Vor ein paar Wochen sah alles noch ganz gut aus: Nach einem schlimmen Absturz in den Monaten März und April signalisierten die – in der ersten Juni-Woche veröffentlichten – Mai-Daten des amerikanischen Arbeitsmarkts scheinbar eine Wende zum Besseren. Die Beschäftigung habe um 2,5 Millionen Stellen zugelegt, hieß es, die Arbeitslosigkeit sei – entgegen der Erwartungen der Analysten – deutlich zurückgegangen. An den Märkten wurden diese Nachrichten zunächst euphorisch gefeiert, die Grundlage für eine V-förmige Erholung schien gelegt. Zumal auch die Konsumdaten des Einzelhandels Grund zur Annahme gaben, dass es zu einer raschen Erholung kommen würde.
Die Realität: Die Verantwortlichen lügen
Die Realität jedoch spricht eine andere Sprache: Von Beginn einer Erholung kann keine Rede sein. Mehr noch: Es hat merkwürdige Unterlassungen und Fehlzuschreibungen in der Arbeitsmarkt-Statistik gegeben – allesamt mit Absicht verübt. Fed-Chef Jerome Powell hat zwar in seiner Pressekonferenz nach der Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) am 10. Juni etwas mehr Realismus in die Debatte gebracht – doch auch seine Aussagen offenbaren nur einen Teil der Wahrheit.
Der folgende Artikel analysiert das Wesentliche an der amerikanischen Arbeitsmarktstatistik für den Monat Juni: Es handelt sich bei ihr zum einen um eine politisch gewollte Tatsachen-Verschleierung, zum anderen um ein Feuerwerk an verzweifelten regulatorischen Schnellschuss-Neuerungen. Beide verzerren die Arbeitslosen-Daten enorm. Fazit: Die US-Konjunktur ist in einem steilen Absturz begriffen, die Arbeitslosigkeit viel höher als statistisch ausgewiesen, und eine Erholung ist alles andere als sicher. Fakt ist: Sollten die Entscheidungsmacher auf denselben ausgelutschten Pfaden wie bisher weiterwandeln, liegt eine ausgemachte gesamtwirtschaftliche Depression absolut im Bereich des Möglichen.
Gefälschte Arbeitsmarkt-Statistiken: Ein Geschenk für Wallstreet
Die Daten für den amerikanischen Arbeitsmarkt des vergangenen Monats geben üblicherweise den Ton für die Finanzmärkte im laufenden Monat vor. Sie haben für die Geld- und Wirtschaftspolitik und für die Finanzmärkte nicht nur in den USA, sondern weltweit, eine bedeutende Wirkung. Dieser Bedeutung steht eine erstaunliche Unwissenheit der Marktteilnehmer und erst recht des breiten Publikums über die komplexe Berechnungsweise und die Tücken der amerikanischen Statistik gegenüber. Seit dem Ausbruch der Pandemie in den USA kommen noch zusätzliche Schwierigkeiten hinzu. Im sogenannten CARES-Act, der Gesetzgebung für die Corona-Hilfen, wurden die Bezugsregeln für Arbeitslose und für Kleinunternehmen und Selbständige kurzfristig auf Bundesebene geändert, so dass sich zusätzliche Erfassungs- und Interpretationsschwierigkeiten ergeben.
Der aktuelle Anlass ist einfach: Nach einem steilen Absturz im März haben sich die amerikanischen Finanzmärkte rasch erholt. Viele Teilnehmer, jedenfalls diejenigen, welche neu investiert haben, erwarten eine V-förmige Erholung, die bereits am Einsetzen ist. Indizien dafür bilden der Arbeitsmarkt-Bericht für den Monat Mai sowie die Einzelhandels-Umsätze im Mai. Befeuert werden sie dabei von Wallstreet-Analysten, welche Millionen von unerfahrenen Kleinanlegern ins day-trading verleiten.
Arbeitslosigkeit in Amerika: Millionen werden nicht erfasst
Für das Verständnis des amerikanischen Arbeitsmarktes ist zentral, dass in den Vereinigten Staaten Arbeitslosigkeit sehr restriktiv definiert und im Normalfall noch viel restriktiver finanziell unterstützt wird. Die restriktive Definition verdeckt schon seit Jahrzehnten eine weit schlechtere Realität, und sie ist vollends zur Farce geworden in der Situation der Coronavirus-Pandemie.
Als arbeitslos gilt in der amerikanischen Statistik, wer die folgenden Kriterien gleichzeitig erfüllt: Die Person war in der Referenzwoche des 12. eines Monats ohne Beschäftigung, war aber gleichzeitig für eine Beschäftigung voll verfügbar, und hat in den letzten vier Wochen inklusive der Referenzwoche aktive Schritte und Anstrengungen bei der Beschäftigungssuche unternommen. Personen mit einer noch so geringfügigen Teilzeit-Beschäftigung gelten nicht als arbeitslos, sondern als beschäftigt. Wer krank oder aus anderen Gründen arbeitsunfähig und deshalb nicht sofort verfügbar ist, gilt ebenso wenig als arbeitslos. Und wer keinen Job und in den vergangenen vier Wochen keine konkreten Schritte unternommen hat, einen zu finden, ist ebenfalls nicht arbeitslos, sondern gilt als der Erwerbsbevölkerung nicht angehörig und fällt daher vollkommen aus der Statistik heraus.
Arbeitslosengeld: Nach einem halben Jahr ist Schluss
Noch viel restriktiver gehandhabt wird der Zugang zu Arbeitslosengeld. Das war allerdings nicht immer so: 1935 wurde zusammen mit der umlagefinanzierten Altersvorsorge („Social Security“) ein System der Arbeitslosenversicherung („Unemployment Insurance“) geschaffen, das umfassend war und in den Folgejahrzehnten sogar noch ausgebaut wurde. Die Arbeitslosenversicherung ist dabei ein gemischtes, das heißt vom Bund finanziertes und von den einzelnen Bundesstaaten verwaltetes System. Die Ausgestaltung und Praxis kann in den einzelnen Bundesstaaten deshalb unterschiedlich sein, sowohl in punkto Zulassungskriterien als auch in Hinblick auf die Länge der Bezugsdauer. Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld ist eine längere Beschäftigung in den Vorquartalen. Vor allem jüngere Beschäftigte, Zeitarbeiter, Teilzeit-Beschäftigte und Schulabgänger werden deshalb systematisch geringer oder im Extremfall überhaupt nicht erfasst. Generell kann für eine Dauer von maximal 26 Wochen, also einem halben Jahr, Arbeitslosengeld bezogen werden. In verschiedenen Bundesstaaten wird dies aber noch restriktiver gehandhabt und nur für kürzere Perioden Geld ausbezahlt.
Der im März in den meisten Bundesstaaten verhängte Lockdown hat zu einer nie gekannten raschen Explosion der Arbeitslosigkeit geführt. Deshalb wurde mit dem CARES-Act eine außerordentliche Finanzhilfe für Arbeitslose, für Kleinunternehmen und für Selbständige, sogenannte „Gig“-Workers, geschaffen. Diese außerordentlichen Hilfen stabilisieren die Situation der betroffenen privaten Haushalte zumindest kurzfristig, schaffen aber zusätzliche Verzerrungen in der Statistik.
Der Aufbau der amerikanischen Arbeitsmarkt-Statistik
1. Das „Bureau of Labor Statistics“ (BLS) erstellt den monatlichen Arbeitsmarktbericht, der jeweils am ersten Freitag des Folgemonats veröffentlicht wird. Dieser Bericht beruht auf zwei Erhebungen:
- Der sogenannte „Establishment Survey“ nutzt die Lohndaten von einer großen, für die Wirtschaftsstruktur repräsentativen Stichprobe von rund 145.000 privaten Unternehmen und staatlichen Verwaltungen und Betrieben außerhalb des Agrarsektors. Das liefert die Grundinformationen über die genaue Anzahl der Beschäftigten und der geleisteten Arbeitsstunden sowie über die durchschnittlichen Löhne und Gehälter. Diese Zahlen werden dann auf der Basis einer Grundgesamtheit, die einmal jährlich für einen Monat erhoben wird, extrapoliert und hochgerechnet für die Beschäftigung, Arbeitsstunden und Durchschnittslöhne insgesamt. Es ist eine sehr große und umfassende Stichprobe, die insgesamt mehrere Dutzend Millionen von Beschäftigten betrifft. Obschon breit gefasst, enthält sie einige Defizite und auch Schwachstellen: Beispielsweise sind Selbständige, welche nicht inkorporiert, sondern als Personengesellschaft konstituiert sind, nicht enthalten. Auch sind Doppel- und Mehrfachzählungen bei Mehrfachjobs nicht bereinigt. Ein weiterer wichtiger Schwachpunkt betrifft die Neugründung/Schließung von Kleinbetrieben. Diese sind in den USA für einen bedeutenden Teil der neugeschaffenen oder verloren gegangen Jobs verantwortlich. Sie werden zunächst nicht aufgrund von Basisdaten statistisch basiert erfasst, sondern mit einem ökonometrischen Modell prognostiziert. Diese modellgestützten Daten sind oft revisionsbedürftig und können im Nachhinein zu substantiellen Korrekturen führen.
- Die Erhebung der Arbeitslosigkeit beruht ebenfalls auf einer Stichprobe, nämlich aus Befragungen von rund 60.000 als repräsentativ angesehenen privaten Haushalten. Dies geschieht im sogenannten „Household Survey“. Aufgrund dieser Befragung werden alle Personen über 16 Jahre entweder als Schüler oder Studenten, als Beschäftigte, als Arbeitslose oder als nicht zur Erwerbsbevölkerung zählend aufgeführt. Der Household Survey kann als Personengesellschaft funktionierende Selbständige erfassen, auch Mehrfachjobs, Teilzeitjobs und Beschäftigung im Agrarsektor. Ferner wird sowohl bei der Beschäftigung als auch bei der Arbeitslosigkeit nach verschiedenen Kriterien differenziert. Bei der Arbeitslosigkeit wird nach verschiedenen Gründen und Gruppen (Geschlecht, Alter, Ethnie) differenziert.
Von dieser relativ gesehen sehr dünnen Stichprobe aus wird dann auf die gesamte Arbeitslosigkeit in der Volkswirtschaft geschlossen, indem die Relation zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit aus dem Household Survey auf die vorwiegend aus dem Establishment Survey gewonnene Beschäftigung übertragen wird.
Die Summe von Beschäftigung (vorwiegend aus dem Establishment Survey) und Arbeitslosigkeit (vorwiegend aus dem Household Survey) ergibt dann die gesamte Erwerbsbevölkerung. Die offizielle Arbeitslosenquote errechnet sich als Prozentanteil der Arbeitslosen an dieser erwerbsfähigen Bevölkerung. Auch daraus abgeleitet wird die Erwerbsquote, der Anteil der Beschäftigten an der gesamten Wohnbevölkerung. Diese Erwerbsquote spielt eine große Rolle in der effektiven Arbeitslosigkeit, wie wir gleich sehen werden.
Wichtig ist, dass durch die restriktive offizielle Definition der Arbeitslosigkeit und durch die restriktive Vergabe von Arbeitslosengeldern die effektive, in Wirklichkeit vorhandene Arbeitslosigkeit nicht nur in der offiziell definierten Arbeitslosigkeit auftaucht, sondern auch in der Beschäftigung und in der offiziell nicht-erwerbstätigen Wohnbevölkerung. Die USA haben eine weitaus größere Arbeitslosigkeit, als es die offiziellen Zahlen suggerieren, und zwar nicht nur oder gerade jetzt, sondern seit Jahrzehnten und permanent.
Aus der Graphik wird sofort ersichtlich, dass die gesamte Zahl der Beschäftigten (grüne Linie) deutliche zyklische Schwankungen aufweist, mit dem größten Einbruch der Nachkriegszeit in den letzten drei Monaten. Umgekehrt verläuft das Wachstum der erwerbsfähigen Bevölkerung (blaue Linie) relativ gleichmäßig. Es zeigt keine bedeutenden zyklischen Schwankungen, sondern allenfalls unterschiedlich steile Trends. Doch in den letzten drei Monaten ist auch diese erwerbsfähige Bevölkerung stark zurückgegangen, und zwar ziemlich stark, von über 164 Millionen im Februar auf 156 Millionen im April, 158 Millionen im Mai und 160 Millionen im Juni. Das sind Rückgänge von fünf, vier beziehungsweise drei Prozent gegenüber dem Februar 2020, was in der gesamten Nachkriegszeit präzedenzlos ist. Umgekehrt ist die nicht erwerbstätige Wohnbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (rote Linie) plötzlich und sprunghaft angestiegen, was suspekt ist. Diese nicht erwerbstätige, aber sich im erwerbsfähigen Alter befindliche Wohnbevölkerung ist schon in den letzten 20 Jahren deutlich angestiegen, nachdem sie vorher während 20 Jahren praktisch stagniert hatte.
2) Das Department of Labor der Bundesregierung verwaltet die Arbeitslosengelder, erstellt Statistiken über die erstmaligen Anträge auf Unterstützung und über die laufend betreuten Arbeitslosen, die Gelder erhalten. Diese werden wöchentlich publiziert, immer am Donnerstag. Diese Erhebung ist eine Vollerhebung aller beim Bund und bei in den einzelnen Bundesstaaten angemeldeten Neuanträge auf Unterstützung sowie aller bewilligten und damit ausgeführten Zahlungen. Sie ist also umfassend in dem Sinn, dass alle Arbeitslosen, welche effektive Zahlungen erhalten, darin enthalten sind. Andere Arbeitslose, welche keine Gelder erhalten, sind hingegen nicht darin enthalten. Es verwundert deshalb nicht, dass die offizielle Arbeitslosenzahl U3 (dunkelblaue Linie) aus dem Establishment und Household Survey des BLS systematisch viel höher liegt als die Zahl der kontinuierlichen unterstützten Arbeitslosen (hellblaue Linie). Die rote Linie ist die Differenz beider Größen und entspricht somit der Anzahl nicht unterstützter Arbeitsloser in der Definition U3.
Graphik: USA: Anzahl Arbeitsloser in der Definition U3 und Komponenten (saisonbereinigte Werte)
Aus der Graphik gehen fünf Sachverhalte deutlich hervor:
- Die offizielle Zahl der effektiv Arbeitslosen liegt in jedem einzelnen Monat um mehrere Millionen über der Zahl der unterstützten Arbeitslosen.
- Die durch die Arbeitslosenversicherung unterstützten Arbeitslosen sind über lange Zeiträume hinweg immer mehr zur Minorität geworden. Das war im Übrigen nicht immer so. In den 1950er Jahre waren noch fast alle Arbeitslosen unterstützt worden, in den 1960er Jahren betraf dies immer noch die Mehrheit, ließ aber bereits nach.
- In den Rezessionsphasen steigt die Zahl der unterstützten Arbeitslosenzahlen sehr rasch an und erreicht schon innerhalb weniger Monate das Maximum, um dann rasch wieder abzufallen
- Die Zahl der nicht unterstützten Arbeitslosen weitet sich in Rezessionsphasen ebenfalls massiv aus, anfänglich nicht so rasch, aber dafür umso länger. Die Zahl der effektiv Arbeitslosen steigt also viel stärker als die Zahl derjenigen, welche Unterstützung erhalten. Die Zahl der nicht-unterstützten Arbeitslosen weitet sich im Unterschied zu den unterschätzten Arbeitslosen bis deutlich nach Ende der Rezession aus. Im Aufschwung und in der Hochkonjunktur komprimiert sich deren Zahl dann wieder, aber langsam und über längere Zeiträume hinweg.
- Auffällig ist für die beiden letzten gemeldeten Monate Mai und Juni 2020, dass erstmals überhaupt in der Geschichte die Zahl der gesamten Arbeitslosen niedriger liegen soll als die Zahl der registrierten Bezieher von Arbeitslosengeld. Dies wird in der Graphik deutlich indiziert durch den negativen Wert von minus 1.9 Millionen für die nicht-unterstützten Arbeitslosen (rote Kurve). Mit anderen Worten errechnet das eine Amt (BLS) gesamthaft weniger Arbeitslose, als das andere Amt nur schon für die versicherten Arbeitslosengeld-Bezüger ausweist. Und zwar, wie wir noch sehen werden, sogar nur für einen Teil der versicherten Arbeitslosen-Bezüger.
Es ist offensichtlich, dass in den letzten Monaten die Arbeitslosenstatistik komplett falsch ausgewiesen wurde: Plötzlicher Einbruch der Erwerbsbevölkerung und Anstieg der nicht Erwerbstätigen, ein negativer Wert von über einer Million für die nicht unterstützten Arbeitslosen im Mai und im Juni. Die Erklärung dafür ist komplex, ein Faktor ist die außerordentliche Unterstützung der Arbeitslosen durch den Cares-Act. Ein anderer Faktor ist die viel zu geringe Stichprobe des „Household-Survey“, die zudem nicht im Hinblick auf die Situation einer Pandemie konzipiert worden ist.
Der CARES-Act: Noch viel mehr Arbeitslose, schön versteckt in verschiedenen Positionen
Wie viele andere Länder haben auch in den Vereinigten Staaten Regierung und Volksvertretung sehr rasch auf den Lockdown reagiert und durch ein Maßnahmenpaket die massiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu dämpfen versucht. Schon am 27. März hat der Präsident ein mehrteiliges Gesetzesvorhaben unterzeichnet, den sogenannten „Coronavirus Aid, Relief and Economic Security-Act“ (kurz CARES). In diesem Artikel konzentrieren wir uns nur auf die Effekte auf den Arbeitsmarkt. Es sind vor allem drei Bestimmungen, die wichtig sind:
- Der Bund hat den Umfang der regulären vom Bund assistierten und von den Staaten verwalteten Arbeitslosen-Unterstützung deutlich ausgeweitet, was die finanzielle Unterstützung je Arbeitslosen und teilweise, was die Zahl der Arbeitslosen betrifft. Ein wesentlicher Teil sind monatliche Zahlungen von 1.200 Dollar pro vorher berufstätigem, aber jetzt arbeitslosem Erwachsenen, sowie 500 Dollar pro Kind. Eine vierköpfige Familie kann somit bis zu 3.400 Dollar erhalten. Damit übersteigt bei einem nicht unwesentlichen Teil der Beschäftigten vor allem mit niedrigen Einkommen die kombinierte Unterstützung den vorherigen Lohn oder das Gehalt. Wichtig ist, dass die Arbeitslosigkeit dadurch im Unterschied zu normalen Rezessionen a) großzügiger und b) länger abgefedert wird. So wird auch die Unterstützung nach 26 Wochen um weitere 13 Wochen auf 39 Wochen verlängert. Davon profitieren vor allem Arbeitslose in Bundesstaaten mit einer restriktiven Bewilligungspraxis. Umgekehrt hat die Explosion der Entlassungen dazu geführt, dass die Arbeitsämter in nicht wenigen Bundesstaaten schlicht überfordert waren beziehungsweise es immer noch sind. Sie können mangels Infrastruktur und veralteter Software die schiere Flut der kumuliert fast 50 Millionen erstmaliger Anträge schlicht nicht rechtzeitig verarbeiten. Trotz der erhöhten Unterstützung gibt es also nach wie vor nicht erfasste Arbeitslose.
- Über diese aufgestockten Programme für die reguläre Arbeitslosen-Unterstützung hinaus hat der Bund ein Spezial-Programm mit dem Namen „Pandemic Unemployment Assistance“ (PUA) aufgelegt. Dieses Programm versichert Individuen, welche keinen Zugang zur regulären Arbeitslosen-Versicherung hätten. Dazu gehören ausgesteuerte Personen, solche ohne genügende Beschäftigungs-Vorgeschichte, und vor allem Selbständige und sogenannte ‚gig-Arbeiter'. Letzteres sind Freiberufler, Selbständige, Subkontraktoren und geringfügig Beschäftigte, welche ihre meist kurzfristigen Aufträge über eine online-Plattform erhalten. Das Arbeitsministerium veröffentlicht diese zusätzlichen, vom Bund unterstützten Arbeitslosen ebenfalls auf Wochenbasis. Und siehe da: Die kombinierte Zahl der regulär und vom Bund außerordentlich unterstützten Arbeitslosen beträgt allein schon 31,5 Millionen, rund 14 Millionen mehr als die offizielle Anzahl der U3-Arbeitslosen.
Graphik: Vergleich der Arbeitslosenzahlen zweier Regierungs-Agenturen
Die gelben Balken der Differenz geben einen ersten Eindruck, um wieviel die Arbeitslosigkeit durch das BLS unterschätzt wird. Die Differenz zwischen U3-Arbeitslosigkeit und unterstützten Arbeitslosen beträgt für den Juni 2020 volle 14 Millionen. Aber in den Vorjahren und bis und mit April lagen die U3-Arbeitslosenzahlen immer um Einiges höher, um fünf bis 7 Millionen Arbeitslose. Das wäre korrekt berechnet im Mai und Juni 2020 nicht viel anders.
Vier Bundesstaaten können bis heute PUA-Ansprüche technisch noch nicht verarbeiten, darunter sind größere Bundesstaaten wie Florida oder Georgia. Weitere 14 Bundesstaaten können die Ergänzungsleistungen über das PEUC-Programm des Bundes nicht verarbeiten. Und es gibt weitere Millionen, die bisher nicht erfasst sind.
Was die Graphik schön zeigt, ist die Absurdität der offiziellen Arbeitslosigkeits-Messung: Wenn innert weniger Wochen weit über 50 Millionen Menschen ihre Stelle und ihr Einkommen verlieren und erstmals Unterstützung für Bundes- und Bundesstaatsgelder beantragen, dann ist die Messung der Arbeitslosigkeit über ein so eingeschränktes Kriterium wie die nachweisliche Jobsuche in den vergangenen vier Wochen obsolet. Kein vernünftiger Mensch kümmert sich um eine neue Stelle, wenn ein Drittel aller Beschäftigten sie praktisch zeitgleich verliert und dies aufgrund einer behördlichen Zwangssituation.
Die offiziellen Zahlen (blaue Balken) zeigen einen drastischen Rückgang der Arbeitslosigkeit in den letzten zwei Monaten an, dabei ist, korrekt gemessen (rote Balken) die Arbeitslosigkeit massiv angestiegen.
3. Ein wesentlicher Teil des Pakets war wie in anderen Ländern die Unterstützung von Klein- und Mittelbetrieben,das sogenannte „Paycheck Protection Program“ (PPP). Dieses Programm umfasst schnell verfügbare Darlehen an Klein- und Mittelbetriebe, welche die Beschäftigung trotz der Umsatzeinbrüche in einer ersten Stufe für einen Zeitraum von zunächst acht Wochen, in einer zweiten Stufe ausgedehnt auf 24 Wochen bis Ende Oktober 2020 beibehalten. Sie können diese Darlehen für Lohnzahlungen, Mieten, Zinsen und andere Geschäftskosten verwenden. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Finanzierung der Beschäftigung, wobei die zweite Stufe größere Flexibilität enthält. Machen sie dies in genügendem Umfang für Lohnzahlungen und damit für die Beschäftigungs-Retention, so müssen diese Darlehen nicht zurückbezahlt werden und entsprechen also schlichten staatlichen Subventionen. Im internationalen Vergleich ist diese Form der Unterstützung großzügig. In vielen anderen Ländern sind es einfach Kredite, welche die Verschuldung der betroffenen Unternehmen steigern. Allerdings ist nur ein Teil dieser für Kleinunternehmen reservierten Kredite und Darlehen bei diesen angelangt. Ein erheblicher Teil erging auch an größere, teilweise sogar an börsennotierte Unternehmen.
Für die Interpretation der Beschäftigungszahlen ist relevant, dass die mit dem PPP verbundene Beschäftigung im Mai erstmals gezählt wurde. Der vermeintliche Beschäftigungsanstieg gegenüber dem April dürfte mit anderen Worten die Verhaltensweise der Unternehmen reflektieren, ihre entlassenen oder in unbezahlten Urlaub verabschiedeten Arbeiter und Angestellten wieder auf die Lohn- und Gehaltsliste zu nehmen, damit sie diese Kredite und Darlehen aus dem PPP-Programm am Ende nicht zurückzahlen müssen. Es dürfte sich um Millionen und Abermillionen von Arbeitslosen handeln, welche auf diese Weise wieder Eingang in die Beschäftigung gefunden haben. Nach den Vorschriften und Gepflogenheiten des BLS sollten diese Beschäftigten, wenn sie effektiv gar nicht arbeiten, in der Arbeitslosigkeit und nicht in der Beschäftigung auftauchen. Sie taten es aber im Regelfall für den Monat April und Mai nicht, weil der Establishment Survey des BLS diese Nuance nicht erfasst, und weil im Household Survey viele Fragen im Zusammenhang mit Covid-19 falsch beantwortet wurden.
Grundsätzlich kann natürlich argumentiert werden, dass die PPP-induzierte Beschäftigung eine Form von Kurzarbeit wie in Deutschland oder wie die Cassa d’Integrazione in Italien darstellt. Kurzarbeiter werden in der Regel nicht zu den Arbeitslosen gezählt. Dagegen muss aber gehalten werden, dass die Frist für diese Form der Beschäftigung sehr kurz bemessen ist (acht für die erste beziehungsweise 24 Wochen für die zweite Stufe), und dass die Darlehen keineswegs nur der Lohnfortzahlung dienen. Die Bedingungen sind zudem so ausgestaltet, dass das gesamte Darlehen nicht zurückbezahlt werden muss, wenn ein bestimmter Anteil konsequent für die Lohn- und Beschäftigungs-Sicherung eingesetzt wird.
Was mit Sicherheit für die Zukunft geschlossen werden kann: Ohne Verlängerung dieses Programms wird es Massenentlassungen im riesigen Stil geben, sobald die Fristen Ende Juni (1. Stufe) bzw. Ende Oktober (2. Stufe) abgelaufen sind. Dann haben die am Programm beteiligten Unternehmen keinerlei Motivation mehr, überschüssiges Personal weiter zu beschäftigen. Es ist eben effektiv eine Form der temporären Arbeitslosen-Unterstützung für verdeckt arbeitslose Personen. Und der Hintergrund ist nicht ganz unpolitisch. Anfang November finden die Präsidentschafts-, Kongress- und viele Gouverneurs-Wahlen statt. Und der Leistungsausweis erscheint besser, wenn die Arbeitslosigkeit in der ausgewiesenen Beschäftigung versteckt ist.
Noch mehr Arbeitslose: Die zusätzlichen Komponenten der U6-Arbeitslosigkeit
Traditionell gibt es komplexere Formen von Arbeitslosigkeit, welche in der amerikanischen Statistik im Household Survey erfasst, von Analysten und Medien aber nur im Vorbeigehen abgehandelt werden. Diese zusätzlichen Formen von Arbeitslosigkeit werden zum Hauptindikator U3 gezählt und ergeben eine breitere Definition von Arbeitslosigkeit, der Messgröße U6.
Zu diesen Formen von Arbeitslosigkeit gehören etwa Teilzeit-Beschäftigte, welche Vollzeit arbeiten wollen, aber vom Arbeitgeber teilweise freigestellt sind, oder die keine Vollzeitstelle finden können. Auch dazu gehören Langzeitarbeitslose, welche marginal zum Arbeitsmarkt angebunden sind und in den vergangenen 12 Monaten Stellen gesucht haben, nicht aber in den vergangenen vier Wochen. Schließlich gehören dazu kurzfristig entmutigte Beschäftigte, welche die Stellensuche aufgegeben haben.
Wie nicht anders zu erwarten, haben auch diese Komponenten in der Rezession einmalig stark zugenommen. Die Arbeitslosigkeit in der Definition U6 beinhaltet also auch Unterbeschäftigung und verdeckte Arbeitslosigkeit, weshalb professionelle Beobachter wie der Fed-Chef sie als besseren Indikator der wahren Arbeitslosigkeit betrachten. Doch auch in dieser Definition ist noch ein Defizit enthalten, das wie ein Tabu behandelt wird.
Die Reduktion der Erwerbsquote als zusätzliche zentrale Komponente der Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosigkeit wurde 1994 in einer Statistik-Revision um eine wichtige Komponente „erleichtert“: Die nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig entmutigten Erwerbstätigen. Sie wurden fortan in die Gruppe der Nicht-Erwerbstätigen umklassifiziert. Damit wurde natürlich die Arbeitsmarkt-Statistik geschönt. Sie verdeckt, weil als Tabu behandelt, aber wichtige Elemente, und führt zu einer völlig falsch betriebenen Wirtschaftspolitik. Denn genau diese Gruppe ist in den 2000er Jahren massiv angewachsen und stellte bis Februar 2020 die mit Abstand größte Komponente der effektiv Arbeitslosen dar.
Statistisch äußert sich dies in der Reduktion der Erwerbsquote: Der Anteil der Erwerbstätigen an der Wohnbevölkerung geht zurück (rote Kurve).
Graphik: USA Beschäftigungsquote 1970 - 2020
In den Analysen liest man immer wieder, der Rückgang hänge mit der zunehmenden Alterung der amerikanischen Gesellschaft zusammen. Das hört sich soweit plausibel an, nur ist es vollkommen falsch. Der Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Erwerbsquote ist auf eine ganz andere Altersgruppe zurückzuführen, nämlich die Jungen in der Altersgruppe der 15-24 Jährigem (grüne Kurve, leider habe ich keine saisonbereinigte Datenreihe gefunden, deshalb die saisonale Volatilität). Interessanterweise ist die Beschäftigungsquote der 55 bis 65-Jährigen sogar gestiegen, nicht gefallen.
Hinter dem Absturz der Beschäftigungsquote der 15 bis 24Jährigen stehen zwei vollkommen unterschiedliche Trends:
Ein Teil der Jugendlichen hat die Ausbildung ausgedehnt, um besser für den Arbeitsmarkt qualifiziert zu sein. Sie besuchen also nach der High School ein College, und ein kleinerer Teil setzt dann die Ausbildung auf Universitätsstufe fort. Das ist eine teure Sache geworden, denn die Ausbildungskosten sind in den letzten 10 bis 15 Jahren explosionsartig gestiegen. Viele Universitäts-Abgänger starten ihre Berufslaufbahn mit Schulden in Höhe von Zehn- bis Hunderttausenden von Dollars.
Der größere Teil sind diejenigen, die die High School ohne Abschluss verlassen haben und somit schlecht für den Arbeitsmarkt qualifiziert sind. Das sind Jugendliche aus sozial schwächeren und bildungsfernen Milieus, die schlicht keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Hinter der Reduktion der Erwerbsquote steht also primär eine massiv erhöhte Jugendarbeitslosigkeit und sekundär verlängerte Ausbildungsfristen.
In der Summe ergibt sich das folgende, mehr realistische Bild der Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten. Es umfasst die Arbeitslosigkeit in der Definition U3, U6 und in der Definition mit unveränderter Erwerbsquote. Wichtig ist, dass letztere niemals zurückgegangen ist.
Graphik: USA Arbeitslosigkeit in verschiedenen Definitionen
Die Arbeitslosigkeit lag nach dieser letzten Definition nie unter 20 Prozent in den 2010er Jahren und liegt jetzt bei über 30 Prozent. Meines Erachtens ist dies etwas zu hoch, weil die Reduktion der Erwerbsquote durch die Verlängerung der Ausbildungszeiten nicht berücksichtigt ist. Doch an der Tatsache, dass heute über 30 Prozent der Bevölkerung in den USA arbeitslos sind, kommt man nicht vorbei. Die Massenarbeitslosigkeit unter den benachteiligten Jugendlichen schlägt sich in Wut und Destruktion nieder. Und die Perspektiven für die Hochschulabgänger mit hohen Studienschulden haben sich ebenfalls durch die Corona-Krise dramatisch verschlechtert.
FAZIT: Die riesige Zahl an Arbeitslosen könnte die amerikanische Wirtschaft in den Abgrund reißen. Und wenn dies geschieht, wenn die Volkswirtschaft, die für circa ein Viertel des weltweiten Bruttosozialprodukts steht und die ein ungemein wichtiger Absatzmarkt für Produkte aus aller Welt ist (gerade auch für solche aus Deutschland) - dann müssen auch wir uns auf ein wirtschaftliches Erdbeben gefasst machen.