes übernommen zu werden und nur wenige multinationale Konzerne wie Chevron oder ExxonMobil hätten gegenwärtig noch genug Reserven, um bei den kleinen Konkurrenten einzusteigen.

Dass es in den nächsten Wochen zu weiteren Pleiten und Bohrlochschließungen kommen wird, gilt beinahe als sicher. Ein großer Trumpf bleibt aber: Ebenso sicher ist auch, dass die US-Regierung einen Totalkollaps der Branche aufgrund ihrer strategischen Bedeutung nicht zulassen wird. Hier wird wahrscheinlich die Zentralbank Federal Reserve ins Spiel kommen. Sie verfügt bereits über ausreichende Mandate, um auch die Schulden von Privatunternehmen aufzukaufen und diese mit ultragünstigen Krediten über Wasser zu halten. Kommt es hart auf hart, wird die Branche in ihrer Grundsubstanz gerettet werden – finanzielle und bilanzielle Schwachstellen hin oder her.

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